TV-Kritik: Gebrüder Schily bei Beckmann:War da was?

Der eine war erst RAF-Anwalt, dann Terroristen-Bekämpfer, der andere trat aus der SPD aus, als sein Bruder eintrat - und ging zur FDP. Was ist bloß mit dieser Familie los?

Ruth Schneeberger

"Wer in der Jugend nicht links ist, hat kein Herz. Wer im Alter noch links ist, hat keinen Verstand." Wem wir dieses hübsche Zitat zu verdanken haben, war bisher unklar: dem Philosophen Bertrand Russell, dem Journalisten Georges Clemenceau, oder doch dem Staatsmann Winston Churchill? Seit dem gestrigen Abend müsste eigentlich klar sein: Familie Schily hat's erfunden - zumindest lebt sie streng danach.

otto schily petra kelly ap

.... der einst mit Petra Kelly für die Grünen kämpfte, ....

(Foto: Foto: ap)

Dass sich die Gebrüder Otto und Konrad Schily, die derzeit einzigen Brüder im deutschen Bundestag, für ihren ersten gemeinsamen Fernsehauftritt ausgerechnet den Talkshow-Gastgeber Reinhold Beckmann ausgesucht haben, darf man ihnen nicht verübeln. Wer sonst könnte so geschickt sämtliche Fragen umschiffen, die zumindest einem von beiden unbequem gewesen wären? Bei einem Brüderpaar mit solch bewegter Vergangenheit hätte dieser oder jener Moderator einige davon aus dem Hut zaubern können. Beckmann blieb bewährt brav. Und hielt sich an Altbewährtes, Altbekanntes und Altbackenes.

Otto Schily, der Ältere: In seiner Jugend war er mit Rudi Dutschke befreundet, als junger Anwalt vertrat er die RAF, er war bei der Obduktion von Gudrun Ensslin anwesend und machte den Staat für den Tod der in Stammheim inhaftierten Terroristen verantwortlich. Später war er Mitbegründer der Grünen und zusammen mit Petra Kelly deren Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Danach trat er in die SPD ein, wurde wieder stellvertretender Fraktionschef und schließlich Bundesinnenminister. Als solcher setzte er sich vor allem für die Verschärfung von Gesetzen gegen Terroristen ein.

Sie halten das für einen merkwürdigen Sinneswandel? Dann kennen Sie noch nicht seinen Bruder: Konrad Schily, der Jüngere, war von 1973 bis 1990 in der SPD und setzte sich als Mediziner und Gründungspräsident der Privatuni Witten/Herdecke für niedrige Studiengebühren ein. Zum gleichen Zeitpunkt, als sein Bruder bei den Grünen aus- und in die SPD eintrat, verließ Konrad Schily die SPD - und schloss sich später der FDP an.

Was hätte das für eine lustige Fragerunde werden können.

War da was?

Zu guter Letzt hat Schily der Ältere nicht nur jüngst Schlagzeilen um seine Nebeneinkünfte produziert, sondern zusätzlich gerade erst seinen Rückzug aus der Politik bekannt gegeben - alles bereit also für ein spannendes Interview. Aber Beckmann wäre nicht Beckmann, wenn er diese Chance nicht grandios vergeben würde. Sein Gespräch war leider nur eines: nichtssagend.

konrad schily ddp

....und Konrad (70), der kein Amt anstrebt, und Gründungsmitglied der Uni Witten/Herdecke ist.

(Foto: Foto: ddp)

Die provokativste Frage an Otto Schily, die der Moderator sich abringen konnte, war die nach dem Rücktrittszeitpunkt: Ob nicht 2005 das bessere Jahr dafür hätte sein können? Angesichts seiner sonst so zuvorkommenden Art wirkte dieser Vorstoß aber eher peinlich. Und so erfuhren wir stattdessen, warum die beiden Brüder sich nun doch kein Haus in der Toskana teilen (es gab Unklarheiten um das Unkrautjäten) und dass sie vom Nationalsozialismus wenig mitbekommen haben.

Und es sollte tatsächlich noch schlimmer kommen: Angekündigt als "Gipfeltreffen der Nachrichten-Damen" gab es diesmal noch ein Interview mit den ARD-Sprecherinnen Judith Rakers, Susanne Daubner und Susanne Holst. Kennen Sie nicht? Doch, als Gesichter der "Tagesschau". Viel mehr gab es dazu nicht zu sagen - außer, dass Susanne Daubner, die Dunkelhaarige mit dem tollen "Timbre", wie Beckmann linkisch einwerfen musste, auf der Straße entdeckt worden ist - und ihre Namensvetterin Susanne Holst Mutter von Zwillingen ist.

Da traf es sich gut, dass später noch eine junge Mutter zu Gast war, und zwar die von Drillingen, deren schwere Geburt und komplizierte Krankheit demnächst nochmal Thema in der ARD sein werden - in einem Zweiteiler.

Für den Programminteressierten, der weder an Werbung für die ARD-Doku noch an Werbung für die ARD-Nachrichten interessiert war, hätte die Sendung also den Unterhaltungswert eines aufgeweichten Toastbrotes gehabt - wenn da nicht ein Otto Schily gesessen hätte, der diesmal irgendwie anders war.

Zwar muss die Frage nach Otto Schilys Arroganz auf Beckmanns Block gestanden haben. Das merkte man daran, dass er sofort aus dem Takt geriet, sobald ein Gast eine spontane Frage oder Bemerkung einstreute. Und trotzdem passte sie diesmal gut: "Ein bisschen Distanz braucht man im Leben. Da muss immer eine gewisse Entfernung sein, sonst komme ich nicht zurecht", gab der ehemalige Bundesinnenminister zu.

Was ist das auf einmal für ein sympathischer Mensch, denkt man sich - kann der nicht immer Privatmann sein? Wird er ja jetzt, und auch darüber hätte man gerne mehr erfahren. Aber "Beckmann" ist nunmal kein Wunschkonzert.

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