Übergriffe in Hollywood:Kevin-Spacey-Filme auszusortieren ist auch keine Lösung

House of Cards

In House of Cards spielte Kevin Spacey die Figur des skrupellosen US-Präsidenten Frank Underwood. Wie schaut man nach den Vorwürfen gegen den Schauspieler auf die Serie?

(Foto: Sky Atlantic)

Wie soll man umgehen mit Schauspielern, denen sexuelle Belästigung vorgeworfen wird? Ein erster Schritt wäre, zwischen Kunstwerk und Künstler zu unterscheiden.

Von Luise Checchin

Irgendetwas hat sich anders angefühlt als beim Fall Harvey Weinstein. Man hat ein bisschen länger gezögert, bevor man den Gedanken zuließ: Kevin Spacey? Wirklich? Und dann ein paar Tage später: Dustin Hoffman? Der auch? Natürlich ist so eine Reaktion unsinnig. Jemand kann ein großartiger Schauspieler sein und trotzdem ein Verbrechen begehen. Aber Harvey Weinstein war eben ein Produzent, den außerhalb des Showbusiness kaum jemand wahrnahm. Kevin Spacey und Dustin Hoffman sind Künstler, deren Kunst einen jahrzehntelang begleitet hat. Man hat sich mit ihnen verliebt, mit ihnen gelitten, hat ihre Gesichter dabei beobachtet, wie sie alterten.

Rain Man, American Beauty, Die Reifeprüfung, House of Cards. Soll man nun anders mit diesen Werken umgehen, weil ihre Hauptdarsteller unter dem Verdacht stehen, sich der sexuellen Belästigung schuldig gemacht zu haben? Sollte man Spacey und Hoffman von jetzt an als Schauspieler boykottieren? Darüber nachzudenken, ist nicht nur Aufgabe von Produzenten, auch das Publikum muss sich zwangsläufig fragen, wie es zu den Schauspielern und ihren Filmen steht.

Die Filmbranche hat sich im Fall von Kevin Spacey überraschend schnell positioniert und übt sich zurzeit in der Kunst der Distanzierung. Am Dienstag strichen Produzenten der NBC-Serie "This is Us" eine Referenz über einen Kevin-Spacey-Film aus einem Dialog der aktuellen Folge. Sie ersetzten sie schlichtweg mit einer Anspielung auf den Schauspielerkollegen Christian Bale. Und der Streamingdienst Netflix entschied sich Anfang der Woche, die Dreharbeiten zur sechsten Staffel House of Cards zu unterbrechen. "Das gibt uns Zeit, die Situation zu bewerten", hieß es als Begründung.

Wie genau aber lässt sich eine solche Situation bewerten? Wie schwierig die Frage zu beantworten ist, zeigt sich schon daran, wie häufig sie in der Vergangenheit gestellt wurde, etwa bei Künstlern, die im 20. Jahrhundert dem faschistischen Denken nahe standen. Ein bisschen hilft es schon, wenn man die Frage unterteilt - in den Umgang mit dem Werk und den Umgang mit der Person.

1967 rief der französische Philosoph Roland Barthes in einem Aufsatz den "Tod des Autors" aus. Der Sinn eines Textes werde vom Leser erzeugt, die Person des Schriftstellers, sein Wirken und seine Intentionen seien dabei nachrangig. Barthes' Aufsatz wurde in den darauffolgenden Jahrzehnten heftig diskutiert. Sein Kerngedanke aber bleibt hilfreich, egal um welche Kunstform es sich handelt: Es ist legitim - und äußerst aufschlussreich - zwischen einem Kunstwerk und der Person zu unterscheiden, die das Kunstwerk produziert hat. Diese Unterscheidung fällt in gewisser Weise sogar leichter, wenn es um Filme geht, die ja sehr viel stärker als Literatur eine Teamleistung sind. Wer nun zum Beispiel die Serie House of Cards boykottiert, bestraft damit automatisch auch Robin Wright, die zweite Hauptdarstellerin, die nichts für das mögliche Fehlverhalten ihres Kollege Kevin Spacey kann. Natürlich ist eine Theorie nie ganz in die Praxis umzusetzen. Wer heute die Reifeprüfung oder American Beauty guckt, wird dabei wohl andere Gefühle und Assoziationen haben als vor den Belästigungsvorwürfen. Aber gucken kann und sollte man sie allemal, denn es sind fantastische Filme.

