Umweltschutz:Der Einzelne ist machtlos

Die Öko-Avantgarde: Nur eine diskursmächtige Minderheit mit hoher Bildung und Einkommen kann sich nachhaltigen Lebensstil leisten. Warum die Politik die Umwelt retten muss.

Oliver Geden

Der ökologische Diskurs zeichnet sich in Deutschland durch eine bemerkenswerte Skepsis gegenüber den Möglichkeiten institutionalisierter Politik aus. Die Notwendigkeit "umweltfreundlichen" Handelns wird dementsprechend auf zwei Ebenen thematisiert. Gefragt sei nicht nur eine konsequente Umweltpolitik, vonnöten seien mindestens ebenso sehr Bewusstseins- und Verhaltensänderungen im Alltag eines jeden Einzelnen.

Umweltschutz: Als Autos noch keine Haltung, sondern PS haben mussten: Werbung für die US-Automarke Oldsmobile, 1951.

Als Autos noch keine Haltung, sondern PS haben mussten: Werbung für die US-Automarke Oldsmobile, 1951.

(Foto: Foto: TV-yesterday)

Im gegenwärtigen Boom von Klimaratgebern und Öko-Lifestyle-Internetportalen, im Kauf von Autos mit Hybrid-Antrieb oder dem Wechsel zu Ökostrom-Tarifen drückt sich nicht nur ein fehlendes Vertrauen in den Politikbetrieb aus, sondern zugleich auch eine immense Überschätzung "politisierter" Alltagspraxis. Denn diese gelangt selten über die Sphäre der symbolischen Ökonomie des Avantgarde-Bewusstseins hinaus.

Der Wunsch, den eigenen Alltag entlang einer politischen Leitidee zu organisieren, ist selbstredend nicht in allen gesellschaftlichen Schichten gleich stark verankert. Auch wenn in der Diskussion um den Klimawandel gern hervorgehoben wird, dass das "Überleben der Menschheit" auf dem Spiel stehe, so hat eine Mehrzahl der Bundesbürger offensichtlich drängendere Alltagssorgen.

Den Versuch eines "nachhaltigen Lebensstils" unternimmt lediglich eine kleine, wenn auch diskursmächtige Minderheit, die sich nicht zuletzt durch eine Kombination von hohen Bildungsabschlüssen und Einkommen auszeichnet.

Die gesteigerten Ansprüche an das Klimabewusstsein des verantwortungsbewussten Einzelnen sind jedoch nur um den Preis einer Verkomplizierung seiner Alltagspraxis zu haben. Schließlich ist beinahe jede Handlung in irgendeiner Weise klimarelevant. So entsteht der Öko-Avantgarde aber nicht nur ein deutlich erhöhter Bedarf an Orientierungswissen. Sie muss sich zudem mit dem selbst gewählten Anspruch herumschlagen, dieses Wissen trotz vielfacher Widerstände auch handlungsleitend werden zu lassen.

In Milieus, in denen die dazu notwendigen Kapazitäten zeitlicher, kognitiver und finanzieller Art eher schwach ausgeprägt sind, wird ein klimabewusster Lebensstil fremd bleiben müssen. Ein solcher ist aus Sicht des Einzelnen nur dann erstrebenswert, wenn die eigenen Anstrengungen auch mit positiven Bedeutungskonnotationen versehen werden können.

Die ruinieren unser Klima

Am sichersten gelingt diese Operation noch immer im beständigen Vergleich mit anderen, weniger umweltbewussten Existenzen - sei es in der moralisierenden Abwertung der Ignoranten in der eigenen Nachbarschaft ("das muss doch wirklich nicht sein"), sei es in der selbstgerechten Verurteilung von China, Brasilien und den USA, die gern unter Generalverdacht gestellt werden, "unser Klima zu ruinieren".

Man könnte über die Fragwürdigkeit solcher Motivlagen getrost hinwegsehen, wenn sie denn spürbar positive Klima-Effekte nach sich ziehen würden. Dies aber ist allzu häufig nicht der Fall, vor allem deshalb, weil der Einzelne der Komplexität klimapolitischer und energiewirtschaftlicher Funktionszusammenhänge meist nicht gewachsen ist.

Nur ein Beispiel: Der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass Stromsparen im Haushalt zu einer Verminderung des CO2-Ausstoßes führen wird. Dem ist jedoch mitnichten so. Denn das EU-Emissionshandelssystem ist so konstruiert, dass das Gesamtvolumen der Emissionsberechtigungen, die von Kraftwerksbetreibern und energieintensiven Industriezweigen erworben werden müssen, schon auf Jahre hinaus festgelegt ist, mit stetig sinkender Tendenz. Eine verminderte Elektrizitätsnachfrage privater Haushalte ändert nichts an der Gesamtzahl der ohnehin knappen Zertifikate.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Stromsparen nicht weiterhilft.

Der Einzelne ist machtlos

Zwar kann durch privates Stromsparen zunächst der CO2-Ausstoß eines nahegelegenen Kohle- oder Gaskraftwerks sinken, es ermöglicht den Kraftwerksbetreibern jedoch, die nun überschüssigen Zertifikate an der Strombörse zu verkaufen. Die Emissionen werden also lediglich verlagert, entweder auf andere Kraftwerke oder hin zu industriellen Großverbrauchern von Elektrizität.

