TV: Merkel bei Anne Will:Neue Rolle als "Staatschefin"

Die arg gerupfte Kanzlerin besucht Anne Will, um ihre Sympathiewerte zu verbessern. Die CDU-Chefin präsentiert sich mal ernst, mal schnippisch als Antwort auf die Heimsuchung der Krise.

Hans-Jürgen Jakobs

Wenn es bei Spitzenpolitikern einmal nicht richtig rund läuft, wenn die eigene Partei renitent wird und der Bündnispartner erst recht, dann haben sie in Zeiten der Telekratie eine einfache Wahl: Sie werden in TV-Talkshows persönlich, am besten in einem One-to-one-Gespräch mit eingebauter Sympathiegarantie.

Bundeskanzerlin Angela Merkel im Gespräch mit Anne Will, AP

Bundeskanzerlin Angela Merkel im Gespräch mit Anne Will.

(Foto: Foto: AP)

Die Kanzlerin Angela Merkel, derzeit arg gerupft, war am Sonntag zu Gast bei jener Frau, die in der ARD die Tradition der einst vielgescholtenen Sabine Christiansen mit ihren Einzelgesprächen fortführt. Und so saß sie da bei "Anne Will", die Chefin der Regierung und der CDU, die all die Anwürfe nicht gelten lassen wollte, dass niemand wisse, wofür Merkel stehe. Die Krise kam über die Welt und sie sei die Kanzlerin - deshalb sei sie die Richtige, so die einfache Botschaft der Frau im weißen Blazer.

Angela Merkel ist gewissermaßen die deutsche Antwort auf die Heimsuchung. Die Bankenkrise, Opel, Schaeffler, ein Amoklauf wie in Winnenden, alles war nicht voraussehbar. Doch jetzt nimmt sich Angela Merkel, das "Mädchen" der Helmut-Kohl-Ära, der Sache an und kämpft ehrlich um Antworten - das sollte das Solo vom Sonntag symbolisieren. Schließlich ist Wahlkampf, und Rivale Frank-Walter Steinmeier von der SPD war ja jüngst auch ganz allein im TV-Studio der ARD gewesen, bei "Beckmann".

Für Angela Merkel ist das Treffen mit Anne Will ein Berliner Heimspiel. Fragen und Einspielfilme bringen sie nicht aus dem Konzept. Sie hat ganz auf Macherin-Modus geschaltet. Da kann sie auch kühl sein. Hauptsache, die Leute glauben, dass sich diese Frau richtig um die erdrückenden Probleme kümmert, für die sie ja angeblich nichts kann.

Es geht ihr um emotionale Sicherheit, die sie vermitteln will. Mögen die anderen auf den Marktplätzen noch so poltern, es kommt in der Krise auf die Chefin an, vermittelt Merkel. Ihr Lieblingssatz an diesem Abend: "Ich als Bundeskanzlerin werde in dieser Koalition meine Aufgabe erfüllen, und zwar für die Zeit, für die wir gewählt sind." Sie lasse die Koalition "natürlich nicht" platzen und werde im Wahlkampf für ihre Maßnahmen werben, versichert sie weiter. Nur Kanzlerkandidat Steinmeier müsse "aufpassen, dass er nicht so viel rummosert, aber weiter gute Arbeit macht in der Regierung".

Keine Sorge, beruhigt sie die Talkmasterin, nach ihrer Amtszeit würde den Leuten schon genug Positives über Angela Merkel einfallen: "Ich schlage auf meine Art zurück."

Manchmal kann das Schweigen sein. Zu Opel aber kann sie im Fernsehstudio schlecht schweigen. Also erklärt sie, es wäre keine gute Antwort für den Autobauer, wenn sich nur der Staat dort beteilige. Quasi nebenbei watscht Merkel dabei ihren Innenminister Wolfgang Schäuble von ihrer CDU ab, der über eine Insolvenz von Opel spekuliert und Vizekanzler Steinmeier von der SPD des "versuchten Betrugs" beschuldigt hatte, nur, weil er vor den Opelanern als Retter aufgetreten war. "Wir arbeiten in der Koalition eng zusammen", attestiert Merkel kurz, das Insolvenzgerede sei schädlich gewesen.

"Dinge, die aus dem Rahmen fallen"

Man ahnt, wie die Chefin mit internen Kritikern umgeht und warum es so lange so friedhofsruhig in der CDU gewesen war. Bei "Anne Will" geriert sich Angela Merkel als schnellsprechende, manchmal fast schnippische Botin der echten sozialen Markwirtschaft und der Freiheit, die vieles nicht verstehen könne bei aktuellen Krisenfällen wie jenen der Krisenbank Hypo Real Estate. Da wurde "großer Schaden" angerichtet, sagt Merkel und hebt den Zeigefinger. Nur selten sei aus Banken Selbstkritik gekommen à la: "Da haben wir Fehler gemacht."

So bleibe der Politik nur die Aufgabe des Aufräumens: "Wir müssen Dinge tun, die völlig aus dem Rahmen fallen, weil es Exzesse gegeben hat." Damit hat die Kanzlerin offenbar so viel zu tun, dass sie sich einmal bei "Anne Will" als "Staatsoberhaupt" bezeichnet, um wenig später korrekt von "Regierungschefin" zu reden.

Alle Fragen zum ordnungspolitischen, ideologischen Kern der CDU bügelt die Politikerin in ihrer großen Beliebigkeit weg. Merkel erklärt, dass sie mal konservativ, mal liberal, mal christlich-sozial sei ("das macht die CDU aus"), dass sie die CDU liebt (die wird sich freuen) und dass sie letztlich die Koalition mit der FDP wolle, auch wenn es sich die Liberalen jetzt zu leicht machen würden. Einmal schurigelt Merkel ihre TV-Interviewerin regelrecht: "Frau Will hat meine feine Ironie nicht verstanden."

Die Moderatorin bleibt brav. Es gibt sicher nur wenig schwerere Gesprächspartner als diese kontrollierte Kanzlerin, die nicht zum Fernsehen kommt, um schmutzige Wäsche zu waschen oder sich provozieren zu lassen. Das mag der Bürger vor der Mattscheibe nicht.

Die Frau aus der ostdeutschen Uckermark ist schlagfertig, und auch ihr Machtbewusstsein wird bei "Anne Will" überdeutlich. Einmal sagt sie: "Ich komme nicht aus dem Rheinland, das ist unübersehbar." Da haben die Leute im Studio herzlich gelacht.

Typisch für Merkels Manöver an diesem Abend ist ihr Lavieren in der Frage, wie viel Prozent für die Union sie am Wahlabend anstrebe. Als Anne Will auf jene 35 Prozent zu sprechen kommt, die Steinmeier Tage zuvor in der ARD für die SPD genannt hatte, sagt die Kanzlerin: "Ist ja bescheiden, ich möchte darüber sein." Damit aber sei ihre "Prognosefähigkeit" erschöpft.

Macht ja nichts. Es wird sicher nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Angela Merkel im Einzelgespräch mit einem Talkmaster ihre Sicht der Welt erklärt.

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