Überleben in Ägypten:Café noir für das Krokodil

Ahmed Mourads Kairo-Krimi "Vertigo" ist ein Generationenporträt aus dem aktuellen Ägypten. Dass es mit Filmzitaten gespickt ist, zeigt: wer in einer Diktatur überleben will, muss Rollenspiele beherrschen.

Von Alex Rühle

Bei solch einem Doppelleben muss einem fast zwangsweise schwindlig werden: Tagsüber war Ahmed Mourad jahrelang der Hoffotograf von Hosni Mubarak und rückte den ägyptischen Präsidenten immer neu ins rechte Licht, fotografierte Staatsempfänge, Fabrikeröffnungen und Mubarak im Kreise seiner Familie. Abends saß er mit seinen jungen, gut ausgebildeten, arbeitslosen Freunden in den Bars von Kairo rum und hörte ihnen dabei zu, wie sie über ihr von Mubarak verpfuschtes Leben lamentierten.

Schreiben als psychische Notwehr, Ahmed Mourad hat in mehreren Interviews diesen Impuls betont. Er habe gar nicht anders gekonnt, als seine Wut und Ohnmacht ins Schreiben zu kanalisieren. Andernfalls, so sagte er es 2012, nach dem Sturz Mubaraks, wäre er "explodiert". So kam es also, dass er tagsüber für ihn arbeitete und nachts gegen ihn anschrieb. Man muss ihm glauben, dass er anfangs, also 2007, gar nicht daran dachte, seinen Text jemals zu veröffentlichen, schließlich sind die Parallelen zwischen seinem Helden und ihm offensichtlich bis zur Tollkühnheit. Beide heißen Ahmed, tragen eine Brille, sind am 14. Februar, dem Valentinstag, geboren und haben ihren Fotografenjob von ihrem Vater geerbt. Nur dass der fiktive Achmad Kamâl nicht Hoffotograf ist, sondern nach einem BWL-Studium mittlerweile mit Hochzeitsbildern sein Geld verdient (warum die deutsche Übersetzung den Autor Ahmed, den Helden aber Achmed nennt, bleibt ein Geheimnis des Lenos-Verlags)

Wie in Alfred Hitchcocks "Rear Window" wird ein Foto zum Beweismittel

. Am Rande einer solchen Hochzeitsfeier wird er Zeuge eines Massakers, bei dem ein sinistrer Wirtschaftsmogul umgebracht und ein anderer Magnat so brutal eingeschüchtert wird, dass er danach das Land verlässt. Die Attentäter exekutieren aber auch alle Augenzeugen, darunter Ahmads besten Freund. Er selbst hat sich auf einem Balkon versteckt, von wo aus er die Morde fotografiert.

Krimibilder

Die Bar, in der der Mord geschieht, liegt schwindelerregende vierzig Stockwerke über Kairo und heißt "Vertigo", so wie Mourads Roman - und der Hitchcock-Thriller, in dem James Stewart die eigene Höhenangst überwinden muss, um ein diabolisches Lügengespinst aufzudecken.

Mourad, der an der Filmhochschule von Kairo studiert hat, spickt seinen Krimi mit vielen Hitchcock-Anspielungen und mit noch mehr Zitaten und Namen aus ägyptischen Filmen. Auch sonst arbeitet er viel mit Metaphern aus der Film- und Fernsehwelt, etwa wenn er über einen Bediensteten schreibt: ",Kaffee, Eure Exzellenz, so wie jedes Mal?', warf Mustafa ein, ähnlich wie die Leute, die sich in den Nachrichten hinter die Reporterin stellen und winken, um ins Bild zu kommen." Es geht eben viel um Inszenierung und Rollenspiel, wenn man in einer Diktatur überleben will.

Im Nachhinein kann man sich nur wundern, dass Ahmed Maroud mit seinem Debütroman, der 2007 in Kairo erschien, keine Probleme bekam, schließlich zeichnet er in "Vertigo" ein desaströses Bild seines Heimatlandes. Achmad Kamâl kommt einem immer größeren Geflecht aus Korruption und Opportunismus auf die Spur, ganz Kairo wirkt wie ein einziger Morast, in dessen Mitte "der Pascha" sitzt wie ein zwar träges, aber doch bis zuletzt hochgefährliches Krokodil. Hätten Mubarak und seine Entourage damals mehr Bücher gelesen, vielleicht hätten sie gemerkt, was für ein explosives Gemisch sich da direkt vor ihren Palästen zusammenbraute.

Die Wirtschaftsbosse und Paten bereichern sich alle auf Kosten der Armen, ihr Netz ist so engmaschig geknüpft, dass auch der kleinste Fisch darin hängen bleiben muss. Selbst der vermeintlich so mutige Chefredakteur einer vermeintlich oppositionellen Zeitung erweist sich als korrupt: Anfangs glaubt Ahmad noch, es reicht, wenn er seine Fotos der Staatsanwaltschaft zuspielt. Es geschieht natürlich nichts. Als er sein Material dann aber der Zeitung schickt, die ironischerweise Freiheit heißt, und die all die Bilder nur nutzt, um sie zu vermeintlichen Beweisen einer abstrusen Eifersuchtsstory umzudeuten, weiß er, dass er, so wie es sich in einem Noir gehört, auf sich allein gestellt ist.

Cover und Porträt Ahmed Mourad - Vertigo

Ahmed Maroud, geboren 1978 in Kairo, war bis zu Mubaraks Sturz dessen Fotograf. Er veröffentlichte bislang drei Thriller und einen historischen Roman, die allesamt zu Bestsellern in Ägypten wurden.

(Foto: Lenos)

Der Krimi selbst ist konventionell gebaut, es gibt die zwei loyalen, mutigen Freunde, es gibt die verschiedenen Kartelle, es gibt eine Liebesgeschichte, die mit ähnlich süßen Aromastoffen versetzt ist wie ägyptisches Gebäck. Mourad hat seinen Krimi aber dazu genutzt, ein beeindruckendes Generationenporträt zu skizzieren, Ahmads Freunde, die in London und New York studiert haben, um jetzt in Kairo dabei zusehen zu müssen, wie ihr Land an Inkompetenz, Opportunismus und gerontokratischer Lähmung zugrunde geht. Auf der anderen Seite gibt es Menschen wie Ahmads Schwester, die sich mit einem muslimischen Fundamentalisten eingelassen hat, eine Frau, die einst Soziologie studiert hat, aber nun zwischen sich und ihre Vergangenheit den Gesichtsschleier zieht. All das ist in so sicherem Stil und so witziger Sprache erzählt, dass es nicht wundert, das Mourad mittlerweile zu den wichtigsten Autoren seiner Generation gehört.

Ahmed Mourad: Vertigo. Aus dem Arabischen von Christine Battermann. Lenos Verlag, Basel 2016. 398 Seiten, 22 Euro. E-Book 15,99 Euro.

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