TV-Kritik: "Gnadenlos gerecht":Soziale Fernwärme

Sat 1 will mit seiner neuen Sendung "Gnadenlos gerecht - Sozialfahnder ermitteln" zeigen, was soziale Gerechtigkeit ist - und liefert das genaue Gegenteil.

Franziska Seng

Möglichst verbindliche Antworten auf die Fragen, was "Gerechtigkeit", was "gerecht" ist, versuchen Philosophen und auch Politiker seit über zweitausend Jahren zu formulieren. Nun gehen auch Privatsender konkret in die Offensive, um die Beschaffenheit dieser kardinalsten aller Tugenden zu deuten.

TV-Kritik: "Gnadenlos gerecht": Helena Fürst und Helge Hofmann sind bei Sat1 auf der Jagd nach Hartz-IV-Betrügern.

Helena Fürst und Helge Hofmann sind bei Sat1 auf der Jagd nach Hartz-IV-Betrügern.

(Foto: Foto: Sat1)

Woraus man aber nicht zwangsläufig schließen muss, dass Sat 1 mit der aktuellen Produktion "Gnadenlos gerecht - Sozialfahnder ermitteln" ein selbstauferlegtes Bildungsziel verfolgt. Der Titel "Gnadenlos gerecht" formuliert zunächst keinen geringen Anspruch, zumindest wenn man dem Dichter Franz Grillparzer beipflichtet, der in seinen Aphorismen schrieb: "Von allen Tugenden ist die schwerste und seltenste die Gerechtigkeit. Man findet zehn Großmütige gegen einen Gerechten."

Gnadenlose, also wahre Gerechtigkeit, so lässt sich daraus folgern, ist demnach nur was für knallharte Profis. Ob die bei Sat 1 zu finden sind? Wie vorhersehbar auch das Ergebnis ist, nämlich dass Titel und tatsächlicher Inhalt der Sendung nichts miteinander zu tun haben, so nachvollziehbar ist doch die Entscheidung der Programmmacher, eine Sendung namens "Gnadenlos gerecht" zu produzieren; sie ist erfolgsversprechend, denn jeder Mensch wünscht sich Gerechtigkeit, für sich, und in gewissem Sinn auch für andere.

So bietet das Fernsehen nicht erst seit "Gnadenlos gerecht" davon homöopathische Dosen an, etwa in Form von TV-Tribunalen oder konventionellen Kriminalgeschichten. Hier gelangt mit der Überführung des Verbrechers die Welt für einen Augenblick zurück in die Fugen, aus denen asoziale Chaoten sie gebracht zu haben scheinen. Neu ist allerdings, dass in "Gnadenlos gerecht" keine bezahlten Darsteller, sondern betroffene Hartz-IV-Empfänger probeweise an den TV-Pranger gestellt werden, um dann, nachdem die Finger in alle brennenden Wunden gelegt worden sind, über die Rechtschaffenheit der Leute und somit ihren Anspruch auf Hartz-IV zu befinden.

Wer, wie einige Kritiker im Vorfeld, scharfrichterliche Entscheidungen befürchtet hatte, Drama und Tränen am Rande des sozialen Abgrunds, konnte nun zumindest in dieser Hinsicht nach der zweiten Sendung beruhigt sein.

Dramatisch und filmreif ist der Berufsalltag der beiden Sozialfahnder Helena Fürst und Helge Hofmeister, die im hessischen Offenbach Hartz-IV-Betrüger aufzuspüren versuchen und Sozialanträge prüfen, nämlich nicht.

"Sie sind freundlich und mitfühlend, aber sie können auch anders", raunt eine Stimme aus dem Off über Helena und Helge. Tatsächlich geizen die beiden nicht mit Verständnis, etwa für die alleinerziehende Mutter, die vor ihrem gewalttätigen Ehemann flüchten muss, bewilligen einer Hauptschülerin, die von der Mutter plötzlich im Stich gelassen worden war, die Kosten für eine Küche, wenn auch nicht für den Staubsauger, der sei bei Laminatboden nicht drin, Teppichboden wäre was anderes. Ordnung muss sein.

Zwar wird hier niemand vor laufender Kamera bis aufs allerletzte Hemd entblößt, trotzdem ist der Vorwurf der plumpen Zurschaustellung prekärster Verhältnisse nicht von der Hand zu weisen.

Hartz-IV-Empfänger als Forschungsobjekte?

Die Bilder vom Eindringen in die Privatsphäre einer ärmlichen Wohnung haben keinen dokumentarischen Wert, auch wenn Verteidiger des Formats dies behaupten; es sei denn, man betrachtete den Hartz-IV-Empfänger als zugehörig zu einer besonderen, homogenen Spezies, deren außerordentliche Lebensumstände man zu Forschungs- und Bildungszwecken dokumentieren müsste.

Unvermutet sind es jedoch nicht die Hartz-IV-Empfänger, sondern die beiden Sozialfahnder, die in "Gnadenlos gerecht" in den peinlichsten Situationen auftreten. Nämlich wenn sie mal nicht "freundlich und mitfühlend" sind, sondern im Härtefall versuchen, "auch anders" zu sein.

Eine italienische Familie gerät ins Visier der Fahnder, da sie trotz ihrer "Pleite-Pizzeria" und Hartz-IV in einer "Luxuswohnung" residieren. Vermutlich besitzen sie auch noch Immobilien in der Heimat. Da hilft alles nichts. "Die Dienstreise nach Italien muss sein", versichert die Stimme aus dem Off, "und das wird sicher kein Vergnügungstrip!"

Vorauseilende Beschwichtigungen an die Steuerzahler an den TV-Geräten: Gebucht wird der günstigste Tarif. Obwohl Helge lange Beine hat, verzichtet er opferbereit auf die Flugzeugplätze mit mehr Beinfreiheit. Die würden dem Steuerzahler ja 25 Euro mehr kosten!

In Italien erleben die engagierten Angestellten dann die kleinen landestypischen Katastrophen: Helge ist erstmal vom anarchischen Fahrstil der Südländer überfordert. Das Navigationssystem bricht zusammen. Helena hat im Internet ein Hotel gebucht, wie sich herausstellt, eine Touristenfalle: Nicht mal das Handy lässt sich in der Steckdose aufladen.

Das Hotel muss gewechselt werden. Als eine günstigere und gar hübschere Unterkunft gefunden wird, ist die Freude groß: "Wir sparen dem Steuerzahler Geld und können mit gutem Gewissen schlafen gehen!"

Gerüstet mit diesem wahren, schönen, guten Wissen und Gewissen werden sich die beiden wohl auch in den nächsten beiden Folgen noch befleißigt fühlen, Großmut und Milde walten zu lassen, Küchenschränke, vielleicht auch mal einen Staubsauger spendieren.

Und der Zuschauer kann sich glücklich schätzen, weil hier offensichtlich etwas getan worden ist. Auch wenn diese gefühlte Gerechtigkeit mit der ursprünglichen Idee von sozialer Gerechtigkeit nichts tun hat.

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