TV: Digitale Spartenkanäle:Auf der Flucht vor der Tiertelepathin

Seien Sie gewarnt: Das Zeitalter der Mesomedien wird bald anbrechen. Ob Tier-, Bibel-, Help- oder Hot-Girls-TV... Der Ausbreitung von Spartenkanälen sind leider keine Grenzen gesetzt.

Simon Feldmer

Wenn die Tiertelepathin auf Sendung geht, muss man sich um das Seelenleben der deutschen Dackel und Doggen keine Sorgen mehr machen. Schon eher um das der Hundehalter. Das Telefon klingelt. Eine Anruferin berichtet, dass sie ihren Hund gerade für ein paar Tage mit dem etwas schwierigen Rasseexemplar einer Freundin zusammengesteckt hat.

Bibel TV

Da hilft nur der liebe Gott: "Bibel TV"-Geschäftsführer Henning Röhl.

(Foto: Foto: dpa)

Ein Fall für Susanne Hühn. Die Tiertelepathin von Tier TV schiebt zwei Plastikhunde wie bei der Familienaufstellung auf dem Tisch hin und her und sagt: "Entschuldigen Sie sich bei Ihrem Hund. Sie haben wissentlich in Kauf genommen, dass er sich dort nicht wohl fühlen wird."

Das Wohl der Haus- und Nutztiere liegt den Machern von Tier TV am Herzen, 24 Stunden am Tag. Seit Juni ist der digitale Spartenkanal auf Sendung. Formate heißen dort "Tierisch schwierig" oder "Klasse Rasse". Fragt man den Sendergründer Carl A. Claussen, wie er auf die Idee mit Tier TV gekommen ist, dann berichtet der frühere Geschäftsführer der Filmproduktion Ufa von Marktforschungsergebnissen und unbesetzten Nischen.

Claussen freut sich mächtig über die neuen Zeiten, in denen man für vergleichsweise wenig Geld einen Sender starten kann. Gut zehn Millionen Euro hat er eingeplant, um sein "ratgeberorientiertes Themenfernsehen" bis Anfang 2009 in die schwarzen Zahlen zu führen. Etwa 150000 Zuschauer zappen am Tag bei Tier TV vorbei. Früher hätte ein Sender bei solchen Zahlen zusperren müssen. Im digitalen Fernsehzeitalter liegt er damit schon deutlich über der Wahrnehmungsgrenze.

Schöne neue Fernsehwelt: Fast wöchentlich gehen TV-Kanäle an den Start. In den vergangenen drei Jahren sind ungefähr vierzig Sender pro Jahr entstanden. Knapp die Hälfte davon als Lokal- und Regionalsender. Die Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM) zählt seit dem Jahr 2004 fast dreißig neue, bundesweit verbreitete Voll- und Spartenprogramme. Dazu kommen mehr als dreißig Neustarts im Bezahlfernsehen. Die Verbreitungswege IP-TV oder Web-TV werden hier nicht mitgezählt.

"Oana hat immer des Bummerl"

Zu verdanken haben die Zuschauer den wachsenden Fernsehdschungel dem von Medienmanagern vielbeschworenen digitalen Wandel. Übersetzt: Der herkömmliche analoge Übertragungsweg wird nach und nach durch die digitale Signalverbreitung abgelöst. Die Kapazitäten des digitalen Fernsehens sind nahezu grenzenlos.

Wer gerne Segelboote restauriert, hat vielleicht bald schon einen neuen Lieblingssender. Auch Unternehmen, Verbände und Vereine entdecken die Möglichkeiten: Audi, ADAC oder der österreichische Red-Bull-Erfinder Dietrich Mateschitz experimentieren mit eigenen digitalen TV-Aktivitäten. Die neue Unübersichtlichkeit ist schwer zu durchdringen. Dabei geht der Spaß erst richtig los.

So rechnet der Medienexperte Klaus Goldhammer bis zum Ende des Jahrzehntes mit 250 bundesweiten Sendern. Ab dann beginnt für den Chef des Berliner Forschungsinstitutes Goldmedia das Zeitalter der "Mesomedien". Weit mehr als tausend Sender mit geringen Reichweiten und spitzesten Zielgruppen sieht der Unternehmensberater entstehen.

Was darf es heute sein?

