TV-Kritik: "Hart aber fair":Hier spricht ein Preuße

Als hätte es die Bundestagswahl nie gegeben: Plasberg führt eine politische Debatte ohne Politiker - und alle echauffieren sich. Eine kleine Nachtkritik.

Alexander Kissler

Der Deutsche an sich ist ein seltsames Wesen. Er neigt zu Spontanausbrüchen von Rebellentum und wählt dann massenhaft Parteien, die bisher als klein galten. Er kann sich für neosozialistische Umverteiler ebenso begeistern wie für neoliberale Marktstrategen. Er kann den Kanzlerwahlverein zurechtstutzen und dessen Partner schreddern und doch irgendwie wollen, dass alles beim Alten bleibt. Der Deutsche schätzt das Erwartbare mehr als das Überraschende, das Pünktliche mehr als das Improvisierte.

Nur vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass eine Sendung wie Frank Plasbergs "Hart aber fair" genau dann alle Erwartungen erfüllt, wenn sie nach der Bundestagswahl so weitermacht, als hätte es die Bundestagswahl nicht gegeben. Mag in Berlin herrschen, wer will: Frank Plasberg tritt grundsätzlich nur ohne Krawatte, aber im Sakko vor die Kamera.

Die Gäste, die er einlädt, müssen dem Untertitel "Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft" auch dann sich fügen, wenn gar keine Politiker anwesend sind. Dann stellen "Charakterköpfe der Nation aus drei Generationen" Politik und Wirklichkeit gleichzeitig her, dann halten sie sich so warnend, zeternd, keifend an den Fundamentalsatz des Talkshow-Dauergastes Arnulf Baring: "Wirklichkeit ist die Grundlage von allem."

Baring lobt die FDP

Der Historiker und Publizist bog sich zuverlässig mit dem Oberkörper in die Schräge, um rechts außen, nach links gewandt - die Sitzordnung wollte es so - den "Sozialdemokratismus als Ideologie" zu geißeln. Ein Drittel des Bruttosozialprodukts werde heute umverteilt. Die Sozialpolitik mache Arbeit unattraktiv. Nur die FDP schere da aus, weshalb er, der Doyen mit der grün-orange gestreiften Krawatte, die FDP rühmte - in jenem spitzen, das Schrille nicht meidenden Ton, der zu Barings Markenzeichen geworden ist. Hier spricht ein Preuße, und jeder soll es hören.

Links außen saß der ehemalige "Monitor"-Moderator Klaus Bednarz, ganz in Schwarz gekleidet. Wie immer sorgte er sich und war alarmiert und fürchtete das Allerschlimmste. Die FDP werde nun ihre "wirtschaftsradikale, neoliberale Klientel" zufriedenstellen müssen. Ergo würden die sozialen Gegensätze sich verschärfen.

Die beiden alten Herren lieferten sich einen routinierten Schlagabtausch. Bednarz, Meister des Handkantenschlags auf die Tischplatte und des Ziegefingerwedelns, trommelte um Zustimmung. Die "Friseuse in Mecklenburg oder Sachsen-Anhalt" müsse für 3 Euro 80 Stundenlohn arbeiten. Wie könne sich da die FDP gegen den Mindestlohn sperren? In Mecklenburg-Vorpommern lebe "jedes dritte Kind, also jede dritte Familie an oder unterhalb der Armutsgrenze".

Die Frage, ob demnach alle Mecklenburger Kinder Einzelkinder sind, beantwortete Bednarz nicht, sprach plötzlich von der "vierköpfigen Familie mit 1060 Euro im Monat". Baring quittierte das misslungene Zahlenspiel mit dem Ordnungsruf "Sie sollten sich an die Wahrheit halten!", blieb ebendiese aber doch lieber schuldig.

Hier war noch einmal das alte Deutschland versammelt. Hier wurde eine SPD beschworen, die es längst nicht mehr gibt, eine FDP inszeniert, die es nie gab, und eine Kanzlerin glorifiziert, die gerade das schlechteste CDU-Ergebnis seit 1949 zu verantworten hatte. Die Menschen von der Straße in einem der gefürchteten, da orakelhaft daherkommenden, aber pennälerhaft argumentierenden Einspielfilmchen lobten sie über den grünen Klee.

Der Stichwortzettel siegt

Auch Alice Schwarzer, der mittlere "Charakterkopf", fand kaum ein kritisches Wort. Merkel sei "patent, sachorientiert". Wüsste man es nicht besser, man müsste nach dieser Talkshow vermuten, die CDU habe glorios triumphiert, die FDP fordere die Verwandlung der Bundesrepublik Deutschland in eine Aktiengesellschaft, und die SPD werde bald mit der Linken verschmelzen.

Arnulf Baring war zur emotionalen wie intellektuellen Schützenhilfe ein Komiker und Theaterintendant beigesellt worden. Dieter Hallervorden, gebürtig in Dessau, schalt in bewegenden Worten den abwesenden Gregor Gysi, der noch 1989 Hilde Benjamin gelobt habe, die Richterin in zahlreichen Schauprozessen der DDR. Bednarz, überraschend genug, sprang dem ernsten Witzbold, der zu keinem "Palim-Palim" sich hinreißen ließ, bei. Auch Sahra Wagenknecht sei eine Zumutung. Sie halte Stalins mörderische Politik für "historisch richtig und gerechtfertigt".

Kurzum: Jeder sagte, was zu sagen er sich vorgenommen hatte. Der Stichwortzettel besiegte das Gespräch. Alice Schwarzer echauffierte sich über das Ehegatten-Splitting, Dieter Hallervorden ganz allgemein über die Wahlplakate, diese "idiotische Maschinerie", und Arnulf Baring vermisste bei den Mitstreitern ein ums andere Mal die "wahren Probleme".

Dazwischen saß die in Wahlkampfzeiten unvermeidliche Erstwählerin, eine Lieblingsfigur deutscher Fernsehschaffender. Diesmal hieß sie Miriam Böhm, stammte aus Dortmund und beklagte "antike Schulbücher, aus dem 19. Jahrhundert". Darum solle die Politik sich kümmern. Die Einblendung verriet, dass man in Dortmund sich offenbar nicht für Parteien, sondern für Koalitionen entscheiden muss. "Hat Rot-Grün gewählt", stand da lange und irrig.

Übrigens lautete das Motto dieser "tollen Runde" (Plasberg) nicht "Was mir wichtig ist - Ich habe mich entschieden", sondern "Deutschland hat entschieden - Was fangen wir damit an?". Gestellt und versuchsweise beantwortet wurde diese Frage dann tatsächlich: in den "Tagesthemen", direkt nach Plasbergs blassem Palaver.

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