TV der Zukunft (1):Bildverstörung

Das Fernsehen schaut alt aus: Junge Zuschauer gehen lieber ins Netz, Werbegelder sind bedroht. Der Überlebenskampf der Sender hat begonnen. Sie suchen neue Geschäftsmodelle.

Cathrin Hegner

Viel gibt es derzeit bei Pro Sieben Sat 1 nicht zu lachen: Die Gesellschafter lassen die dritte Sparwelle binnen zwei Jahren über den Münchner Privatfernsehkonzern rollen. Mal wieder bangen viele um ihren Job. Da ist ein bisschen Ablenkung willkommen - vor allem, wenn es darum geht, über die Konkurrenz zu lachen.

TV der Zukunft (1): Das Fernsehen - ein Auslaufmodell?

Das Fernsehen - ein Auslaufmodell?

(Foto: Foto: dpa)

"Why is RTL doing such a shit?", fragt der Schauspieler Will Smith in einem Video, das ein enttäuschter Fan der RTL-Show "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS) bei YouTube hochgeladen hat. Wer auf der Video-Plattform "DSDS Beschwerde" eingibt, sieht eine fingierte Folge von RTL aktuell - zusammengeschnitten aus Aufzeichnungen der Pro-Sieben-Comedys "TV total" und "Switch". RTL hatte zuvor alle DSDS-Mitschnitte bei YouTube sperren lassen.

Willkommen in der neuen Welt des Fernsehens. Es ist eine Welt ohne Ohrensessel und TV-Zeitschrift, ohne Chips und Flaschenbier. Es ist eine Welt, in der die Sender wieder die jungen Leute mit allen Mitteln erreichen wollen, die lieber online sind, als sich durchs Programm zu zappen.

Dass Fernsehen ein "junges Medium" ist, gehört zu den Mythen, die Privatsender wie RTL und Sat 1 von 1984 an emsig verbreitet haben. Erfunden wurde sogar eine eigene "werberelevante Zielgruppe" von 14 bis 49 Jahren, um besser an die begehrten Millionen der Werbekunden zu kommen. Nun aber ist klar: Die Mythen von gestern bringen kein Geschäft von morgen - das kann nur eine Expansion ins Internet schaffen.

TV-Schnipsel bevorzugt

Vorbei ist es mit der Idylle des elektronischen Lagerfeuers, als sich noch Jung und Alt abends um den Fernsehkasten gruppierten und glotzten, was die Sender an Kassetten einlegten oder live boten. Jetzt sitzen die Älteren im Wohnzimmer, während der Nachwuchs TV-Schnipsel im Internet guckt.

Die Zuschauer von RTL sind im Schnitt immerhin 46 Jahre alt, der grob-kalauernde RTL-Hero Dieter Bohlen bringt es sogar auf 55 Jahre; der Sat-1-Durchschnittszuschauer ist mit 51 Jahren schon der Zielgruppe entwachsen und nähert sich den Freunden von ARD (59 Jahre) und ZDF (60 Jahre) an. Sogar das angeblich so juvenile Pro-Sieben-Publikum ist im Schnitt 36 Jahre alt.

"Das Mediennutzungsverhalten der jungen Generation verändert sich dramatisch", erklärt Frank Mackenroth, Leiter Entertainment & Media der Unternehmensberatung Price Waterhouse Coopers (PWC) in Hamburg: "Die klassische Fernsehwerbung erreicht immer weniger junge Menschen."

Damit wird Opas Fernsehen der Boden entzogen. Der Nachwuchs setzt auf Bewegtbild im Internet: Mehr als die Hälfte der Onlinenutzer sehen sich Videos im Netz an; bei den 14- bis 29-Jährigen sind es bereits 84 Prozent. Und nicht wenige glauben, dass die Werbung den Jungen ins Netz folgen wird. Das US-Marktforschungsunternehmen ABI Research geht davon aus, dass der europäische Markt für Online-Video-Werbung von derzeit rund 200 Millionen US-Dollar bis 2012 auf 2,5 Milliarden US-Dollar wachsen wird.

Digitale Herausforderung

Die Werbebudgets kommen aus dem Fernsehtopf der Industrie: Schließlich geht es darum, TV-Inhalte auf neue Verbreitungswege zu schicken. Mitten in der Wirtschaftskrise tobt da ein knallharter Verteilungskampf. Die Zukunft der Sender hängt davon ab, wie viel Umsatz sie über eigene Bewegtbild-Angebote im Netz zurückholen können. "Es ist eine der größten Herausforderungen für das Fernsehen, funktionierende Geschäftsmodelle für die digitale Welt zu entwickeln", sagt Medienexperte Mackenroth.