Je mehr die umweltbewussten Haushalte einsparen, desto mehr und demzufolge günstigere Zertifikate kommen auf den Markt. Davon profitieren vor allem energieintensive Industrien wie Stahl- und Aluminiumhütten, für die der Druck zur Anpassung ihrer Produktionsprozesse ein wenig abgemildert wird - was in volkswirtschaftlicher Hinsicht nicht das Schlechteste ist, für den klimabewussten Verbraucher aber sich nicht der Grund war, sich eine effizientere Waschmaschine zu kaufen.

Die Liste alltäglicher Beispiele für nicht-intendierte Effekte oder nur unzureichend durchschaute Zusammenhänge ließe sich beinahe beliebig verlängern. Eine Minderheit konsultiert in solchen Fragen nicht nur eifrig die einschlägigen Fachmedien, mit noch größerem Eifer diskutiert sie darüber in zahllosen Online-Foren. Die Mehrheit aber steigt an genau diesem Punkt aus, eben weil der Alltag in der Spätmoderne noch ganz andere Herausforderungen bereit hält, als einen zweifelsfrei nachhaltigen Lebensstil zu pflegen, etwa: Geld verdienen, die Kinder zum Sport bringen, mal eben kurz in die Mails schauen.

Der Alltagsverstand

Weil der Alltagsverstand aber nichts mehr fürchtet als fortwährende Ambivalenzen, wird das Wissen einfach den eigenen Möglichkeiten und Präferenzen angepasst. Die Systemausschnitte für die möglichst positive Bewertung der eigenen Alltagspraxis werden so gewählt, dass der Vorreiter-Anspruch gewahrt und das Gewissen beruhigt bleibt.

Vielen wird es genügen, nun nur noch "im Kleinen" einen Unterschied zu machen. Hin und wieder das Auto stehen lassen. Flüge in Kombination mit den angebotenen Projekten zur CO2-Kompensation buchen: "Immer noch besser als nichts". Wer ein bisschen Geld in die Hand nimmt und sorgfältig plant, kann aber auch mit strategischen Kaufentscheidungen beträchtliche Distinktionsgewinne erzielen - mit einer Solaranlage auf dem Dach natürlich leichter als mit einer Modernisierung der im Keller versteckten Heizungsanlage. Und das neue Auto sollte nicht nur über einen Hybrid-Antrieb verfügen, sondern als solches auch deutlich zu erkennen sein. Der Anspruch ist schließlich, durch nachhaltigen Konsum den uneinsichtigen Mitbürgern ein gutes Beispiel zu sein.

Misst man den Ansatz einer ökologisch ausgerichteten "Alltagspolitik" aber an seinen eigenen Ansprüchen, so fällt die Bilanz der letzten 30 Jahre doch recht bescheiden aus. Nicht einmal Energiesparlampen und CO2-arme Autos haben sich bislang am Markt durchsetzen können. Auf die Energie- und Materialeffizienz von industriellen Produktionsprozessen haben Endverbraucher ohnehin keinen Einfluss. Eine "Individualisierung von Verantwortung" kann deshalb nicht zum Ersatz für den erfolgversprechenderen Weg einer politischen Regulierung werden.

Es hat sich als wenig effektiv erwiesen, energie- und klimapolitische Entscheidungen mit gruppenspezifischen Moralvorstellungen aufzuladen. Weitaus zielführender ist es, durch politische Rahmensetzungen vermehrt Anreize für professionelle Akteure zu schaffen, eine Vielzahl von energieeffizienten und klimafreundlichen Lösungen zu entwickeln.

Ungefragt

So ist etwa der vergleichsweise hohe Ausbaustand bei erneuerbaren Energieträgern in Deutschland keineswegs einer besonders großen Zahl an bewussten Ökostromkonsumenten zuzuschreiben, sondern dem regulatorischen Modell der Einspeisevergütung, das die großen Energieversorger dazu zwingt, die Gesamtproduktion an Wind- und Solarstrom zu staatlich festgelegten Preisen in die Elektrizitätsnetze einzuspeisen und die anfallenden Kosten "ungefragt" auf alle Stromkunden umzulegen.

Und seit die EU im vergangenen Jahr beschlossen hat, den Anteil der Erneuerbaren am Energieverbrauch bis 2020 auf 20 Prozent zu steigern, investieren auch die großen Energieversorger massiv in diesen Sektor. Nicht deshalb, weil sie plötzlich "grün" geworden wären, sondern weil dieses Geschäftsfeld aufgrund politischer Grundsatzentscheidungen ökonomisch lukrativ zu werden verspricht.

Eine De-Politisierung der Alltagspraxis wäre keineswegs gleichbedeutend mit dem Ende von Umweltpolitik, ganz im Gegenteil. Sie brächte dem Einzelnen nicht nur eine Entlastung von letztlich uneinlösbaren Ansprüchen an sein individuelles Handeln. Sie könnte zugleich auch eine Re-Politisierung des Umweltbewusstseins beflügeln. Denn die entscheidenden Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Veränderungen werden nicht auf dem Feld des privaten Konsums ausgetragen, sondern auf dem der institutionalisierten Politik.

Der Autor ist Kulturanthropologe und Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

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