Tutanchamun Grabschätze in Basel:Soviel vom Nil

Das Antikenmuseum Basel zeigt dreieinhalbtausend Jahre alte Grabschätze aus dem Tal der Könige. Die sind so schön, dass man sogar bei einem der ausgestellten Hundehalsbänder in Tränen ausbrechen möchte.

ALEX RÜHLE

Tief sind die Keller des Basler Antikenmuseums. Zwar nicht ganz so tief wie der Brunnen der Vergangenheit, in den Thomas Mann hinabstieg für seine Geschichte um ¸¸Joseph und seine Brüder". Aber doch so tief, dass man beim Herabsteigen an die Gräber im Tal der Könige erinnert wird, diese Schächte, die während der 18. Dynastie oft 150 Meter steil in die dunkle Unterwelt, unterm Karst der wüsten Berge von Theben, getrieben wurden.

Tutanchamun Grabschätze in Basel: Tutanchamun und seine Frau - Goldblech an der Außenwand des leeren Statuenschreins.

Tutanchamun und seine Frau - Goldblech an der Außenwand des leeren Statuenschreins.

(Foto: Foto: Katalog)

Tief ist der Brunnen der Vergangenheit - und breit der Strom der Touristen. Tag um Tag strömen sie im oberägyptischen Tal der Könige samt ihren Bakterien in die Grabkammern, fassen mit verschwitzten Händen die Wandmalereien an, nehmen auf den Fingerkuppen Sepia und Azurblau mit für immer. Indem sie finden, was sie suchen, zerstören sie es.

Etwas abseits der großen Gräber aus der 18. Dynastie gibt es dort ein kleines Grab, dem die Touristen keine Beachtung schenken. Es wurde wohl für Ramses X. angelegt aber nie vollendet. So findet man darin keine Ausschmückungen, dafür aber Relikte aus der Frühzeit der modernen Archäologie: Champagnerkorken von 1890, Schokoladepapier aus den Zwanzigern. Howard Carter hatte hier sein Basislager aufgeschlagen, nach seinem Fund vom 26. November 1922. Den Schampus und die Schokolade hatte er sich verdient: Carter hatte in diesem Staubkessel bereits sechs Jahre lang nach Tuts Grab gesucht, als er im November 1922 auf eine Treppe stieß. Einige Tage später war es dann soweit: ¸¸Mit zitternden Händen machte ich eine Öffnung in der linken oberen Ecke", schreibt er in seinen Erinnerungen. ¸¸Dann führte ich eine Kerze hindurch. Als meine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, tauchten bald Einzelheiten im Innern der Kammer auf, seltsame Tiere, Statuen und Gold - überall glänzendes Gold." Über 3000 Jahre lang hatte all das Gold in der Dunkelheit vor sich hin gestrahlt, hatten die durchdringenden Obsidianaugen der Totenmaske durch vorhistorische Finsternis in den Deckel des Sarges gestarrt.

Carter hatte den berühmtesten Schatz der Kunstgeschichte entdeckt. Kein anderes Pharaonengrab war mit einer solchen Fülle sakraler wie alltäglicher Dinge für die Reise ins Jenseits erhalten geblieben. Die Welt fiel ins Ägyptenfieber, der Fluch des Pharao bot Stoff für Theaterstücke und historische Romane, selbst die Comedian Harmonists besangen die ¸¸Bar zum Krokodil am Nil, am Nil, am Nil, da verkehrten ganz incognito der Joseph und der Pharao".

Ein ähnliches Fieber hat jetzt die Schweizer erfasst: Seit klar war, dass die Ausstellung ¸¸Tutanchamun - Das goldene Jenseits. Grabschätze aus dem Tal der Könige" nach Basel kommt, gibt es in den dortigen Kneipen Tut-Anch-Ueli-Bier, benannt nach einer kleinen Brauerei; die Schiffe auf dem Rhein versprechen ¸¸Abende auf dem Nil", und Peter Blome, der Direktor des Antikenmuseums, und sein Kurator André Wiese haben für Tutanchamun und dessen pharaonische Kollegen ihr Museum umbauen lassen, einen neuen Eingang geschaffen, den Innenhof überdacht und den Keller leergeräumt.

