"Un amour de jeunesse" im Kino:Verklärter Blick nach vorn

Nicht nur dabei, sondern mittendrin: Die französische Filmemacherin Mia Hansen-Løve erzählt in "Un amour de jeunesse" von den Qualen der ersten großen Liebe. Camille steigert sich in ihre Gefühle hinein, bis sie fast den Verstand verliert.

Susan Vahabzadeh

Wenn man die erste große Liebe in einem großen Kontext beschreibt, verliert sie ihre Nuancen, sagt Mia Hansen-Løve, nur wenn man etwas ganz persönlich schreibt, öffnet es sich nach außen. "Un amour de jeunesse" ist der dritte Film der französischen Regisseurin , "Der Vater meiner Kinder" kam vor zwei Jahren bei uns ins Kino - dieser Film nun, sagt sie, sei sozusagen der erste Teil einer Trilogie, den sie nicht hätte machen können vor den beiden anderen: Ein junges Mädchen steigert sich hinein in ihre Gefühle, bis sie fast den Verstand verliert.

"Un amour de jeunesse" im Kino: Camille ist in Sullivan vernarrt, wie man sich nur verliebt, wenn man ein Teenager ist. Dann geht er nach Südamerika und für sie bricht eine Welt zusammen.

Camille ist in Sullivan vernarrt, wie man sich nur verliebt, wenn man ein Teenager ist. Dann geht er nach Südamerika und für sie bricht eine Welt zusammen.

(Foto: Peripher)

Mia Hansen-Løve ist selbst noch jung, als sie den Film im vergangenen Jahr drehte, war sie gerade mal dreißig, und sie hat sich ein Gespür erhalten für die Verlorenheit eines Teenagers. Camille ist erst fünfzehn, Sullivan schon ein paar Jahre älter, neunzehn - da sind junge Menschen, Jungen zumal, zwar auch noch nicht ganz gar, aber er ist eben schon so weit, eigene Entscheidungen zu treffen, statt sich anleiten zu lassen. Wir haben nicht denselben Geschmack, sagt Camille; die beiden haben überhaupt nicht dieselbe Vorstellung vom Leben.

Camille sucht Halt in der Beziehung, Sullivan will seinen Platz in der Welt finden, er will für ein Jahr nach Südamerika gehen. Wenn sie ihm zu nah kommt, schreckt er zurück. Camille ist in Sullivan vernarrt, so wie man sich nur verliebt, wenn man noch ein Teenager ist. Sie übertreibt alles maßlos, ihr Schmerz ist Todesqual, ihre Liebe einmalig, als er weg will, geht ihre Welt unter. Natürlich zerbricht die Beziehung an Südamerika, und Camille wird viele Jahre brauchen, um sich zu erholen von diesem Schlag. Die Mutter reagiert eher kühl auf Camilles theatralische Leiden - weil diese, hinreißend zwar irgendwie, tatsächlich eine Nervensäge ist. Was ja stimmt, verliebte Teenager sind enervierend.

Auch Filme sind Gebäude

Camille sucht sich ein neues Schlachtfeld, wir sehen sie im zweiten Segment des Films als Studentin wieder, Architektur hat sie sich ausgesucht, ein Studentenheim soll sie zur Übung planen - sie ist talentiert, findet ihr Professor, aber was sie sich da ausgedacht hat, ist kein Ort der Begegnung, sondern ein Kloster. Für Mia Hansen-Løve ist Architektur eine Metapher fürs Kino: Auch Filme sind Gebäude, und man muss teilen können, um sie so konstruieren zu können, dass sie zugänglich sind. Erst eine neue Beziehung zu einem wesentlich älteren Architekten und Lehrer, Lorenz, bringt die Dinge dann ins Reine für Camille. Die Geschichte ist in drei Segmenten aufgebaut, zwischen denen jeweils ein paar Jahre liegen, alles bleibt streng chronologisch, aber die Übergänge sind wunderbar fließend - Zeit ist wie Wasser, sagt Mia Hansen-Løve. Man spürt die Zäsuren nicht, sie sind eines Tages einfach da.