Die Mesomedien-Plage könnte Goldhammer auch selbst gelegen kommen, denn er berät TV-Veranstalter in Fragen des digitalen Marktes. So ist es nicht verwunderlich, dass Goldhammer sein Szenario rundherum positiv unterfüttert. In einer gut sortierten Bahnhofsbuchhandlung rege sich auch niemand über Zeitschriften für kleinste Nischenthemen auf, sagt Goldhammer und bläst zum Angriff: "Die kritische Masse an digitalen Endkunden ist erreicht. Ab jetzt kann es sich rechnen."

Schätzungen zufolge könnte die technische Reichweite des digitalen Fernsehens Ende des Jahres bundesweit bei fast 40 Prozent der TV-Haushalte liegen. 2012 sollen es dann 77 Prozent sein, prognostiziert zumindest Goldmedia. Entsprechend bringen sich die Anbieter in Position.

Während im Markt des digitalen Bezahlfernsehens meist Senderketten wie RTL (mit RTL Crime), Pro Sieben Sat 1 (Sat 1 Comedy) oder amerikanische Medienkonzerne wie Universal (SciFi, 13th Street) hinter den Neustarts stehen, ist im frei empfangbaren Digitalfernsehen ein bunter Blumenstrauß an Kleinunternehmern neben etablierten Anstalten auf Sendung. Wer hier den Überblick behalten will, muss ein Meister seiner Fernbedienung sein: Gebrauchtwagen TV, Schmuckkanal, Job24 TV, Eins Extra, ZDF Info, 1-2-3 TV, Bibel TV, TV Gusto, Astro TV - was darf es heute sein?

Kanal Telemedial

Mehrere Tage vor einem Fernseher mit digitalem Satellitenempfang und Hunderten Programmen vor der Linse können einen schon heute um den ausgeglichenen Seelenzustand bringen: Auf der Flucht vor der Tiertelepathin kann es passieren, dass man auf Volksmusik TV einen einsamen älteren Herren in einem Wiener Weinlokal antrifft, die Volksweise "Oana hat immer des Bummerl" intonierend.

Im Männersender DMAX wird in der Kochshow "License to grill" eine Tomate problemlos von ihrer Schale befreit. Man kann im ZDF Theaterkanal auf René Kollos Spuren durch Budapest wandeln, das Hollywood-Quiz auf dem Spielfilmsender Das Vierte überspringen oder am helllichten Nachmittag vor wahren Busenmonstern bei Liebesglück TV oder Hot Girls TV erschrecken.

Man kann sich aber auch an den Rand der Selbstaufgabe bringen. Man muss sich nur in die Welt der Wahrsagersender begeben. Dort sitzen vermeintliche Lebensberater, die sich als Hexe, Energieheiler oder Kartenmedium vorstellen. Auf Kanal Telemedial behauptet ein gewisser Walter von Berg, in engem Kontakt mit Erzengel Raphael zu stehen. Herr von Berg lässt in seiner Sendung "Seelenschau" die innere Stimme seiner Anrufer sprechen - für 1,99 Euro pro Minute aus dem deutschen Festnetz.

Soll das die Zukunft des Fernsehens sein?

In samtweichem Tonfall sagt er zu einer Anruferin: "Ich gebe jetzt einen Buchstaben in Ihre Fontanelle." Und schon spricht es aus ihm: "Ich liebe mich so, wie ich bin, auch wenn ich manchmal hilflos scheine oder hilflos bin." Auf dem Wahrsagersender Astro TV gibt unterdessen Lebensberaterin Silvia im schwäbischen Dialekt Anrufern den Namen ihres jeweiligen Schutzengels durch.

Hilflos bei Glück TV gelandet, belästigen einen dort Teleshopping und "Gewinne in Millionenhöhe". Zurück auf Volksmusik TV, lernt man einen rotbackigen Moderator kennen, der nur Andy heißt. Andy präsentiert seinen Musikantenstadl für Arme unter dem Titel Musikparadies offenbar am liebsten singend. Mit dem Gassenhauer "Die Sterne von Gomera" im Ohr steigt man in die Reportage über die älteste Dampflok der Welt namens Saxonia auf Bahn TV ein.

Sollten schließlich vor lauter Glotzen die Körperfette verrückt spielen, kann man sich im Deutschen Gesundheitsfernsehen über die Hintergründe der Mesoporation informieren. Die neue Technik ermöglicht injektionsfreies Fettabsaugen. Zum Abschluss ein Hundespaziergang auf Tier TV - kein Witz: Dort geht ein Mann mit fünf Hunden durch den Wald - und man ist endgültig reif für Jürgen Fliege auf Help TV. Der ins Spartenfernsehen abgewanderte ehemalige ARD-Pfarrer beantwortet hier alle Fragen seiner Zuschauer für 50 Cent pro Anruf. Soll das die Zukunft des Fernsehens sein?

