TV-Kritik: "Germany's Next Topmodel":Schneewittchen in Heidiland

"Wenn es weh tut, sieht es gut aus." Heidi Klum und Strip-Künstlerin Dita Von Teese zogen in der Beauty-Werkstatt die Schrauben an - und die Nachwuchsmodels lernten Schmerzen kennen.

Christian Kortmann

Deutschland an einem Donnerstag im Mai: Endlich ist der Sommer da, und schon drückt die Schwüle aufs Gemüt. Mit einer Mischung aus Sommerferienhoffnung und verschwitzter Lethargie studieren Menschen Geisteswissenschaften, optimieren Software von Bürosystemen oder schneiden Schwarzwälder Schinken an der Maschine in 100-Gramm-Lagen. Tapfer ertragen sie ihre persönlichen Schicksale, deren Sinn sie nicht verstehen - weil sie meist keinen haben.

TV-Kritik: "Germany's Next Topmodel": "Wenn es weh tut, sieht es gut aus": Heidi Klum mit "Trainerin" Dita Von Teese.

"Wenn es weh tut, sieht es gut aus": Heidi Klum mit "Trainerin" Dita Von Teese.

(Foto: Foto: ProSieben)

Und so unterschiedlich diese Menschen auch sein und ihre Wege sich tagsüber niemals kreuzen mögen, am Abend kommen sie an verschiedensten Orten zu einer Art simultanem Tele-Yoga zusammen, das die Schwüle etwas weniger drückend macht, ja, die Fron von ihnen nimmt, indem es die Zerebrallappen durchlüftet. Sie schauen "Germany's Next Topmodel" (GNTM), das Format, in dem Dieter Bohlens Naddel-Charakterisierung zu Fernsehen geworden ist: Auch GNTM hat diese "beschwingte Oberflächlichkeit, die das Hirn entspannt".

Dass GNTM eine Dauerwerbesendung für Kosmetikartikel und Automobile ist, mag die Kulturkritik interessieren. Fans nutzen den Reklame-Leerlauf, um eine SMS an die beste Freundin zu verfassen, ungefähr so: "lol: kucke gntm, und gisele knutscht schon wieder so nen typen ab. morgen biergarten?" Da hing Gisele gerade an den "weichen Lippen" des traumhaften Bachelors Mike, einem "professionellen, äh, Schauspieler" (Klum-Assi Rolf).

Doch mit solch zarten Prüfungen wollte Heidi Klum sich diesmal nicht begnügen. Nach Beach, Love & Fun sollten die jungen Frauen Schmerzen kennen lernen: Bei sechs verbliebenenen Kandidatinnen zieht Klum die Schrauben in der Beauty-Werkstatt noch einmal an.

Zu diesem Zweck hatte sie die Verkleidungs- und Ausziehkünstlerin Dita Von Teese eingeladen. Von Teese ist eine recht kompliziert konstruierte Kunstfigur, deren Name nicht wie bei Pro Sieben konsequent falsch "Von These", sondern wie "tease" ausgesprochen wird, was auf Englisch "reizen, necken" bedeutet. Blass geschminkt und mit tiefschwarzem Haar wirkte die zierliche Dame zwischen Heidi und ihren mehr oder weniger blonden Mädchen wie Schneewittchen auf Besuch bei den sieben Riesenzwerginnen - ein Gast aus einer anderen Welt: Von Teese hat ihr Schönheitsideal in der Vergangenheit, den 1940er-Jahren, entdeckt und es mit einigen Verschärfungen erfolgreich in die Gegenwart transformiert. Sie formuliert durch sich selbst, was schön ist.

So war es kein Wunder, dass ihre Versuche, die Frauen, die die TV-alchemistische Verwandlung in blonden Magerquark anstreben, zur Abwechslung mal in verruchte Pin-up-Posen zu werfen, vergebens waren. Dita Von Teese räkelte sich gewohnt pittoresk im schwarzen Korsett auf der roten Samtcouch, doch die Bemühungen der Negligé-behangenen Models scheiterten nicht zuletzt an der spektakulären Weigerung der Knutschkugel Gisele, ihre nackte Schulter zu zeigen.

Das konnte Heidi Klum nicht gefallen, die mehr Einsatz und den Mut zu Schmerzen sehen wollte. Umso stolzer war sie dann auf Jennifer, die trotz Fußverletzung auf dem Catwalk bella figura machte. "Wenn es weh tut, sieht es gut aus", hatte Dita Von Teese das Geheimnis ihres spannungsgeladenen Posierens beschrieben. Schmerzen bleiben beim bewussten Streben nach Schönheit nie aus, doch beim Modeln laufen die Rezeptoren ja schon wegen der inneren Zurichtungen auf Hochtouren. "Unser Körper ist unser Kapital", sagte das 24-jährige Humankapital Janina. Für sie, Gisele und die anderen Vornamenwesen ist es Normalität, von Männern mit präzisem Fleischerblick beurteilt zu werden: "Du hast zwei, drei Kilo zu viel drauf."

"Hast du das Potential?", fragte Heidi Klum am Ende, als sie die Kandidatinnen in die nächste Runde durchwinkte und Gisele nach Hause (das heißt zu Stefan Raab) schickte. "Hast du das Potential?" - es klang wie das Mantra vor der rituellen Aufnahme in eine Sekte. Am Alpenrand zuckten da schon die ersten Blitze durch die schwüle Luft. Dann platzte das Gewitter aus seinem Wolkenkorsett und wusch mit den Träumen der Models auch die Sorgen der Menschen in die stummen Kanäle der Nacht.

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