Regelmäßig laden die Nutzer von Videoplattformen im Internet neben Selbstgedrehtem auch TV-Mitschnitte hoch. RTL-Inhalte finden sich sogar bei Myvideo, der Plattform für User Generated Content von Pro Sieben Sat 1. Auch beim RTL-Pendant Clipfish sind Ausschnitte von Konkurrenzformaten zu sehen. Nur wenn es zu viele werden, greifen die Senderverantwortlichen ein. Doch bei YouTube, der Tochter des Suchmaschinenriesen Google, hört der Spaß auf.

Mit rund 90 Millionen Nutzern im Monat und 52 Milliarden Videoabrufen pro Jahr allein in den USA ist YouTube die reichweitenstärkste Bewegtbildseite im Netz. Weil sich die von Laien hergestellten Home Videos nur schwer vermarkten lassen, verhandelt YouTube-Chef Chad Hurley seit Monaten mit Filmstudios und Sendern über die Zulieferung professionell produzierter Inhalte.

Die Annäherung dauert: YouTube hatte sich in den drei Jahren seit dem Start mit illegal hochgeladenen Videos bei der Filmindustrie unbeliebt gemacht. Erste Abschlüsse gibt es dennoch: Das Hollywoodstudio Metro Goldwyn Mayer, die kanadische Filmfirma Lionsgate und der TV-Konzern CBS steuern seit Kurzem Klassiker wie "MacGyver" und "Die glorreichen Sieben" bei.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum RTL alle DSDS-Mitschnitte bei YouTube entfernen ließ.

Bildverstörung

Die Google-Tochter YouTube steht aber selbst unter Druck, und zwar durch den neuen Konkurrenten Hulu.com. So heißt ein Joint-Venture des TV-Networks NBC aus dem Großkonzern General Electric mit dem Medienriesen News Corporation des Tycoons Rupert Murdoch. Hulu stellt Serien und Filme von 130 Partnern wie Sony Pictures und Warner Bros. kostenlos in hoher Qualität ins Netz. Theoretisch kann jeder den Hulu-Player in seine Homepage oder seinen Blog integrieren.

Schon knapp ein Jahr nach dem Start macht Hulu mehr Gewinn als YouTube - trotz deutlich niedrigerer Nutzerzahlen. Es dürften mehr als zehn Millionen US-Dollar Profit aufgelaufen sein. Von rund 100 Millionen Video-Abrufen pro Monat kann Hulu offenbar 80 Prozent vermarkten, weitaus mehr als YouTube. Die Werbekunden wollen ihre Produkte lieber im Umfeld hochwertiger Fernsehserien als bei privaten Rülpswettbewerben sehen.

Aus mit der Romantik

"Wer im Internet Erfolg haben will, muss sich von der Lagerfeuerromantik des Fernsehens verabschieden", meint Daniel Knapp, der als Analyst bei der britischen Forschungsfirma Screen Digest arbeitet: "Man kann nicht erwarten, dass sich die Zuschauer auf einer Plattform versammeln, man muss die Inhalte über virale Verbreitungsmodelle zu ihnen bringen."

Im Vergleich zur USA ist die deutsche Fernsehwelt im Großen und Ganzen in Ordnung - noch. Einen starken Aggregator wie Hulu gibt es nicht, vor allem der eigene Vorgarten wird gepflegt. "Wer kann mehr professionelle Bewegbildinhalte im Internet anbieten als die TV-Sender selbst?", fragt RTL-Chefin Anke Schäferkordt selbstsicher. Lizenzserien und Eigenproduktionen laufen - wenn man vom RTL-Shop bei iTunes absieht - auf den RTL-Plattformen im Internet.

"Wir wollen auf allen Distributionswegen und Endgeräten vertreten sein", betont Marcus Englert, Vorstand New Media und Diversifikation bei Pro Sieben Sat 1. Verpasste Folgen und Clips des aktuellen Casting-Wettbewerbs "Germany's Next Top Model" können die Fans auf den eigenen Senderseiten, bei Myvideo und bei Maxdome sehen, einem Portal für den Abruf von Filmen gegen Bezahlung ("Video-on-demand").

Seit Monaten streiten Pro Sieben und RTL mit den deutschen Verlagen auch über die Online-Nutzung des Fotomaterials zu ihren Shows. Zuletzt hatten zum Beispiel Welt Online und Spiegel Online mit ausladenden Fotogalerien aus dem "Dschungelcamp" von RTL reichlich Klicks gesammelt. Für Heidi Klums Modelshow ließ sich Pro Sieben nun einen Strafkatalog einfallen, der eine sehr eingeschränkte Nutzung von Bildern vorsieht.

