Unesco:Weltkulturscherben

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Wikingerboot vor Stockholm. (Foto: F1 ONLINE)

Fünf Staaten wollten die Kultur der Wikinger zum Welterbe erklärt sehen. Doch wissen die Antragsteller selber noch, was sie von ihren multinationalen Vorfahren halten sollen?

Von Thomas Steinfeld

Von zwei Anträgen, eine deutsche Kulturstätte zum Welterbe zu erklären, war in den vergangenen Tagen viel die Rede, von der Speicherstadt in Hamburg und vom Naumburger Dom mitsamt Umgebung. Doch hatte es noch einen dritten Antrag gegeben. Auch er wurde, wie das Ansinnen, die "hochmittelalterliche Herrschaftslandschaft an Saale und Unstrut" in die Liste der unbedingt schützenswerten Kulturgüter aufzunehmen, zur Verbesserung und Wiedereinreichung zurückgegeben. Zu vage sei der Antrag aus fünf Ländern gewesen, die Kultur der Wikinger zum Welterbe zu erklären, nicht präzise genug auf die vielen Stätten bezogen, aus denen sich ein verlässliches und einigermaßen vollständigen Bild vom Treiben jener Seefahrer hätte ergeben können.

Island hatte sich an die Spitze dieses Antrags gestellt, dabei waren auch Norwegen, Dänemark, Lettland - und Schleswig-Holstein mit dem Wikingerdorf Haithabu bei Schleswig und dem Befestigungswall Danewerk.

Vielleicht gibt es strukturelle Gründe, warum eine Sammelbewerbung unter Beteiligung von fünf Staaten bei einer Institution, die in nationalen Grenzen denkt, auf besondere Schwierigkeiten stößt. Das muss um so mehr gelten, als sich der Gegenstand selber, also die Kultur der Wikinger, der Zentralisierung verweigert.

Die Wikinger waren lose organisiert und trieben sich in vielen Gegenden nicht nur Nordeuropas herum. Dafür wird sich eine museale Form finden lassen. Nun stößt aber der umherschweifende Charakter dieser Kultur nicht nur bei der Unesco auf Schwierigkeiten. Auch einige Staaten, auf deren heutigem Gelände die Wikinger einmal zu Hause waren, sind sich offenbar gar nicht so sicher, was sie mit diesem Erbe anfangen können, ob sie es überhaupt tun wollen. Schweden, ein Land, in dem einige der wichtigsten Wikingerstätten liegen - die Ruinenstadt Birka zum Beispiel, die im Jahr 1993 zum Weltkulturerbe erklärt wurde, verließ vor einigen Jahren das Projekt. Als Begründung sollte gelten, dass sich die moderne, multikulturell verfasste Nation in den wilden Gesellen auf ihren Drachenschiffen nicht wiedererkenne.

Es ist leicht, sich über dieses Argument lustig zu machen. Es ist für moderne Darmstädter schließlich auch nicht einfach, sich in den Fossilien der Grube Messel im Landkreis Darmstadt-Dieburg wiederzuerkennen. Trotzdem ist diese Weltkulturerbe. Doch verbirgt sich in der Begründung ein ernstes Problem: Der Bezug auf die Gegenwart ist nur die andere Seite einer weitgehenden Abwesenheit von historischem Interesse, um von Bildung erst gar nicht anzufangen.

Diese Abwesenheit hat, in den skandinavischen Ländern deutlicher als anderswo, nicht nur etwas mit einem beklagenswerten Verfall von Kultur zu tun, sondern mit handfesten politischen Motiven. Schärfer jedenfalls als gegenwärtig haben sich die skandinavischen Staaten nie voneinander abgegrenzt, nicht nach außen und nicht gegeneinander. Das ist umso bemerkenswerter, als diese Länder nicht nur eine gemeinsame Geschichte haben, die zumindest in den vergangenen zweihundert Jahren weitgehend unblutig verlief (Finnland ausgenommen), sondern sich unter der Rubrik des Nordischen zusammenfinden konnten - und es zuweilen immer noch tun.

Es gibt viele Indizien für eine solche Veränderung: Getragen werden sie scheinbar vor allem von den nationalen Sammlungsparteien, die in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren in allen skandinavischen Ländern zu Faktoren der Macht geworden sind. Sei es, dass sie unmittelbar an der Regierung beteiligt sind, wie in Norwegen, dass sie einen Block bilden, mit dem sich jede Regierung arrangieren muss, wie in Dänemark, oder dass sie mit aller Gewalt von politischem Einfluss ferngehalten werden sollen, wie in Schweden - was zur Folge hat, dass sie einen publizistischen Erfolg ohnegleichen haben, ohne durch Argumente herausgefordert zu werden.

Keine dieser nationalen Sammlungsparteien hat etwas mit der Geschichte oder der Kultur oder den Bildungstraditionen einer nordischen Gemeinschaft im Sinn, alle sind im engsten Sinne national. Sie alle haben die Gesellschaften, in denen sie florieren, längst verändert, auch wenn sie nicht in der Regierung sitzen, und sie tun es weiterhin, bis in die Details, in denen zunächst keiner ihr Wirken bemerkt. Noch in den Achtzigern versah das schwedische Fernsehen dänische Beiträge nicht mit Untertiteln (und umgekehrt), weil man diese Gemeinsamkeit voraussetzen wollte. Das ist längst anders.

Dass es in der Welt einmal anders zuging als nach Maßgabe strenger nationaler Grenzen, wird so zu etwas ganz und gar Unvorstellbarem. Vielleicht erhält man sich in Schweden noch einen beschränkten Internationalismus (und einen ganz speziellen Chauvinismus), indem man dort sehr gerne glauben möchte, eine gemeinsame Geschichte mit den Vereinigten Staaten zu besitzen, nicht zuletzt in der populären Kultur. Aber schon in Dänemark ist man sich mittlerweile völlig sicher, nie etwas anderes gewesen zu sein als dänisch.

Ausnahmen werden nur gemacht, wenn der nationale ökonomische Nutzen unabweisbar ist. Mitte Juni erklärte sich Schonen, Schwedens südlichste Provinz, mit einem aus Dänemark kommenden Vorschlag einverstanden, "Greater Copenhagen" genannt zu werden, aber nur zu Werbezwecken. Die Provinz war bis ins Jahr 1658 dänisch gewesen. Aber wer weiß das noch?

© SZ vom 09.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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