TV-Serienklassiker (6):Das Lustprinzip

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"MTV mit Bullen" - so nannte Regisseur Michael Mann seine Serie "Miami Vice", in der zwei Undercoveragenten als Popstars wurden.

Christopher Keil

Als Sonny Crockett nach Deutschland kam, kam er zunächst als Ersatz. So jedenfalls wurde das damals, im Dezember 1986, wahrgenommen. Die ARD hatte einen Programmplatzhalter für ihre beschwingt-intrigante Familienbande aus Dallas gesucht und "Miami Vice" gefunden. Der Pilotfilm, der Figuren und Konstellationen in 90 Minuten erklären musste, trug den Titel "Heißes Pflaster Florida".

Er war Sonny Held Crockett in "Miami Vice" - Don Johnson (Foto: Foto: AP)

Die Undercoveragenten Sonny Crockett und Ricardo Tubbs sehen am Schluss ein Wasserflugzeug in der Dunkelheit verschwinden. An Bord schaut der südamerikanische Drogenbaron auf die Biscayne Bay zurück. Ein korrupter Haftrichter hatte ihn freigelassen.

"Der kommt wieder", sagt Crockett zu Tubbs. "Sie kommen alle wieder. Sie können der Versuchung von Miami nicht wiederstehen." Dann steuert er seinen schwarzen Ferrari 365 GTB/4, einen California Daytona Spider, wie ein Rodeoreiter vor die Skyline, und Phil Collins singt zu den flackernden Neonlichtern In the Air tonight.

Melancholie des Scheiterns

Von Anfang an trug Miami Vice die Melancholie des Scheiterns in sich. An einem Ort, an dem sich kubanische Flüchtlinge und Umstürzler, lateinamerikanische Desperados, alle Sorten Blender, Gauner, Glücksritter, natürlich Dealer und Geldwäscher ein vibrierendes Leben in praller Art-Deco-Kulisse liefern, wird das Verbrechen nie zu besiegen sein.

Es ging in den Episoden von Miami Vice immer nur um rasante Lebensgefühle, um flüchtige Stimmungen und pastellfarbene Räusche. Um Inhalt oder Dialoge ging es nie. Michael Mann hat Miami Vice einmal "als MTV mit Bullen" bezeichnet.

Immer ohne Socken

Mann hat die Serie erfunden und produziert. Er ließ Fernsehen in Kinoqualität herstellen und Don Johnson (Crockett) und Philipp Michael Thomas (Tubbs) wie Popstars inszenieren. Da waren zwei Jungs um die Dreißig, der eine weiß, der andere schwarz. Sie trugen lockere Designerklamotten aus Leinen, Loafers, aber nie Socken.

Sie fuhren die schnellsten Autos, kamen in alle Nachtklubs, kannten jede hübsche Nutte zwischen South Beach und Little Havanna. Im dichtesten Kugelhagel verloren sie weder die Fassung, noch verloren ihre Frisuren den Halt. Am Ende oder in der Schlüsselszene hörte man zu schnellen Schnitten oder Zeitlupen im Sonnenuntergang die erfolgreichsten Songs der Achtziger-Hitparaden, also Depeche Mode, Tina Turner, Lionel Richie, U2.

Mit großer Radikalität wurde das bisher bekannte Räuber-und-Gendarm-Muster, nach dem gestandene Männer wie Telly Savalas (Kojak), Karl Malden (In den Straßen von San Francisco) oder Peter Falk (Colombo) ermittelten, gebrochen.

Crockett und Tubbs wussten spätestens nach der Ermordung ihres Chefs, dass das Verbrechen gewonnen hatte, dass es im Zeitalter des Shareholder Values und der boomenden Börsen keine Chance mehr gab, die Hintermänner der Killer und des Drogenhandels einzubuchten. Die Hintermänner saßen bestimmt in Medellin, sie saßen aber auch in Washington und an der Wall Street. Moralische Fragen wurden nicht mehr gestellt.

Hedonismus der Reagan-Ära

Wie keine andere Serie spiegelt Miami Vice den triebhaften Hedonismus der Reagan-Ära. Das losgelöste Draufgängertum von Crockett und Tubbs entsprach dem Lebensgefühl der erfolgsversessenen Yuppie-Generation. Miami war mit seiner Exotik und Schwüle das Schlaraffenland des protzigen Luxus.

Verkauft wurde das Koks zwar weiter in der schmutzigen Unterwelt, doch seine Kaufkraft durfte sich unter Diskokugeln, in gestylten Penthousewohnungen, schneeweißen Architektenvillen und nackten Frauenbrüsten am Pool ausdrücken. Darin war die Serie der Realität sehr nahe.

Bindungen können auf dieser ästhetisierten Oberfläche nicht entstehen. Crockett hatte zwar einen Sohn. Er heiratete sogar noch einmal, doch die Braut wurde bald erschossen. So war die Geschichte von Crockett und Tubbs eine Geschichte des Verlustes. Freundschaften endeten in Verrat, Liebschaften führten zum Tod. Es blieben Armani, Ray Ban, Flamingos, Häuser von Richard Meier und In the Air tonight.

© SZ vom 12.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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