TV-Kritik: Anne Will:"Schluss mit dem Gequatsche!"

Anne Will konfus und überfordert: Zuweilen schien CDU-Politiker Rüttgers ihre Talkshow zu leiten. Debattiert wurde über Sozialismus statt über Hessen.

H.-J. Jakobs

Klaus Wowereit will ernst genommen werden, schließlich macht sich der Regierende Bürgermeister von Berlin vermutlich Hoffnungen, einmal Spitzenkandidat und Vorsitzender der SPD zu werden. Im Fernsehstudio aber sorgte der Politiker am Sonntagabend für Momente unfreiwilliger Komik, als er in einer Art Autosuggestion seine Partei pries: "Die SPD hat gutes Personal." Und sie habe jetzt die richtigen Themen, von Bildung bis Gerechtigkeit.

TV-Kritik: Anne Will: Saß verärgert in der Talkrunde: CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers.

Saß verärgert in der Talkrunde: CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers.

(Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Da durfte einmal gelacht werden, in diesen Stunden einer historischen SPD-Niederlage. Wowereits Beschwörung, ganz nahe dran am Polit-Voodoo, war eine der wenigen erhellenden Szenen in der ARD-Talkshow der Anne Will, die stellenweise so chaotisch verlief wie eine Fraktionssitzung in der Endphase der hessischen SPD-Spitzenkraft Andrea Ypsilanti. Über die Landtagswahl in Hessen und ihre Auswirkungen sollte geredet werden - ein Thema, bei dem man eigentlich nicht scheitern kann -, doch es wurde ein verkochter Eintopf aus Grundsatzerklärungen, Selbstdarstellung und Phantastereien.

Später, so ist zu befürchten, wird man in der ARD der Moderatorin Anne Will das Video dieser Sendung noch vorhalten und ihr sagen, dass sie die Falsche sei, um das Fernsehduell zwischen der Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Herausforderer Frank-Walter Steinmeier vor der Bundestagswahl zu leiten. Zuweilen sah es aus, als würde die diesmal überforderte Moderatorin während ihrer 57 Minuten in ihren Stuhl hineinrutschen. Diese Sendung entglitt ihr.

Zampano Rüttgers

Den großen Zampano spielte dafür über weite Strecken der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Offen forderte er Anne Will auf, das "Verstaatlichungsquatsche" endlich zu beenden. Den CDU-Politiker hatte erkennbar der sozialistische Stakkato der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht genervt, die unentwegt die für sie unsoziale Politik der Berliner Regierungspartner Union und SPD geißelte und die Beteiligung des Staates an Banken thematisierte, weil hier nur Verluste sozialisiert würden.

Das alles fand Rüttgers nicht schön, der sich schon den Einzug der Linken in das Wiesbadener Parlament nicht erklären konnte. Der NRW-Politiker kam gar nicht mehr heraus aus dem großen Verteidigen seines Freundes Roland Koch, des hessischen CDU-Wahlverlierers, der dennoch weiter regieren darf.

Also erklärte der Mann aus Düsseldorf die Koch-Position, warum sich der Staat jetzt kurzzeitig an großen Kreditinstituten "für ein, zwei, drei Monate" beteiligt, um Schlimmeres zu verhindern. Dafür wurde er von Wowereit als "Arbeiterführer" gefrotzelt, und irgendwann war es um die Geduld des schon unter Helmut Kohl als Minister amtierenden Rüttgers geschehen - er fuhr Wagenknecht an, sie solle hier nicht so "herumschwadronieren", schließlich habe die sozialistische Politik schon einmal einen deutschen Staat ruiniert.

Kampf ums Wort

Wie Sahra Wagenknecht musste sich auch die Publizistin und Politologin Brigitte Seebacher ihre Redeanteile bei "Anne Will" erkämpfen, was ihr nicht recht gelang, da jede ihrer Äußerungen sogleich in dieser Runde zu emotionaler Gegenrede führte, was die Moderatorin nicht unterband.

