TV-Serienklassiker (5):Die Kunst des Schweigens

Josef Abrhám vom "Krankenhaus am Rande der Stadt" war schon lange vor George Clooney ein Herzensbrecher im weißen Kittel.

Jana Hensel

Das Fernsehen als Sammelplatz der Familie - noch immer teilen sehr viele Menschen diese Erfahrung, und bereichert wird diese Erfahrung vor allem durch einige Serien, die über Jahre liefen, die die Gesprächskultur prägten und irgendwann Kult wurden. In einer Reihe beschreibt die SZ diese TV-Klassiker.

Krankenhaus am Rande der Stadt

Menschen statt Staffagen: Die tschechoslowakische Ärzteserie lief 1979 im DDR-Fernsehen und dann in der ARD.

(Foto: Foto: MDR)

Wahrscheinlich ist es immer so, dass man die Gegenwart erst durch die Vergangenheit erkennt. Und nie umgekehrt. Ich hatte den ganzen Tag in einem kalten Keller eines Fernseharchivs alte Folgen meiner Lieblingsserie geschaut. Dabei hatte sich das Zentrum der Welt verlässlich wie in Kindertagen ins Krankenhaus am Rande der Stadt verschoben. Am Abend lag ich dann erschöpft und mit einem warmen Tee (im August!) auf dem Sofa und stieß, ganz und gar zufällig, im laufenden Fernsehprogramm auf In aller Freundschaft.

Für die meisten Menschen wird zwischen den beiden Ärzteserien kaum mehr als ein äußerer Zusammenhang bestehen. Für mich jedoch, die ich in Leipzig geboren und dort mit den tschechoslowakischen Ärzten aufgewachsen bin, sind das Team der heutigen Sachsenklinik und das vergangene um Chefarzt Dr. Arnošt Blažej in Nový Bor mehr als nur durch den Lauf der Zeit verbunden. Vielleicht glaube ich sogar, dass sie in mir wie in einem Punkt auf einer Achse zusammentrafen und einander begegneten. Als die berühmten zwei Seiten einer Medaille oder die eines Spiegels, den man in der Hand halten und wenden kann.

Von einer Sekunde auf die andere sah ich plötzlich durch Dr.Heilmann, Dr.Globisch, Dr. Simoni und all die anderen hindurch. Ich erkannte sie als jene Hüllen, Schablonen, Staffagen, die sie sind und in denen sie dennoch vorgeben, Figuren zu sein. Sie stehen in ihren weißen Kitteln in den weißen Räumen herum, als glaubten sie selbst nicht mehr, die wenig barocke Landschaft ringsum beleben zu können. Die Seelen ihrer Figuren tragen sie auf der Zunge umher. Und nach getaner Arbeit in der Klinik gehen sie nach Hause und setzen sich in ihre Wohnungen aus Plastik.

Realsozialistische Ödnis

Es mag komisch klingen, ich bin mir dessen bewusst, aber noch am Morgen, im Keller des Archivs, hatte ich Menschen gesehen. Weder Figuren noch Hüllen, weder Schablonen noch Schauspieler. Es waren Menschen gewesen, die mir nun, nachdem sie mich aus ihrer Vergangenheit der siebziger Jahren entlassen hatten, eine Gegenwart zeigten, die schaler nicht sein konnte.

Die Ärzte im Krankenhaus am Rande der Stadt liefen mit aristokratischen Gesichtern durch die Ödnis des Realsozialismus. Fuhren sie, was selten genug vorkam, mit ihren kleinen Skodas oder den großen Wolga-Taxis in die Hauptstadt nach Prag hinüber, dann schlugen sie die Türen ihrer Wagen zu, als wären sie Jean-Paul Belmondo und stünden auf den Champs-Élysées. Im Hintergrund sah man große, graue Plattenbauten. Auf den gelben Fassaden alter Häuser hing der Putz in großen Flächen herunter.

Dr.Blažej (Josef Abrhám) galt als Frauenschwarm, Verführer und Herzensbrecher. Er ließ sich mit der schönen und schweigsamen Schwester Ina - die in all den Folgen, an die ich mich erinnern kann, kaum mehr als drei Sätze zu sagen bekam - auf eine Affäre ein. So hieß es offiziell, vielleicht aber liebte er sie. Darüber jedoch spricht man im Krankenhaus am Rande der Stadt nicht einfach zwischen Tür und Angel, zwischen Sprechstunde und Visite. Solche Dinge trägt der Mensch in seinem Herzen und ist sich dort selten wirklich sicher. Dem Schauspieler kann man über viele Folgen allenfalls zuschauen, wie er umhergeht, und sich fragen, ob er Ina nun liebt oder nicht, ob er sie oder seine Frau verlassen wird. Viel später dann - Dr. Blažej ist aus Karrieregründen zu seiner Frau zurückgekehrt, wie es heißt, aber wer will das schon wissen - wird Ina sich im Nachtdienst zu ihm ins Zimmer legen. Und Dr.Blažej wird ihr ein Kind machen. Das alles kann man sehen, gesprochen wird darüber, als wäre man in einem Stück von Ibsen, nicht.

In dieser Reduzierung kehrt die Sprache im Krankenhaus am Rande der Stadt zu ihren Wurzeln zurück. Sie gibt dem Menschen nicht viel mehr als ein Gesicht unter vielen, ist nicht mehr als ein Realitätsfilter unter anderen. All das kann man in der verquatschten, ins Geständnis verliebten Gegenwart des Fernsehens mitunter vergessen haben.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: