TV-Kritik: Echo 2009:Latex im Musikantenstadl

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Dirndl mit Erotic-Manga: Die "Echo"-Verleihung sollte der ARD junge Zuschauer bringen - und kürt Udo Lindenberg zum Popstar des Jahres. Gefordert wurde etwa ein "Fuck Friday".

Maria Holzmüller

Er sollte zusammen bringen, was bisher nicht zusammen gehört: die ARD und ein junges Fernsehpublikum - vereint durch den deutschen Musikpreis "Echo". So sympathisch die Theorie, so ernüchternd die Realität.

Udo Lindenberg mit seinem "Echo". (Foto: Foto: ddp)

Für eine Millionen-Summe hat die ARD im vergangenen Jahr die Übertragungsrechte an der "Echo"-Verleihung gekauft und damit RTL ausgestochen. Was am Ende unter öffentlich-rechtlicher Regie heraus kam, hätten die Verantwortlichen auch billiger haben können: Ein bunter Remix aus "Musikantenstadl", der "Wetten-dass"-Couch, "Schmidt und Pocher" ohne Schmidt und "Verbotene Liebe" hätte den gleichen Effekt erzielt.

Wo Unterhaltung sein sollte, machte sich weitgehend Ratlosigkeit breit. Wo Glamour angestrebt war, stolzierte Jeanette Biedermann im weißen Wasserfall-Kleid als teutonischer Marylin-Monroe-Verschnitt auf die Bühne - und wo die Musik mitreißen sollte, sang die Schlagersängerin Helene Fischer "Lass mich in Dein Leben" - und über allem schwebte das große Gähnen.

Junge deutsche Musik spielte keine Rolle. Zwar wurde der Hiphop-Sänger Peter Fox ("Das Haus am See") gleich mehrfach ausgezeichnet, und Bushido spielt den Laudator: Zu hören jedenfalls waren die Songs nicht, die das junge Publikum begeistert. Die ARD setzte wie gewohnt auf Oldtimer.

Dabei war der Sendeverbund mit den vielen älteren Zuschauern zuvor beinahe über sich hinaus gewachsen und hatte wagemutig Barbara Schöneberger und Oliver Pocher als schlagfertiges Moderatoren-Duo engagiert. Sie lästerten denn auch ab und an über ihren Arbeitgeber, doch am Ende war der Respekt vor der öffentlich-rechtlichen Autorität größer als das Mundwerk, und anstatt sich in einen verbalen Schlagabtausch zu stürzen, schnitten sich Schöneberger und Pocher lieber gegenseitig das Wort ab.

Barbara Schöneberger schaffte es dazu, mit ihren pellwurstartigen Textilien für grelle, unvorteilhafte Farbpunkte zu sorgen.

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Pochers vereinzelte Spitzen gegen die ARD-Führungsriege ("Viele der ARD-Chefs werden sich noch gut an die erste Motown-Platte vor 50 Jahren erinnern, da waren sie schon 30") liefen ins Leere, die gemeinsamen Moderationen waren so spannend wie die Preisvergaben, bei denen die Gewinner anhand der Verkaufszahlen schon im Vorfeld fest standen.

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So gezwungen die Moderation, so erzwungen war auch die betonte Einigkeit der großen Musikerfamilie, die ihre Fittiche von U2 über die Kastelruther Spatzen bis hin zu Bushido ausbreitete und dabei so harmonisch wirkte wie eine Großfamilie bei der alljährlichen Weihnachtsfeier: Alle sind irgendwie genervt, keiner interessiert sich für den anderen, aber lächeln fürs Familienfoto muss man dann doch.

Da halfen auch nicht die bestellten Provokationen des Michael Mittermeier, der ebenfalls im Privat-TV oft zu sehen ist: Er forderte ironisch einen "Fuck Friday" und offene Blusen im Programm, so wie einst bei "Tutti Frutti". Seine Hoffnung: "Da wackelt die Banane".

Wie abstrus diese öffentlich-rechtliche Zwangsbeglückung mit Kommerz-TV-Elementen sein kann, zeigte schon die erste Nominierung, die die Opern-Kombo "Adoro" mit den späteren Gewinnern "Ich & Ich", dem Techno-Urgestein "Scooter" und den "Söhnen Mannheims" in der Kategorie "Beste Gruppe Rock/Pop National" zusammen brachte. Als Krönung kam als Laudator auch noch Volksmusik-Fönwelle Florian Silbereisen auf die Bühne und zeichnete DSDS-Sieger Thomas Godoj in der Kategorie "Bester Newcomer National" aus.

Auf der nächsten Seite: "Oh Baby; Ich freu mich so; Du bist so schön"

Der Sieger der RTL-Bohlen-Castingshow war nur eine Speerspitze der subtilen Rache der Privatsender. Ohne die Musikpflänzchen aus den Events der Kommerziellen stellt auch die ARD keine Musikgala auf die Beine.

Stefanie Heinzmann wurde "Beste Sängerin Rock/Pop National", Paul Potts gewann den "Echo" als "Bester Künstler International". Zwischendrin holten sich tatsächlich die Kastelruther Spatzen ihren zwölften "Echo" in der Kategorie Volksmusik ab - überreicht von der Casting-Girl-Band Monrose. In ihren hautengen Trachten-Latex-Kostümchen (O-Ton Barbara Schöneberger: "Dirndl goes Erotic-Manga") verkörperten sie die Absurdität der gesamten Gala wie sonst kaum jemand an diesem Abend.

Ausgenommen vielleicht Bruce Darnell, ebenfalls eine Art gecastetes Privatfernseh-Produkt, der in einer "Oh-Baby-Ich-freu-mich-so-Du-bist-so schön"-Endlosschleife zwei Echos an Helene Fischer überreichte. Er war wohl froh, mal wieder im Fernsehen zu sein. Dem Moderator Pocher fiel danach der Gag ein, jetzt wisse man, warum Bruce keine Show mehr in der ARD habe. Später lästerte er in Bezug auf saarländische Friseure über die wellige Haarpracht der Helene Firscher.

Um den Abstecher zu den Privatsendern auf Kosten der Gebührenzahler perfekt zu machen, wurde mittendrin ein "Best of Trennungen 2008" auf die Riesenleinwand projiziert. Da sah man: Sarah Connor und Marc Terenzi, Madonna und Guy Ritchie, Amy Winehouse und Blake Fielder Civil - wer den Preis für die beste Trennung bekommen hätte, lässt sich nur vermuten.

Nach so viel "Drama" war Udo Lindenberg, der den "Echo" als "Bester männlicher Künstler National" mit nach Hause nahm, erfrischend normal. Dass er bereits vor 17 Jahren mit dem Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, war wohl einer der gelungensten Gags der Veranstaltung. Er selbst nahm's mit Humor: "Die Jüngeren im Publikum denken sich wahrscheinlich: Was ist das denn für ein Newcomer mit dem komischen Hut?"

Nach drei Stunden - und Schlussrunden mit den ewigen Scorpions und den Toten Hosen - war es dann endlich soweit: Vor und im Fernseher durfte man sich á la Udo Lindenberg verabschieden: "Tschüssi!" Was nicht zusammen gehört, durfte sich endlich wieder trennen.

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