TV der Zukunft (2):Verbotene Liebe

Willkommen bei den Web-Potatoes: Fernsehen goes Internet - altbekannte Serien erreichen auf neuen Wegen das junge Publikum.

Cathrin Hegner

Rund sechs Millionen Zuschauer sitzen vor dem Fernseher, wenn Dieter Bohlen einen der talentfreien Kandidaten der RTL-Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" runtermacht. Im Internet braucht es drei Wochen, um mit Clips und Wiederholungen ganzer Folgen auf ähnlich hohe Abrufzahlen zu kommen - noch. Doch die Zukunft ist virtuell.

TV der Zukunft (2): Der Fernseher als Prestigeobjekt... das war einmal.

Der Fernseher als Prestigeobjekt... das war einmal.

(Foto: Foto: dpa)

Das Internet wächst trotz der Medienkrise. Der Grund: die Begeisterung der Teens und Twens für Online-Videos. Die Sender müssen den Nachwuchs begeisternn, für den das Fernsehen nicht mehr aus dem Fernseher kommt. Fast 13 Milliarden Online-Videos wurden in Deutschland im vergangenen Jahr nach Hochrechnungen des US-Marktforschers Comscore geschaut, bis 2012 könnten es rund 20 Milliarden sein. Dabei bringt es die User-Plattform YouTube auch hierzulande auf die meisten Abrufe, gefolgt von den Seiten der Pro Sieben Sat 1 Gruppe und RTL Deutschland.

Selbstgedrehte Haustiertricks, dümmliche Gesangs- und Stolpereinlagen - sie stellen das Gros der Videos im Netz. Dass sich damit kein Geld verdienen lässt, ist mittlerweile auch in Deutschland angekommen. "Die Kommerzialisierung hinkt den Abrufzahlen noch dramatisch hinterher", sagt Florian Ruckert, Geschäftsleiter Marketing beim RTL-Vermarkter IP Deutschland in Köln.

Deshalb rüsten die Sender ihre User-Portale Myvideo (Pro Sieben Sat 1) und Clipfish (RTL) mit professionell produzierten Inhalten auf. Mehr als 200 Spezialkanäle sind online - mit Kinotrailern, Musikvideos und Ausschnitten aus "Alarm für Cobra 11" und "Schillerstraße". RTL, Pro Sieben und das ZDF bedienen die Jungen zusätzlich über eigene YouTube-Kanäle, die ARD wird demnächst folgen.

Keine Amateure, sondern Profis

Die TV-Schnipsel werden öfter angeklickt, bauen also mehr Reichweite auf. Bei YouTube stammen die Top-Videos regelmäßig von Profis. Daneben wird das zeitversetzte Fernsehen über das Internet immer beliebter. "Die Jüngeren emanzipieren sich vom Programmschema der Sender", sagt Frank Mackenroth, Leiter Media & Entertainment von Price Waterhouse Coopers in Hamburg: "Sie sehen fern, wann und wo es ihnen passt."

Nach den Ergebnissen der ARD/ZDF-Online-Studie sehen sich schon 30 Prozent der 14- bis 19-Jährigen ihre Lieblingsserien zeitversetzt im Internet an - natürlich kostenlos. Fast 60 Prozent der Jungen nutzen das Internet vor allem zur Unterhaltung: Willkommen bei den Web-Potatoes!

Bei RTL now und auf den Videoportalen von Pro Sieben Sat 1 werden sie bedient. Allerdings nicht mit all zu viel Elan: Denn während im Fernsehen die Quoten sinken, reichen weder Abrufzahlen noch Werbeumsätze aus, um die Transportkosten der Daten zu den Usern zu bezahlen. "Noch lassen sich längere Episoden nicht über Werbung refinanzieren. Die Streamingkosten sind zu hoch", erklärt Marcus Englert, Vorstand New Media und Diversifikation bei Pro Sieben Sat1.

Beißt sich das Fernsehen selbst in den Schwanz?

Zu viel Erfolg könnte da gefährlich werden. Die Kannibalisierung des Kerngeschäfts droht - und die neue Geldquelle Internet sprudelt noch nicht. Deshalb beschränken die Sender das Gratis-Gucken auf ein schmales Zeitfenster von sieben Tagen nach der Ausstrahlung im Fernsehen. Für Previews und das Archiv bitten sie die Zuschauer zur Kasse - bei RTL now und bei Maxdome, dem Video-on-Demand-Portal der Pro-Sieben-Gruppe.

