TV-Kritik: Deutscher Fernsehpreis:Wir sind die Volksmusik

Das wäre doch nicht nötig gewesen: Anke Engelke und Bastian Pastewka retten den deutschen Fernsehpreis. Vom "besten Sender der Welt". Eine kleine Nachtkritik.

Ruth Schneeberger

Vielleicht sollte Marcel Reich-Ranicki sich mal öffentlichkeitswirksame Gedanken über das Bankensystem machen. Oder über den Klimawandel. Politikerperformances, Arbeitslosigkeit und Raubtierkapitalismus könnten ebenfalls einen Imagewechsel gut gebrauchen.

TV-Kritik: Deutscher Fernsehpreis: Auf die Qualitäts-Forderung des letztjährigen Preisverweigerers Marcel Reich-Ranicki reagiert Sat.1 diesmal mit dem beliebten Volksmusik-Moderatorenduo Wolfgang (Bastian Pastewka, r.) und Anneliese (Anke Engelke, l.), live aus dem Kölner Coloneum, vor Alpenpanorama.

Auf die Qualitäts-Forderung des letztjährigen Preisverweigerers Marcel Reich-Ranicki reagiert Sat.1 diesmal mit dem beliebten Volksmusik-Moderatorenduo Wolfgang (Bastian Pastewka, r.) und Anneliese (Anke Engelke, l.), live aus dem Kölner Coloneum, vor Alpenpanorama.

(Foto: Foto: Willi Weber/Sat 1)

Denn eins ist nun klar, seit am Samstag Abend der Deutsche Fernsehpreis 2009 im Kölner Coloneum verliehen wurde: Der hochbetagte Literaturkritiker scheint eine Wunderwaffe zu sein.

Mit seiner Kritik am - damals noch sehr spießig anmutenden - Deutschen Fernsehpreis 2008 per Preisverweigerung hat er der Institution einen großen Gefallen getan. Erstens hat sich damals erstmals wieder jemand ernsthaft für die bis dato unerträglich langweilige Preisverleihung interessiert, zweitens ist im Zuge der Kritik am deutschen Fernsehen die diesjährige Show, ausgestrahlt von Sat 1, tüchtig aufgepimpt worden zu etwas, das nicht nur dem Saalpublikum Freude macht.

Zu verdanken ist das den Comedians Anke Engelke und Bastian Pastewka, die als Volksmusikanten-Moderatoren-Duo "Wolfgang und Anneliese" durch den Abend führten. In bayerischer Tracht, passend zum Oktoberfest, er mit blonder Föhnwelle, sie mit viel zu vielen Zähnen im Mund, wirkten die beiden fast echter als ihr großes Moderatoren-Vorbild "Marianne und Michael".

Schon in der Sat1-Show "Fröhliche Weihnachten" hatten sie gezeigt, dass diese Parodie mehr als einen Sketch hergibt. Nebenbei trifft sie einen Nerv der Kritik am deutschen Fernsehen, vornehmlich des öffentlich-rechtlichen, vornehmlich des ZDF: Wo viel volkstümliches Senioren-Schunkeln zelebriert wird, ist weniger Platz für gutes Programm.

Wie um diesen Seitenhieb auf den Methusalem-Sender auszugleichen, war das Zweite Deutsche Fernsehen preismäßiger Sieger des Abends, man hatte zwischenzeitlich den Eindruck, es gäbe nur noch das Zweite, oder das ZDF sei, um es mit Anneliese zu sagen, mindestens der beste Sender "der Welt": Zehn Trophäen gingen an das ZDF, acht an die ARD, drei an den Gastgeber Sat.1, zwei an RTL und einer an 3sat, wobei bestimmt unerheblich war, dass der deutsche Fernsehpreis von ARD, ZDF, RTL und Sat 1 ausgerichtet wird. Vorsitzende der Jury war diesmal Bettina Böttinger.

