TV-Nachtkritik: "Schlag den Raab":Also sprach Raabathustra

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Viel Schweiß, Spucke und Scheine: Stefan Raab entscheidet mit übermenschlich anmutenden Fähigkeiten den Kampf um zwei Millionen Euro wie immer für sich.

Tomasz Kurianowicz

Wenn Sie einer von jenen vielen Lehman-Brothers-Ex-Aktionären sind, die seit Oktober eine Stress-Parkour in ungeahntem Ausmaß absolvieren, und sich darüber ärgern, keine Zeitungsseite, keinen Fernsehsender, kein Radioprogramm mehr aufschlagen und einschalten zu können, ohne sich an die gruselige Talfahrt Ihrer Depot-Kurve erinnert zu fühlen, so sei ihnen versprochen: Das inflationäre Stichwort "Finanzkrise" bleibt ihnen hier erspart.

Bedürfnis, TV-Geschichte zu schreiben: Stefan "Raabathustra" Raab. (Foto: Screenshot: ProSieben)

Weil aber die pekuniären Sachzwänge unangenehm im Schuh drücken, sei zumindest der Ratschlag gestattet, dass die Millionen, die Sie zur Geldmaximierung und damit für die Rückkehr in die bürgerliche Gesellschaft und zurück in den Ledersessel ihres verpfändeten Ferraris benötigen, in einem Studio in Köln auf sie warten: Bei Stefan Raabs "Schlag den Raab".

Es könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht

"Das hab ich mir irgendwie schöner gedacht. Ich glaub ich hab irgend 'nen Fehler gemach. Ich hatte doch höhere Ziele, wollt Roederer trinken, Vermögen verdienen über Nacht. Stattdessen sitz ich hier den ganzen Tag, trink zuviel Kaffee, den ich nicht vertrag, kopiere Papiere, die ich eh nicht kapiere und später sortiere ich sie in ein Fach..." (Die Fantastischen Vier)

Ja, auch Marcus, der Gymnasiallehrer, dachte vermutlich, dass das Gewinnen einfacher, ja simpler sei, irgendwie hätte es doch gelingen müssen, diese bizarre Figur, diesen verfluchten Berserker mit dem Namen Stefan Raab aus dem Rennen zu schlagen, mit welchen Mitteln und Methoden auch immer. Doch langsam mag man an das Menschsein dieses omnipotenten Alleskönners nicht mehr glauben.

Stefan Raab, der Übermensch, der sich über uns gewöhnliche Menschen emporhebt, hat sich aus den mettwurstgeformten Bergen der Weisheit hinübergewagt zu uns Sterblichen, mit dem unstillbaren Bedürfnis, TV-Geschichte zu schreiben. Welch grausiges Spiel hat er getrieben, welch unwürdiges, peinliches Martyrium seinem Gegner aufgedrängt, bevor er das tat, was er immer tut: zu siegen.

Auf der nächsten Seite: Wie der Raabathustra optisches Sehvergnügen präsentierte und seinen Gegner in die Knie zwang

Dabei schien noch der Vorspann einen würdigen Antipoden anzukündigen: Wohl geformter Stahlkörper, gewitzte Intelligenz, ein belesener Verstand und beißende Selbstironie. Ein Mann mit dem Zeug zum Sieger. Doch schon nach den ersten drei Disziplinen zeigte sich die Unbeholfenheit, die notorische Schwäche des Germanisten, durch das sich der Fall des Raabschen Damoklesschwerts entscheiden sollte.

Auch wenn Marcus das Konterfei von Bertolt Brecht erkannte, fehlte ihm das Geschick, Lindenstraßen-Stars und andere Soap-Größen richtig zuordnen zu können. Der Raab-a-thustra hingegen brillierte mit Weisheit, Schnelligkeit und Humor, kannte mehr Prominente, rutschte galanter auf dem Eis, schoss mehr Tore und losch von einer Feuerwehrleiter mehr brennende Kerzen aus als sein winselnder, in zittrige Unruhe verfallender Konkurrent. Raabs Worte hallten nach wie das süße Flüstern eines griechischen Orakels: Ich werde gewinnen!

Die Würfel sind gefallen

"Ich möchte verschenken und austeilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder einmal ihrer Torheit und die Armen wieder einmal ihres Reichtums froh geworden sind..." (Friedrich Nietzsche)

Ganz aus der Hüfte, mit nonchalanter Selbstgefälligkeit, präsentierte Raab nebenbei ein neues optisches Sehvergnügen: Fußball auf dem Eis mit Bowlingschuhen. Wie er über die gefrorene Fläche schlitterte, seinen Gegner dabei rücksichtslos überholte, der - an ein Faultier erinnernd - den von Raab langsam angerissenen Bällen tatenlos hinterherschaute - das war die unwiderrufliche Entscheidung einer sich noch lange hinziehenden Nacht.

Zum Schluss holte Marcus zwar auf, gab noch ein letztes Röcheln von sich, doch gegen den boulevardesk geschulten Raab blieb ihm keine Chance, um das herannahende Schicksal abwenden zu können. Schließlich brachen ihm die englischen Royals das Genick: Denn nur der altkluge Übervater wusste zu beantworten, wie viele Kinder Queen Elizabeth II. gebar: stolze vier.

Als der letzte Gong erklang, Stefan Raabathustra Raab seine Hände als Zeichen des Sieges gen Himmel hob, ein breites, weißes Grinsen seine Mundwinkel zierte, war es der heimliche Sog eines Déjà-Vu-Gefühls, der sich im Studio auszubreiten begann. War es wirklich real, was hier geschah? Tatsächlich: Zum vierten Mal in Folge ging das Lorbeerblatt an den Meister der Verrenkung und Versenkung: Stefan Raab.

In all der Verbitterung und Ernüchterung offenbarte sich dem Deutschlehrer Marcus die beruhigende Lage seiner Existenz: Er musste wohl gespürt haben, dass ein krisenfester Job in der Heimat auf ihn wartet. Ach wie wahr! Schön ist es, Lehrer zu sein.

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