User und Umsätze sollen auf den eigenen Seiten bleiben - auch wenn die Fernsehwerbung nach wie vor die wichtigste Einnahmequelle der Sender ist. Die großen Vollprogramme erzielen fast 90 Prozent ihrer Erlöse mit den bunten Werbespots für Waschmittel, Fruchtsäfte und Erlebnisbiere. Wer massenhaft verkaufen will, muss diese Massen erreichen. Deshalb werben Konsumgüterriesen wie Procter & Gamble oder Unilever immer noch am liebsten im TV.

Wer die Wahl hat, hat die Qual ...

Vor allem die Älteren lieben die Glotze im Wohnzimmer. Mit der Auswahl, wie sie im Internet Standard ist, sind viele überfordert. Zwar können die Deutschen im Schnitt 77 Sender empfangen, allein 35 gibt es im analogen Kabel frei Haus - doch geguckt wird immer dasselbe. 80 Prozent der Fernsehnutzung konzentrieren sich auf zehn Sender, 50 Prozent sogar nur auf die fünf großen RTL, Sat 1, Pro Sieben, ARD und ZDF.

Die Vorteile der Digitalisierung - Hunderte Spezialkanäle, Video-on-demand, Interaktivität - leuchten den meisten Zuschauern noch nicht ein. IP-TV, das Internetfernsehen aus dem Telefonkabel à la Telekom, gilt mittlerweile sogar als Digitalisierungsleiche.

Das Marktforschungsinstitut TNS Infratest schätzt das Potential bis Ende 2009 auf nicht einmal eine Million Haushalte. "In der analogen Welt herrscht Ordnung und Übersichtlichkeit", sagt Wolfgang Elsäßer, Geschäftsführer des Satellitenbetreibers Astra Deutschland in Unterföhring. Mehr Auswahl sähen die wenigsten als Vorteil. "Die Anreize für den Umstieg fehlen", so Elsäßer.

Gerade mal 45 Prozent der deutschen Haushalte empfangen derzeit digitales Fernsehen; im Kabel, dem wichtigsten deutschen Empfangsweg, ist nur jeder Vierte dabei. Anfang 2008 wies in Europa lediglich Slowenien einen noch schlechteren Digitalisierungsgrad auf. Die Abschaltung der analogen TV-Übertragung, eigentlich für 2010 geplant, ist in weite Ferne gerückt.

Die meisten Fernsehmacher beruhigen sich selbst mit der Erkenntnis, dass ihr Medium eben etwas für den Passiv-Genuss, also zum Zurücklehnen sei. Das werde es noch lange geben. Doch das Vertrauen in dieses "Lean-back-TV" ist für die Verantwortlichen gefährlich. Denn es gibt eben die junge Generation YouTube, die selbst Fernsehen im Netz veranstaltet, im Internet surft, twittert und über die ARD spottet, die mal eben über Samstag mit einer "Echo"-Preisverleihung hip werden will. Nach den Ergebnissen der jährlichen ARD/ZDF-Onlinestudie verbringen die 14- bis 19-Jährigen mittlerweile mehr Zeit im Internet (120 Minuten täglich) als vor dem Fernseher (100 Minuten). Zwar steigt der Medienkonsum in dieser Generation insgesamt an, doch der Nachwuchs würde lieber auf Presse und Fernsehen verzichten als auf das Web.

In einer aktuellen IBM-Studie benennen 50 Prozent der Teens und Twens das Internet als wichtigstes Medium. "Fernsehen entwickelt sich wie Radio zum Hintergrundmedium", sagt Niko Waesche, zuständig für Media & Entertainment bei der Unternehmensberatung IBM Global Business Services in Stuttgart. "Die werberelevante Zielgruppe ist unterwegs zu neuen Ufern."

YouTube Sperrbereich für Bohlen

Die Folge: erste allgemeine Verunsicherung in den Senderzentralen. Der Lack ist ab beim normalen Fernsehen. Die Nervosität steigt.

Deshalb hat RTL Ende Januar alle Mitschnitte seiner Superstar-Suche DSDS mit Dieter Bohlen bei YouTube sperren lassen. Der genannte Grund: Urheberrechte. Das Internet-Publikum soll dem Casting-Gebalze auf den Senderseiten RTL now, RTL.de und Clipfish beiwohnen.

Ähnlich humorlos zeigte sich zuletzt der MDR: Er ließ das Bekenner-Video der Entführer von "Bernd das Brot", der Werbefigur des Kinderkanals KiKa, wieder aus dem Netz entfernen. Da bleibt eigentlich nur die Frage: Why is MDR doing such a shit?

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