Damit die Internetreichweiten nicht zur Refinanzierung des Hauptmediums Fernsehen fehlen, arbeiten die Privatsender außerdem intensiv an einer gemeinsamen Ausweisung der Web- und TV-Zuschauer in der Reichweitenmessung der GfK. Bislang werden hier nur die Fernsehquoten erfasst, als Basis für die Werbepreise. Ab Sommer kommt zumindest die zeitversetzte TV-Nutzung über digitale Festplattenrekorder dazu. Für die Online-TV-Messung fehlen noch Technik und Definitionen.

"Die Währungsfrage muss geklärt werden, um die zeitversetzte Ausstrahlung im Internet zu kapitalisieren", sagt IP-Manager Ruckert. Ein weiteres Problem, das in Deutschland noch kaum beachtet wird, zeigt die Entwicklung der Fernsehnutzung in den USA: Der Trend zum zeitversetzten Gucken hat dort nicht nur die Quoten derselben Programme im Fernsehen gedrückt - da die Zuschauer das so genannte "Catch up TV" am liebsten zwischen 22 Uhr und Mitternacht nutzen, sinken auch die Zuschauerzahlen der Sendungen, die zu dieser Zeit im Fernsehen laufen.

Die Sender haben also allen Grund, sich dafür einzusetzen, dass Fernsehen auch im Internet als Fernsehen gilt. Auch deshalb, weil die Werbekunden viel Druck auf das noch junge Medium Online ausüben. Experten gehen davon aus, dass der rasante Preisverfall der Bannerwerbung schon bald auf die noch deutlich teurer verkauften Bewegtbildspots im Netz übergreifen wird.

Sparen in der Krise

Da es im Internet mehr Werbekontakte für weniger Geld gibt, werden in der Medienkrise zusätzlich Budgets aus den klassischen Medien dorthin umgeschichtet. "Viele Kunden verlagern Werbeinvestitionen ins Internet, um einfach nur Geld zu sparen", erklärt Michael Enzenauer, Geschäftsführer von Optimedia in Düsseldorf. Die Agentur verteilt die Werbegelder der Industrie auf die Medien und handelt die Rabatte aus.

Dass man im Internet auch mit wenig Geld viel bewegen kann, haben findige Werbekunden längst begriffen: So sammelt das britischen Gesangswunder Paul Potts für die Telekom millionenfach kostenlose Werbekontakte bei Youtube ein. VW hat durch die virale Verbreitung der preisgekrönten Online-Kampagne mit Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling rund 6,5 Millionen Euro Mediakosten eingespart. Bei der Neueinführung seines Models Eos hat der Autobauer im Netz erstmals für Probefahrten statt für Reichweiten bezahlt. Auch die TV-Sender müssten sich auf solche erfolgsabhängigen Abrechnungsmodelle einstellen, meint Ralf Maltzen, Leiter CRM und Internetmarketing von Volkswagen in Wolfsburg.

Der Kunde, der König?

Statt für Reichweiten wie im Fernsehen würden RTL & Co also nur noch für harte Absatzzahlen bei Autos, Bier und Tütensuppen entlohnt. Im Netz ist die erfolgsabhängige Bezahlung, zum Beispiel pro Bestellung, üblich. Immer wieder versuchen Werbekunden, solche Modelle auch fürs Fernsehen durchzusetzen - in wirtschaftlich schwierigen Zeiten bisweilen mit Erfolg. "Die Industrie will einen Teil des unternehmerischen Risikos weitergeben", erklärt Niko Waesche, zuständig für Media & Entertainment bei der Unternehmensberatung IBM Global Business Services in Stuttgart. "Daraus kann eine immense Bedrohung für die Sender werden."

Höchste Zeit also, sich nach funktionierenden Geschäftsmodellen im Internet umzusehen. Während mal wieder in etlichen Kommissionen und Arbeitsgruppen zerredet wird, ob Fernsehen aus dem PC noch Fernsehen ist, explodiert die Zahl der Rivalen im Netz. "Die traditionellen Leitplanken des Wettbewerbs entfallen, erklärt Jan Lingemann, Forschungschefs des Beratungsunternehmens HMR International in Köln: "Im Internet kann jeder zum Konkurrenten fürs Fernsehen werden."

