Unbekannte Papiere:Hemingway als U-Boot-Jäger

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War es Flucht oder Vertreibung? War Hemingway wirklich vor Castro geflohen? Kuba gibt 3000 Dokumente über den Schriftsteller frei.

Willi Winkler

Unten im Hafen von Havanna schaukelt sie noch immer, seetüchtig ist sie auch, als wartete die Pilar nur darauf, dass der große Jäger und Fischer wieder an Bord käme, um hinauszufahren aufs Meer und ein weiteres Mal den Kampf mit dem großen Fisch aufzunehmen.

Kodierte Aufzeichnungen zum geheimen Krieg in der Karibik: US-Schriftsteller Ernest Hemingway in einer undatierten Aufnahme. (Foto: Foto: dpa)

Vor bald fünfzig Jahren, kurz nachdem Fidel Castro und seine Guerilleros den kubanischen Diktator Fulgencio Batista vertrieben hatten, verließ auch Ernest Hemingway die Insel, auf der er, unterbrochen von mehreren Kriegen, seit 1936 gelebt hatte.

In der Finca Vigía blieben bei der überstürzten Abreise vielerlei Dokumente und Manuskripte zurück, und natürlich bildeten sich sogleich Legenden, politische und literarische. War es Flucht oder Vertreibung? War Hemingway wirklich vor Castro geflohen, der sich doch sogleich um den weltberühmten Autor bemüht hatte?

Begleitet von einer ergebenen Gang

Ein Museum wurde für ihn eingerichtet, eine Erinnerung an die goldenen Jahre vor dem bis heute geltenden Embargo, als Kuba noch die Lieblingsferieninsel der americanos del norte war. Den Bacardi-Tourismus fest im Blick, wurde alles aufbewahrt, was an den großen Autor erinnerte; selbst die Gin-Flaschen, die er in der Eile nicht mehr leeren konnte, blieben als semi-literarische Artefakte der staunenden Nachwelt erhalten.

Vom kommenden Montag an werden in der Finca dreitausend weitere Hemingwayeriana zugänglich. Literarische Entdeckungen sind dabei zwar nicht zu erwarten, Hemingways Nachlass ist bereits gründlich ediert oder sogar ausgeweidet. In dem jetzt freigegebenen Konvolut befinden sich aber immerhin Schriftstücke wie Hemingways (dann doch nicht verwendetes) Drehbuch für "Der alte Mann und das Meer".

Zudem dürften die neuen Dokumente auch aus einem anderen Grund von Interesse sein: Hemingway nutzte die Pilar nicht bloß, um dem zweifelhaften häuslichen Glück mit seiner dritten Frau Martha Gellhorn zu entfliehen, sondern um auf seine Art Krieg zu führen.

Begleitet von einer ergebenen Gang von Barhockern und Rumtreibern, der er den passenden Namen crooks factory (Schurkenfabrik) gab, machte er 1941, als die USA noch nicht in den Krieg eingetreten waren, Jagd auf deutsche U-Boote.

Hemingway küsste die kubanische Flagge

Ob er je welche zu sehen bekam, ob er tatsächlich dabei mitwirkte, dass die deutsche U-Boot-Herrlichkeit ein frühes Ende nahm, ist in der Literatur umstritten. Jedenfalls sollen sich unter den Dokumenten, die die Kubaner jetzt veröffentlichen und anschließend in digitalisierter Form der Kennedy Library spendieren wollen, kodierte Aufzeichnungen zu diesem geheimen Krieg in der Karibik finden.

Wenn dieser todesmutige Einsatz an der karibischen Front vielleicht auch nicht kriegsentscheidend war, so brachte er dem großen Fischersmann doch immerhin den dringend benötigten Diesel, mit dem er weiter auf die hohe See hinaus fahren konnte, um nach dem Marlin zu jagen.

Nach dem Ende des Krieges in Europa, an dem Hemingway als schlachtbegeisterter Reporter teilgenommen hatte, kehrte er nach Kuba zurück, wo das FBI den als "Linken" verschrienen Autor beschattete. Hemingway und der Comandante en Jefe Fidel Castro waren sich offenbar nicht so spinnefeind, wie es die staatliche Doktrin vorschrieb. Hemingway, so meldete es ein Agent voll Abscheu an den Großen Vorsitzenden J. Edgar Hoover, "küsste die kubanische Flagge". Zeugen dafür gibt es nicht, aber es klingt doch schön.

Zu seinem Amtsantritt vor nunmehr 48 Jahren bat der neue Präsident John F. Kennedy den heimgekehrten Schriftsteller um eine Grußadresse, aber da konnte Hemingway schon kaum mehr schreiben. Ein halbes Jahr später war er tot. Der große Jäger hatte sich mit dem Jagdgewehr zuletzt selber erlegt.

© SZ vom 03.01.2009/hai/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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