Ob nun tatsächlich Senta Berger die beste deutsche Schauspielerin (ausgezeichnet für ihre Hauptrolle als schuldlos wegen Mordes verurteilte Filmdiva in "Schlaflos") ist oder Josef Hader der beste deutsche Schauspieler (eigentlich kein Schauspieler, sondern Kabarettist und eigentlich kein Deutscher, sondern Österreicher, aber ausgezeichnet für seine Hauptrolle als Kindermörder im vielfach nominierten Film "Ein halbes Leben"), das mag eine Momentaufnahme sein. In der Sparte "Beste Unterhaltung" wurde ja auch Thomas Gottschalk mit "Wetten dass ...?!" Mario Barth und Stefan Raab vorgezogen.

Immerhin gab es eine Überraschung im Genre "Comedy": Anstelle von Oliver Welke oder Hape Kerkeling, der nun stattdessen doch Kanzler werden muss, wurde mit den "TV Helden" eine junge frische Truppe ausgezeichnet, produziert von Friedrich Küppersbusch, die sich auch sogleich artig kaugummikauend dafür bedankte, nicht gleich nach der ersten Sendung abgesetzt worden zu sein, "sondern erst nach der zweiten".

Alfred Biolek ließ es sich bei der Danksagung für den ihm verliehenen Ehrenpreis nicht nehmen, sich auf den großen Kritiker zu beziehen: "Verehrter Marcel Reich-Ranicki, ich bitte um Verständnis, ich nehme den Preis an." Auch Thomas Gottschalk bedankte sich für seinen Preis im R-R-Stil: "Eine Katastrophe, den Preis bekommen zu haben. Die Katastrophe wäre aber größer gewesen, wenn ich ihn nicht gekriegt hätte."

"Für mich ist das eher die Hausfrau"

Wolfgang und Anneliese ließen gottseidank solcherlei Spielchen bleiben und konzentrierten sich auf das, was sie können: Den reaktionär-sexistisch-volksverblödenden Charakter von Volksmusik-Shows zu parodieren und nebenbei ein paar aktuelle Seitenhiebe auf das TV-Geschäft loszulassen - wunderschön ihr schräg-hysterischer Historienfilm-Trailer "Wir sind die Volksmusik" in Anlehnung an den hier ausgezeichneten Mehrteiler "Wir sind das Volk", passend auch die Seitenhiebe auf Schauspielerin Veronica Ferres: "Für mich ist das eher die Hausfrau."

Am gelungensten aber - und dafür lohnte es sich dann tatsächlich, auch zwischen der Moderation mal hinzuhören - war der Auftritt der für das beste Drehbuch ("Wir sind das Volk") ausgezeichneten Autorin Silke Zertz: "Mich gibt es wirklich", verkündete sie fröhlich - eine gelungene Anspielung auf den kürzlich offen gelegten Skandal, dass beim NDR, und damit auch bei der ARD, Drehbücher der ehemaligen Fernsehspielchefin Doris J. Heinze unter falschem Pseudonym für viel Geld eingekauft wurden.

Die frisch ausgezeichnete Jungschauspielerin Anna Fischer, zusammen mit Florian Bartholomäi für die beste Nebenrolle prämiert, erinnerte mit ihrer pseudo-spontanen Dankesrede ("Eigentlich muss ich pullern") eher daran, dass man nicht immer dabei sein muss, wenn Filmschaffende von Gefühlsregungen überwältigt werden.

Immerhin: Man hat sich Mühe gegeben, nicht zu enttäuschen - was gar nicht einfach war. Die Erwartungen waren hoch, ein neuer Skandal wäre zu billig gewesen, aber weitermachen wie bisher, das konnte der unter Beobachtung stehende Fernsehpreis nun auch nicht mehr. Sat 1 hat das Beste daraus gemacht - auch wenn nach der ohnehin schon zu lang geratenen Live-Übertragung im Anschluss noch der unvermeidliche Backstage-Bericht folgen musste, wo die eben ausgezeichnete Prominenz schon wieder in die Niederungen des Roten-Teppich-Tumultes hinabstieg.

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