TV-Kritik: Einbürgerungsquiz im Ersten:Dingsda und Wahrheit

Im ARD-Einbürgerungsquiz präsentiert sich die deutsche Unterhaltungskultur im Spannungsfeld zwischen Laubsägearbeit und Altglasentsorgung und umschifft die Frage nach erlernbarer Identität.

Franziska Seng

An der Verpackung kann man spätestens seit der Fußball-WM 2006 nicht mehr herummäkeln. Schwarz-Rot-Gold ist - zumindest saisonal - als heiter-entspannte Farbkombination in der Gesellschaft angekommen: Miniröcke, Tanktops oder Afro-Perücken in den Nationalfarben sind total angesagt, aber auch zum Turban oder modischen Kopftuch lässt sich die deutsche Flagge mitterweile problemlos umfunktionieren.

TV-Kritik: Einbürgerungsquiz im Ersten: Wie deutsch bist Du wirklich, wollte die ARD von Bürgermeistern, Lehrern, Schülern, Passanwärtern und natürlich einigen Promis wissen?

Wie deutsch bist Du wirklich, wollte die ARD von Bürgermeistern, Lehrern, Schülern, Passanwärtern und natürlich einigen Promis wissen?

(Foto: Foto: dpa)

Hinter dieser strahlenden Fassade bröckelt es dafür weiter vor sich hin. Politiker sprechen Denglish; arrivierte Popsängerinnen mit Abitur scheitern an der Deutschlandhymne; internationale Künstler wie die Scorpions oder Dieter Bohlen weigern sich konsequent, neues deutsches Liedgut zu schaffen.

Unter diesen Voraussetzungen ist es natürlich zu begrüßen, Einbürgerungswilligen einen von Experten ausgearbeiteten Katalog vorzusetzen, um sie über ihre neuen Heimat aufzuklären, sie in einem Test bei der VHS ordentlich darüber abzufragen. Wer sonst könnte diese Sisyphosarbeit leisten?

Höchstens noch Reinhold Beckmann, richtig. Was er am vergangenen Abend auch tat, für Deutschland und überhaupt alle Gebührenzahler. Denn er sprang für den kranken Jörg Pilawa ein, der ursprünglich die ARD-Show Wie deutsch bist du wirklich?, das Quiz rund um den neuen Einbürgerungstest moderieren sollte.

Hatte Pilawa aufgrund des brisanten Titels Nervenfieber bekommen? Egal. Beckmann durfte bisher zwar noch nie eine Quizshow leiten, dafür gelang es dem einfühlsamen Talkshowmoderator, Einheimischen wie Passanwärtern Zweifel an und Angst vor den kniffeligen Ausgeburten deutschen Test-Entwicklertums zu nehmen. Denn unter seiner herrschafts- und diskursfreien Regie schmolz die ganze Einbürgerungsdebatte zusammen auf die Größe eines Eiswürfels im Ramazottiglas.

Ein halbes Dutzend handelsüblicher Promis

So ging man in der Show nicht von der Frage aus, ob Einwanderer einen vom "Institut für Qualität im Bildungswesen" konzipierten Test brauchen, um ihre Deutschlandkompetenz zu beweisen; sondern inwieweit jener einen messbaren Unterhaltungswert hat. Dies herauszufinden ist im Grunde sehr einfach. Wie man beobachten konnte, braucht man dazu etwa ein halbes Dutzend handelsüblicher Promis - nicht zu bekannt, damit sich keiner in den Vordergrund spielt - dazu Vertreter verschiedener gesellschaftlicher Stände: Bürgermeister, Schüler, Lehrer und echte Passanwärter.

Und dann durfte sie teilweise ihre Hüllen fallen lassen, die deutsche Seele ihr scheues Antlitz zeigen in vierundzwanzig Fragen, von den Kandidaten im Multiple-Choice-Verfahren zu beantworten. Zusätzliche Aufgaben, die eine aktive Teilnahme der prominenten Kandidaten erforderten, ergänzten den Fragenkatalog.

Was dabei herauskam, rührte mitunter das Zuschauerherz: lustige Spielchen mit Hausmannskost und Laubsägearbeiten, bunte Wappenkunde, lehrreiche Fragen über die Amtsfolge deutscher Bundeskanzler oder die korrekte Buntglasentsorgung. Dazu wurden in herziger, retrostylischer Dingsda-Manier Grundschüler zu einbürgerungsrelevanten Themen wie Politik und Gesellschaft befragt: "Politik ist, wenn einer einen Vorschlag macht, und alle aus seiner Partei klatschen." Das ist dramaturgisch klug gelöst, denn wenigstens hier sind Lacher aus dem Publikum sicher.

Euphorische Stimmung nur bei den Passanwärtern

Etwas verpuffte nämlich der heitere Effekt, da nicht alle Gäste wirklich bei der Sache schienen: Schauspieler Heiner Lauterbach und Rapper Bushido vermieden es, viel zu reden oder in die Kamera zu schauen, so als ob sie nicht gesehen werden wollten. Comedian Guido Cantz versuchte mühsam eine Pointe, indem er der über gewisse Gemeinsamkeiten von Flaschen und Politikern witzelte.

Nur die Grünen-Politikerin Claudia Roth freute sich überschwänglich an ihrer talk- und konfliktfreien Quiz-Show-Existenz, und bei den Passanwärtern kam immer dann euphorische Stimmung auf, wenn sie bei einer Frage besser als die Lehrer abgeschnitten hatten.

Im Großen und Ganzen ist allerdings zu konstatieren, dass das Quiz, das den Passanwärter wohl gut vorbereitet auf die Bundestagswahl oder einen deutschen Behördenmarathon, dann doch nicht den erwünschten Unterhaltungswert vorweisen kann.

Reinhold Beckmann hatte zwar auch, bevor er mit seinen Gästen den Fragenkatalog kompromisslos durchackerte, versprochen, in Wie deutsch bist du wirklich? auch ein Stück "Wahrheit" über die deutsche Realität zu zeigen. Die auf der Hand liegende Wahrheit, nämlich dass sich eine mangelnde bürgerliche Identität nicht über das Auswendig lernen von Multiple-Choice-Antworten oder Quiz-Show-Konsum herstellen lässt, blieb in der Sendung mit dem provozierenden Titel außen vor.

(Anmerkung der Redaktion: Leider wurde in der ersten Fassung der falsche Autorenname Christian Kortmann verwendet. Wir bitten um Entschuldigung)

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: