TV-Kritik: Maischberger mit Merkel:Merkel: So schön war die DDR

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Neues von Angela Merkel: Sie gab sich zu geschwätzig für die Stasi und verschwitzte die Wende. Das ermittelte eine ARD-Talkshow.

Alexander Kissler

Die Menschen, die sich Sandra Maischberger gemeinhin in ihr Studio einlädt, entstammen ganz anderen Sphären als die Bundeskanzlerin. In der Regel werden dort die Vor- und Nachteile der Selbstheilung, die Gewaltbereitschaft frustrierter Jugendlicher oder die Lage der deutschen Fernsehkomik besprochen.

Vier-Augen-Gespräch: Kanzlerin Angela Merkel (links) absolvierte bei Sandra Maischberger eine zwanzigminütige Soloshow. (Foto: Foto: dpa)

Das muss man wissen, um Angela Merkels zwanzigminütige Soloshow am Dienstagabend einschätzen zu können. Am Ende stand eine Erkenntnis, die einer Boulevardsendung wie "Menschen bei Maischberger" durchaus entspricht: Den Moment des Mauerfalls hat die Bundeskanzlerin tatsächlich verschwitzt. Sie saß am 9. November 1989, "wie jeden Donnerstag", mit ihrer Freundin in der Sauna.

Das Vier-Augen-Gespräch zwischen einer kerzengerade sitzenden Moderatorin und der eher lässig in den Sessel gedrückten Chefin von Regierung und CDU bildete den Auftakt zur Diskussion über "60 Jahre Bundesrepublik Deutschland - Sind die besten Jahre vorbei?" Zwei Tage nach dem drögen Townhall Meeting bei RTL wollte Merkel auch im öffentlich-rechtlichen ARD-Fernsehen punkten. In Wahlkampfzeiten gibt es kein Zuviel.

Die mächtigste Frau der Welt

Dankbar übernahm die "mächtigste Frau der Welt", als welche sie Sandra Maischberger vorstellte, die Rolle der Zeitzeugin. Was ist schon beispielsweise Hillary Clinton gegen die promovierte Physikerin, die in der DDR großwurde?

Kurz vor dem Bau der Mauer, im zarten Alter von sieben Jahren, habe sie "Stacheldraht in den Wäldern um Berlin gesehen." Ein Jahr später sei sie bereits im Stande gewesen, das Kabinett Adenauer mehr oder minder lückenlos aufzusagen. Und dann waren da jene Minuten Ende der siebziger Jahre, die für eine Vorab-Agenturmeldung sorgten.

Die Staatssicherheit wollte Angela Merkel anwerben. Merkel lehnte ab. Sie sei zu geschwätzig, um Geheimnisse für sich zu behalten. Im Gegenzug erhielt sie die erhoffte Stelle an der Technischen Hochschule Ilmenau nicht.

Die Wahrheit ausgetauscht

Vor allem aber betrieb die CDU-Wahlkämpferin im TV-Studio Seelenmassage für die ostdeutsche Klientel: "Es war in der DDR wunderbar, dass man Freunde hatte, es war wunderschön, dass man gute Eltern hatte, viele Menschen haben sich viel Mühe gegeben, es gab Ehrenamt und alles" - als sei mit diesen Gemeinplätzen irgendetwas ausgesagt über den Charakter des "Unrechtsstaates" (Merkel); "Wir hatten Freundschaften, wir haben miteinander die Wahrheit ausgetauscht, man hat sich geholfen."

Offenbar zählt zu dieser Wahrheit auch der plötzlich vorwurfsvolle Ton, in dem sie sich von Sandra Maischberger Mäkeleien über ihre Mitgliedschaft in der stramm sozialistischen Jugendorganisation FDJ verbat. "Da haben wir Anpassung gemacht" - mehr soll es da nicht zu sagen geben, und mehr wollte die Moderatorin nicht wissen von der ehemaligen Sekretärin für Propaganda und Agitation. Agitprop, das ist 25 Jahre später offenbar kein richtiges Thema mehr.

In herzlichem Einverständnis gingen die beiden auseinander. Gut, mögen die beiden Frauen sich gedacht haben, dass wir darüber mal gesprochen haben. Das Feld war damit bestellt für ein Herrenquartett. Als dessen Fixstern präsentierte Sandra Maischberger, die wie immer die Augen zum Schlitz verengte, wenn sie ihre Fragen formulierte, einen Fernsehkollegen vom ZDF: Guido Knopp. Der sei, so sagte sie völlig unironisch, der "Geschichtslehrer der Nation".

Im Kaiserreich hätte es Guido Knopp weit gebracht

Zweimal war denn auch in der Bauchbinde zu lesen: "Deutschlands oberster Geschichtslehrer" und zur Sicherheit abermals "Geschichtslehrer der Nation". Im ebenso autoritätsfixierten wie auf Historie versessenen Kaiserreich, folgern wir, hätte es Guido Knopp weit gebracht.

Als Pädagoge und letzte moralische Instanz sagte er zweimal, "Glück und Gnade" sei die Wiedervereinigung gewesen. Wolfram Weimer, einst Chefredakteur der Welt und heute Galionsfigur des Magazins Cicero, war als "konservativer Publizist" geladen - und stimmte der Glück-und-Gnade-Theorie gerne zu.

Der unvermeidliche Gregor Gysi, wahlkämpfend auch er, wog bedächtig sein Haupt, trank viel Wasser und wetterte gegen die Politik der großen Koalition. Er streite für einen "anderen Interessenausgleich zwischen Beschäftigten und Privateigentümern". Den demokratischen Sozialismus habe es in der Realität noch nie gegeben, nun solle man ihn endlich einmal ausprobieren.

"Gibt es soziale Gerechtigkeit ohne Stasi?"

Weil keine Boulevardsendung komplett ist ohne einen Störenfried, eine komische Figur, durfte noch der Kabarettist Uwe Steimle, zugleich Mitglied der Bundesversammlung auf dem Ticket der Linken, sich empören. "Deutschland", empfahl der langjährige TV-Ermittler aus "Polizeiruf 110" wütend, "täte gut daran, dass wir uns ändern - was uns fehlt als Land, ist das Spirituelle, das Geistige". Man arbeite zu viel und habe zu wenig Phantasie, lautete sein überraschend ernstes Plädoyer.

Es war aber der Gastgeberin vorbehalten, für das kabarettistische Highlight zu sorgen. Zweimal stellte Sandra Maischberger eine Frage, die ihr offenbar ausnehmend gut gefiel: "Gibt es soziale Gerechtigkeit ohne Stasi?" Darauf wusste niemand eine Antwort - glücklicherweise und gnadenhalber.

Darüber müsste man in der Sauna noch einmal nachdenken.

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