Die Wege von Camille und Sullivan kreuzen sich immer wieder, sie kriegt ihn nicht aus ihrem Herzen, bis eines Tages alles vorüber ist. Es gibt keine einzige Rückblende in "Un amour de jeunesse", der Blick bleibt immer nach vorn gerichtet: Es ist nicht die Retrospektive eines Unbeteiligten, die Analyse aus der Entfernung des Erwachsenseins, die wir hier sehen. Das macht den Film angenehm ungewöhnlich. Wir sind in jedem Moment an Camilles Seite, und auf ihrer Seite; wenn sie dramatisiert und sich in ihrem Schmerz suhlt und noch nicht einsehen will, dass Liebe endlich ist.

Hoffnung fürs französische Kino

Diese Rolle so zu spielen, dass man das alles wahrnimmt und sich dann doch von diesem Mädchen in den Bann schlagen lässt - das ist eine wirklich herausragende Leistung. Die junge Schauspielerin Lola Créton ist selbst noch ein halbes Kind, aber ihre wenigen bisherigen Auftritte, die machen sie zu einer Hoffnung fürs französische Kino, das Mädchen wird noch von sich reden machen, mit ihrer Mischung aus Trotz und Zerbrechlichkeit, dem sturen Zug um den Mund. Sebastian Urzendowsky, dessen Part als niedlicher Egoist auch nicht ganz leicht ist, zeigt sich ihr durchaus gewachsen.

Lola Créton war gerade auch in "Après Mai" dabei von Olivier Assayas ("Carlos"), der vor zwei Wochen in Venedig seine Premiere feierte - noch ein Film, der einen Blick wirft aufs Erwachsenwerden, aus einer völlig anderen Perspektive, frei von all der Romantik, die Mia Hansen-Løve in "Un amour de jeunesse" auf die Spitze treibt.

Eine ganz ähnliche Rolle spielt Créton da auf den ersten Blick, auch da lässt sie sich, von der ersten Verliebtheit enttäuscht, mit einem wesentlich älteren Mann ein, bloß ist Assayas' Inszenierung frei von aller Verklärung, und in dieser Spiegelung sieht man erst, wie teenie-rosa die Brille ist, durch die Hansen-Love Lorenz betrachtet, mit seiner wallenden Mähne und seinem Gerede über die Zukunft der Architektur. Sein Gegenpart bei Assayas hat einen Bauch, ist zu faul, selbst zu kochen, und lässt politische Phrasen los. Ein Zufall ist diese Doppelung übrigens nicht - Hansen-Løve und Assayas sind ein Paar, die Arbeit der beiden greift ineinander: "Après Mai" ist die Antithese zu "Amour de jeunesse", über ihr nächstes Projekt sagt Hansen-Løve, es werde ihr "Carlos".

Mit "Un amour de jeunesse" hat sie vielleicht keinen perfekten Film gemacht - manchmal geht die Romantik mit ihr durch und ihr Symbolismus wird arg plakativ, da steht zwischen zweien, die nicht zusammenkommen, ein langer Tisch, und die Liebe schwimmt als Strohhut auf dem Fluss des Lebens davon. Aber von dieser Handvoll Szenen abgesehen ist ihr ein Stück französischer Erzählkunst gelungen. Und auch der Drall ins Melodram ist ihr nicht unterlaufen: Das ist der Reiz von "Un amour de jeunesse", alles Abgeklärte wird verbannt, seine Erzählerin steckt mitten drin und hat ihre Mittel ganz gezielt gewählt. Wir haben nicht denselben Geschmack, das sagt Camille, als sie mit Sullivan im Kino war, sie ist begeistert, ihm hat der Film nicht gefallen: zu französisch, zu viel Gerede: ein Film wie "Un amour de jeunesse".

Un amour de jeunesse, F/D 2011 - Regie, Buch: Mia Hansen-Løve. Kamera: Stéphane Fontaine. Schnitt: Marion Monnier. Mit: Lola Créton, Sebastian Urzendowsky, Magne-Havard Brekke, Valérie Bonneton, Serge Renko, Özay Fecht. Peripher Filmverleih, 110 Minuten.

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