Buhlen um die Gunst der Web-Potatoes

Video-Portale, Soziale Netzwerke, Produzenten und Verlagshäuser - sie alle buhlen um die Gunst der Web-Potatoes und sägen damit am Ast des werbefinanzierten Fernsehens. Seit ein paar Monaten bietet zum Beispiel MSN Movie von Microsoft nicht mehr ganz taufrische Streifen wie "Blade" im Internet an: Ziel ist die Finanzierung über Werbung.

Jede Menge an Serien und Filmen können die Zuschauer in den Mediatheken von ARD und ZDF abrufen. Die Video-Community Sevenload, eine Beteiligung von Hubert Burda Media, zeigt neben Benutzervideos und den Angeboten verlagseigener Titel auch TV-Markenware wie die RTL-2-Reality-Show "Big Brother" und die ARD-Soap "Verbotene Liebe".

Während die Verlage anfangs vor allem auf Nachrichten im Netz setzten, gehört Entertainment mittlerweile zum Standard. Schließlich wittern die Printmanager eine Chance, mit Bewegtbild im Internet zumindest perspektivisch ein paar Löcher im Anzeigengeschäft zu stopfen. Bei Bunte.de flimmert Starstyle TV, bei Spiegel online das Kicker TV und Bild.de versucht sich gerade mit "Deer Lucy", der neuesten Web-Soap der Produktionsfirma Me, Myself & Eye. An gefährlichen Liebschaften ist hier kein Mangel.

Die Candy Girls marschieren auf

Die speziell für Online gedrehten Minutenserien laufen mittlerweile auf sämtlichen Videoportalen und Plapperplattformen im Netz. Die wohl bekannteste "They Call us Candy Girls" startete 2008 beim sozialen Netzwerk Myspace und wurde dort insgesamt 1,5 Millionen Mal abgerufen.

Pro Sieben Sat 1 hat schon mehrere so genannte Made-for-online-Produktionen wie die Comedyserie "Check it Out" angeschoben und mit "Abenteuer leben - Imbiss Live" sogar ein TV-Format zuerst im Internet gezeigt. Bei RTL sieht man die Umkehr der Verwertungskette eher skeptisch: "Die rein für Online produzierten Web-Soaps sind nach wie vor eher ein Marketinginstrument als ein gewinnbringendes Geschäftsmodell", sagt Marc Schröder, Geschäftsführer von RTL Interactive.

Schließlich könnten nur starke Programmmarken die User massenhaft im Netz versammeln. "Zum anderen ist unser Material bereits bezahlt, weil es zuvor im Fernsehen gelaufen ist", erklärt Schröder. Auch Pro-Sieben-Sat1-Manager Englert lässt die neue Konkurrenz noch kalt: "Wir investieren europaweit 1,6 Milliarden Euro jährlich in Programm, in den Verhandlungen mit den Produktionsfirmen haben wir bessere Argumente als MSN und Co."

Der Kunde, der König?

Noch gilt das TV-Mantra "Content ist King". Doch die Haltbarkeit der Formel hängt entscheidend davon ab, ob das Internet auf Dauer den Massengeschmack oder die Nische fördert. Nicht wenige Experten glauben, dass sich mit wachsender Zahl von Spezialangeboten im Netz auch der Medienkonsum vom Mainstream weg entwickelt. Wired-Chefredakteur Chris Anderson hat diese Theorie vom Geschäft in der Nische in seinem Bestseller "The Long Tail" verewigt.

Webspezialisten wie Tremor Media, nach eigenen Angaben Marktführer für Online-Video-Werbung in den USA, haben bereits ihr Geschäftsmodell auf den "Long Tail" ausgerichtet. Mit ausgefeilter Technologie sammeln sie Reichweiten auf Spezialseiten im Internet ein und bespielen diese mit Bewegtbildwerbung. So kommen selbst Kleinstanbieter, die noch nicht einmal Video-Content auf ihren Seiten haben, an den neuen Werbetopf. In den USA werde Tremor bereits wie ein eigener TV-Sender gebucht, verkündet Europachef Christian Baudis, ehemals Geschäftsführer des RTL-2-Vermarkters El Cartel Media.

Die großen Fernsehkonzerne haben seit jeher für den Massenmarkt produziert, sagt IBM-Experte Waesche - die Zukunft gehöre aber jenen, die auf geringer Kostenbasis auch in Nischen Geschäft entwickeln. "Die goldenen Zeiten der allein auf den Massengeschmack ausgerichteten Geschäftsmodelle sind vorbei."

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