Für Seebacher war die niedrige Wahlbeteiligung in Hessen genauso unproblematisch wie das Wahlergebnis der Linken mit 5,4 Prozent: "Das ist keine große Masse." Die Hessen hätten eben "völlig irre abgestimmt". Mit den Linken, "diesem Haufen", hätte sich die SPD nicht zusammentun dürfen. So redet die Frau, die 1995 zur Freude der Genossen aus der SPD ausgetreten ist.

Die Witwe des legendären SPD-Chefs Willy Brandt führte aus, so etwas hätte es in der Partei früher, auch unter Brandt, nicht gegeben - dass die Zentrale in einer so wichtigen Frage wie die der Kooperation mit der Linken nicht eingreife und alles treiben lasse. Das sei "eine völlige Hilflosigkeit", weil die SPD nicht mehr wisse, wer sie sei. Die hessischen Verhältnisse seien erst möglich gewesen, weil der Landesverband frei in seiner Entscheidung war. Da widersprach Wowereit ganz heftig, es sei eben eine ganz andere Konstellation als zu Brandts Zeiten. Die Linke sei jetzt eben auch im Westen etabliert.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Frauen in der Runde am Ende nur noch Staffage waren.

"Schluss mit dem Gequatsche!"

Einmal bezeichnete die streitbare Brigitte Seebacher die Berliner Spitzenleute Merkel und Steinmeier als "seelenlose Wesen": Das könnten "wir uns nicht wünschen". Implizit lobte sie Roland Koch, den selbsternannten "Polarisierer". Das sah wiederum der Journalist Michel Friedman ganz anders, der einst wegen des Gefasels über "jüdische Vermächtnisse" der hessischen CDU zum saarländischen Landesverband der Partei gewechselt war.

Friedman brachte jene Kunst zur Pointe und Zuspitzung in diesen Talk, die Anne Will versagt blieb, und merkte beispielsweise an, dies sei nun schon "die dritte Chance", die Roland Koch erhalte, irgendwann gebe es keine Bewährung mehr.

Auf die Einlassung des N24-Moderators Friedman, es gebe Ausländerfeindlichkeit und Hetze gegen Minderheiten in Deutschland, erregte sich Seebacher, das sei doch nicht wahr, das sei "Blödsinn". Und als Wagenknecht die Lust der Banken an staatlichen Milliarden bespöttelte, fragte die einstige Brandt-Gefährtin, was mit jener Bank sei, die staatliche Hilfen ablehnte - sie meinte die Deutsche Bank, der ihr jetziger Mann Hilmar Kopper lange als Spitzenmanager gedient hatte. Dass die neuerdings verlustreiche Deutsche Bank sich über ihren Neuerwerb Postbank mit quasi öffentlichem Geld bedienen lässt, blieb unerwähnt.

Aber es sollte ja auch nicht über Staatsknete für die Wirtschaft gehen bei "Anne Will", sondern über den "Schluss-Akt im Hessen-Theater". Vieles blieb im TV-Theater unerwähnt: die Rolle der Grünen, die Strukturen in Hessen oder die Person des Thorsten Schäfer-Gümbel beispielsweise. Was nun aus dem "Auftakt nach Maß" wird, den der FDP-Chef Guido Westerwelle öffentlich unentwegt feiert, wurde kaum herausgearbeitet. Was machen die Liberalen aus ihrer Schlüsselrolle?

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Irgendwann redete Anne Will, in sich gezogen, nur noch nach rechts, da wo die Männer in ihrem Sesselkreis saßen. Die beiden Frauen zu ihrer Linken blieben Staffage. Am Ende gab die Moderatorin dann der Publizistin Seebacher doch noch eine Frage - und als der Gast begann, über die Wirtschaftskrise und den drohenden Jobabbau zu reden, da wurde sie schnell abgewürgt.

Anne Will gab ab zu den "Tagesthemen" nach Hamburg, die aber schnell zurückschalteten, weil sich die Moderatorin nicht richtig verabschiedet hatte. Vielleicht haben die "hessischen Verhältnisse" sie einfach ein bisschen konfus gemacht.

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