Die Programmzeitschrift TVMovie hat vor kurzem herausgefunden, dass 90 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren lieber nicht noch mehr Kanäle empfangen wollen. Viele Fernsehzuschauer wüssten gar nicht, was digitales Fernsehen sei, selbst wenn sie es empfingen, stand da.

Im Zeichen der Sparte

Und so hat Andreas Kühner, Sprecher der Pro Sieben Sat 1-Vermarktungstochter Seven One Media, wohl nicht ganz unrecht, wenn er sagt: "Der digitale Wandel geht an der Mehrheit der Zuschauer vorbei." 80 Prozent der Fernsehnutzung beschränke sich immer noch auf sechs Programme. Auch wenn die vielen Kleinen an den Marktanteilen der Großen kratzen. Ein Hauptteil der Zuschauer wählt am Ende: ARD, ZDF, die Dritten Programme, RTL, Sat 1 und dann wahlweise ProSieben, Vox oder vielleicht das DSF, wegen der erotischen Ratespiele oder auch, wenn dort mal Fußball läuft.

Auch Hans-Jürgen Weiß sieht die Vielfalt kritisch. Weiß ist Medienforscher an der Freien Universität Berlin und Autor der jährlichen Programmberichte der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM). Er sagt, "unter den gegebenen Umständen sind die Menschen nicht bereit, das große Programmangebot zu nutzen". Weiß macht sogar einen Gegentrend aus - sozusagen die individuelle Kehrseite der großen Vielfalt: Je mehr Programme es gebe, desto mehr hielten die Zuschauer am Bekannten, am Etablierten fest.

Psychologen sprechen hier von der kognitiven Faulheit des Menschen. Doch der digitale Wandel wird sich vom Zuschauer nicht aufhalten lassen. Dank Call-in-Fernsehen und Teleshopping sind digitale Abenteuer heute leichter refinanzierbar. Klassische Werbung spielt im Nischen-TV der Zukunft keine entscheidende Rolle mehr. "Die Zeit der Gemischtwarenläden im deutschen Free-TV ist vorbei", sagt Patrick Hörl, Deutschland-Chef des amerikanischen Medienkonzerns Discovery.

In keinem Land der Welt sei die Konkurrenz zwischen den Sendern größer als in Deutschland. Hörl startete vor einem Jahr mit DMAX den ersten erotikfreien Sender für junge Männer. Dort wird geangelt, Motorrad gefahren und vom Schrottplatz gesendet. Mit Erfolg. In der für die Werbekunden wichtigen Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen Zuschauer erreicht der Männersender nach einem Jahr schon ein Prozent Marktanteil. "Am wichtigsten ist eine klare Positionierung", sagt Hörl businessdeutsch.

Nach der klaren Positionierung im digitalen Zukunftsmarkt suchen derzeit öffentlich-rechtliche Anstalten wie private Senderketten, um ihr Terrain rechtzeitig zu markieren. Dazu kommen Jungunternehmer - oder Junggebliebene wie Max Schautzer. Der in der ARD aussortierte Moderator will Anfang kommenden Jahres den "1. Fernsehsender für die 2. Lebenshälfte" starten. Bono TV soll der Seniorenkanal heißen. Mit Timm TV will im neuen Jahr ein Sender für schwule Männer loslegen.

Auch bei der TierTV-Muttergesellschaft United Screen Entertainment soll der Tatendrang nicht ruhen. "Es gibt noch Themen und Nischen, die einen eigenen Fernsehsender vertragen würden", sagt Spartenkanal-Fan Claussen, dem der ehemalige RTL-2-Chef Josef Andorfer beratend zur Seite steht. Ein "kleines Bouquet" schwebe ihm vor. Konkreter will er nicht werden. Der Wettbewerb hört mit. "Man muss schnell sein in diesem Markt", berichtet Claussen.

Nach Tagen im Zeichen von Tier TV, Astro TV und Bahn TV sehnt man bei diesem Satz allerdings eher eine neue Langsamkeit herbei - oder zumindest den Namen des eigenen Schutzengels.

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