TV-Kritik: "Wetten, dass..?":Bitte, bitte, einen Wettskandal!

Mit einem Fuß im Katzenfutter, mit dem anderen über dem Abgrund: Thomas Gottschalk hat keine Lust mehr auf seine Show. Ihn rettet nur die Volksmusik.

Lilith Volkert

Schon nach der ersten halben Stunde wünscht man sich dringend einen ordentlichen Wettskandal. Warum nicht so: Michelle Hunziker, Gottschalks junge Co-Moderatorin, enthüllt vor laufender Kamera, dass der Gastgeber seinen Kandidaten seit Jahren Geld bietet, wenn sie freiwillig ihre Wette verlieren. Dass ein illegaler Rentnerclub die Vergabe der Showkarten fest in seiner Hand hält und horrende Eintrittspreise verlangt. Oder dass der Wettkönig nicht von den Anrufern, sondern vom hessischen Ministerpräsident bestimmt wird.

TV-Kritik: "Wetten, dass..?": Erfrischend begeistert: Michelle Hunziker versucht bei "Wetten, dass..?", gegen Gottschalks Lustlosigkeit anzugehen.

Erfrischend begeistert: Michelle Hunziker versucht bei "Wetten, dass..?", gegen Gottschalks Lustlosigkeit anzugehen.

(Foto: Foto: Getty Images)

Doch nichts passiert. Die 185. "Wetten, dass..?"-Sendung plätschert beruhigend einschläfernd vorüber. Skandale finden beim ZDF nur im Verwaltungsrat statt und das Einzige, was am Ende enthüllt wird, sind die Beine von Michelle Hunziker und Uwe Ochsenknecht.

Offensichtlich wird auch: Thomas Gottschalk hat einfach keine Lust mehr auf seine Show. Er unterbricht seine Gesprächspartner, um sinnvolle Übergänge in der Moderation bemüht er sich nicht mal. Zwei Tage vor dem Welt-Klimagipfel in Kopenhagen läuft auch seine kreative Wortspielmaschine schon im Energiesparmodus. Der beste Witz des Abends ("Morgen kommt der Nikolaus - bei Ihnen, beim ZDF geht er") verstreicht unbemerkt, von der politischen Einflussnahme auf die Zukunft des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender haben wohl die wenigsten im Saal gehört.

Ein wenig erregt sich Gottschalk noch über die unhöflichen ausländischen Gäste - Mariah Carey und Victoria Beckham haben kurzfristig abgesagt, Hugh Grant will früher gehen -, dann verabschiedet er sich in die Gleichgültigkeit.

Dafür dreht Michelle Hunziker richtig auf. Die Schweizerin steht Gottschalk nun zum dritten Mal zu Seite und ist laut Quotenwachstumsbeschleunigungsgesetz zuständig für die Zuschauerzahlen. Die übertriebene Begeisterung, mit der sie die Wetten präsentiert und von technischen Gimmicks schwärmt ("Siehst du, wie technologisch wir sind?"), wirkt im Gegensatz zu Gottschalks Lustlosigkeit schon wieder erfrischend.

Außerdem ist Hunziker die einzige Frau im deutschen Fernsehen, die mit Highheels Vespa fährt, und - nachdem es sie auf regennassem Untergrund aus der Kurve getragen hat - lachend aufspringt und in den Saal zurückspurtet. Nicht, dass ihr Moderationspartner in ihrer Abwesenheit etwas nicht versteht.

Der Kunstgriff, dass Gottschalk die Wetten erst von ihr in der Sendung erfährt, führt nur leider nicht zu der gewünschten Spontaneität, sondern eher zu Missverständnissen und komplizierten Erklärungen. Wie, dieser Mann will aufgedröselte Lakritzschnecken mit der Zunge verknoten? Ach was, im Mund?

Einfacher zu verstehen ist die Wette von zwei 16-jährigen Schülerinnen: Sie wollen Katzenfutter - ohne etwas zu sehen, zu riechen oder zu hören - mit den nackten Füßen erkennen ("Ich spüre Brocken"). Dass sie an Sheba mit Wild in Steinpilzsauce scheitern, ist nicht so schlimm, zu tollpatschig hat Thomas Gottschalk es vorher auf den Tellern - und dem blankpolierten Studioboden - verteilt. Wettkönig wird am Ende der Kandidat, der die Szenerie der Modelleisenbahn-Miniaturwelt in Hamburg auswendig gelernt hat und kleinste Details, die ihm auf Fotos gezeigt werden, sofort wiederfindet. Wie schön, wenigstens einer hat Orientierung in dieser Wuselwelt.

Während Musikeinlagen und Wetten vorüberziehen - einer springt auf einem Einrad von Müllcontainer zu Müllcontainer, ein anderer backt auf einem Motorrad fahrend Pizza - und lustlose Promis ihre Filme bewerben, tauchen beim Zuschauer ganz andere Fragen auf: Warum steht eigentlich keine Gummibärchenschale mehr auf dem Tisch? Dürfen die Simultanübersetzer dem Moderator nach der Show mal ordentlich eine reinhauen? Und wird dieses Sofa eigentlich mit jeder Sendung größer oder nur leerer?

Am Schluss kriegt Uwe Ochsenknecht, der ab kommender Woche im Musical "Hairspray" mitspielt, als Dank für seinen Transvestiten-Auftritt von Michelle die Beine enthaart. Sie selbst zeigt auch noch etwas Haut, schlüpft aus ihrer schwarzen Glitzerhose in ein knielanges Dirndl und singt ein Berner Volkslied.

Unterstützt wird sie von Wolfgang und Anneliese Funzfichler in Lodenjanker und Rüschendirndl. Die Sat.1-Comedians Anke Engelke und Bastian Pastewka geben das Schunkel-Erfolgsduo. Sie machen das die ganze Sendung hindurch so haarsträubend perfekt, dass anfangs in Hugh Grants Gesicht höfliches Erstaunen und ungläubiges Entsetzen einen spannend zu beobachtenden Ringkampf aufführten. Lustiger als jede gebührenfinanzierte Familienklamotte war es allemal.

Volksmusik und Privatfernsehen retten also "Wetten, dass..?" Auch das ist schon fast ein Skandal.

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