Die Vergangenheit, die bereits produzierten Filme, sind das eine. Aber wie sieht es mit der Zukunft aus? Sollte die Filmbranche weiter mit Künstlern wie Spacey oder Hoffman arbeiten?

Muss man Roman Polanski wirklich mit einer Retrospektive ehren?

Nein, könnte man argumentieren. Denn mit jeder Rolle, die eine Produktionsfirma den Schauspielern von nun an gibt, positioniert sie sich implizit zu den Vorwürfen, die gegen die beiden erhoben werden. Sie zeigt damit, dass die möglichen Übergriffe weniger schwer wiegen als die künstlerische Leistung der Schauspieler. Man könnte aber auch einwenden, dass pauschale Berufsverbote einen bitteren Beigeschmack haben, dass jeder Mensch eine zweite Chance erhalten sollte, unter bestimmten Umständen. So unbefriedigend das auch klingt: Man wird von Fall zu Fall, von Künstler zu Künstler, entscheiden müssen. Wie genau sah der Übergriff aus? Wann hat er stattgefunden? Gab es strafrechtliche Konsequenzen? Wie ist der Künstler mit den Vorwürfen umgegangen? Wie glaubwürdig ist seine Reue? Wie wahrscheinlich ist es, dass ein solches Verhalten in Zukunft nicht mehr vorkommt?

Was bei aller Differenzierung allerdings feststehen muss: Eine öffentliche Figur, die Menschen sexuell belästigt hat, muss auch irgendeine Form der öffentlichen Sanktionierung spüren. Netflix hat sich erstaunlich schnell von Kevin Spacey distanziert, sich aber gleichzeitig auch alle Möglichkeiten offen gehalten. Das ist einerseits verständlich, immerhin gilt es, Vorverurteilungen zu vermeiden. Aber wichtig ist auch, sollten sich die Vorwürfe gegen Spacey bewahrheiten, klar Haltung zu zeigen. Hat die Filmbranche sich doch bisher dadurch ausgezeichnet, das Verhalten ihrer Stars nach sehr undurchsichtigen Maßstäben zu bewerten. Winona Ryder, die 2002 wegen Ladendiebstahls verurteilt wurde, spielte danach jahrelang in keinem Film mehr mit. Roman Polanski dagegen, dem unter anderem vorgeworfen wird, 1977 eine 13-Jährige betäubt und missbraucht zu haben, kann sich gerade über eine Retrospektive in der altehrwürdigen Pariser Cinémathèque freuen. Ist es wirklich nötig, eine so fragwürdige Figur auf diese Weise zu ehren, fragten Teile der französischen Öffentlichkeit empört.

Es ist gut, dass darüber debattiert wird, aber die Debatte sollte hier nicht enden. Denn es geht nicht nur darum, wer Aufmerksamkeit bekommt, sondern auch, wem sie vorenthalten bleibt. Wie viel Kreativität, könnte man fragen, ist verhindert worden durch die zerstörerischen Strukturen, die im Filmgeschäft - und nicht nur dort - herrschen? Wie viele Karrieren sind torpediert worden oder konnten gar nicht erst beginnen? Anstatt also Polanski, Spacey oder Hoffman aus der privaten Filmsammlung auszusortieren, gilt es, darüber nachzudenken, wie in Zukunft die Kultur in kreativen Branchen verändert werden kann. Wenn endlich annähernd so viele Frauen wie Männer in den entscheidenden Positionen des Filmgeschäft säßen, wenn es kein Allmachtsdenken und keinen blinden Geniekult mehr gäbe, dann hätten potenzielle Täter es um einiges schwerer.

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