So betritt man diese Ausstellung nicht durch die großen Saaleingänge, sondern durch einen abseits versteckten höhlenähnlichen Abgang. Hinabgestiegen in das Reich des Todes, steht man vor Thutmosis IV. Arm in Arm mit seiner Mutter sitzt er da, lächelt einen aus schwarzem Granit an und heißt einen willkommen zum Familientreffen.

Thutmosis, Amenophis, Juja und Tuja, Tutanchamun - einige der Herrscher und Familienmitglieder der 18. Dynastie sind in Basel zusammengekommen. Da der Grabschatz des Tutanchamun zwischen 1961 und 1981 schon in mehreren Einzelausstellungen zu sehen war, wollten André Wiese und Peter Blome den Blick weiten und Tuts Grabschatz in größerem Kontext präsentieren: Zwar bilden 50 Exponate aus dem Grab des Tutanchamun das Zentrum der Ausstellung, doch wird durch weitere 70 Stücke aus anderen Gräbern der Blick auf jene aufregende Epoche zwischen 1550 und 1330 vor Christus gelenkt, jene Zeit, in der Ägypten seinen Zenith erreichte, sowohl machtpolitisch als auch kulturell: Aus jenen Jahren stammen die ersten medizinischen und mathematischen Handbücher, die Sonnenuhr wird erfunden, das Militär durch die Einführung des von Pferden gezogenen Heerwagens revolutioniert. Und Echnaton, der wilde Ketzerkönig, der wohl Tutanchamuns Großvater war, versucht, die Götterwelt umzustürzen, indem er Aton, die Sonne, als einzige Gottheit einführt.

Man kann in Basel im Vergleich der verschiedenen Grabausstattungen schön sehen, wie die Gegenstände in Tutanchamuns Grab die verschiedenen Jenseits- und Seelenvorstellungen seiner Zeit zusammenführen: Die Beigaben der früheren Könige sind oft aus dunkel bemaltem Holz oder schwarzem Granit. Schwarz steht im Alten Ägypten für das Leben und die Regeneration im Jenseits. Ein Panther, in seinen charakteristischen Linien ähnlich verschlankt wie Giacomettis Katze - er sollte im Grab von Amenophis II. den König beschützen -, schleicht in elegantem Gang und schwarz wie die Nacht durch seinen Basler Glaskasten. Ihm gegenüber steht eine Grabstatue des Amenophis, ein hochgewachsener Leib, ebenfalls harzgeschwärzt, und lächelt in den Nebenraum, in dem es gülden strahlt.

Hier, im dritten Raum, beginnen die goldenen Schätze des Tut: Das Gold symbolisiert die Sonne, die mit ihrer Wärme und ihren Strahlen die Toten im Jenseits zu neuem Leben erweckt. Tutanchamun hat den Sonnenkult des Echnaton einerseits zurückgedrängt und den Gott Amun wieder in seine Recht gesetzt. Mit dem Material des Goldes aber hat er Echnatons Gedankenwelt gewissermaßen in den alten Götterkosmos eingeschmolzen.

Einer der schönsten Gegenstände ist so ausgestellt, wie Carter ihn 1922 im Vorraum des Grabes fand; ein kleiner Statuenschrein, dessen Flügeltüren halb geöffnet, dessen Silberriegel beiseite geschoben waren. In den Boden des Schrankes sind zwei Fußabdrücke eingearbeitet: Eine Statue muss hier gestanden haben, die von Grabräubern geklaut wurde. Der Schrein mit seiner geheimnisvollen leeren Mitte, in die man sich eigene Bilder hineinphantasieren kann - auf ihn passt, was Walter Benjamin einmal über die ¸¸Kunst zu erzählen" schrieb: ¸¸Es ist nämlich schon die halbe Kunst, die Geschichten von Erklärungen freizuhalten. Nur so sind sie imstande, Staunen und Nachdenken zu erregen. Sie ähneln dann den Samenkörnern, die Jahrtausende lang luftdicht verschlossen in den Kammern der Pyramiden gelegen und ihre Keimkraft bis heute bewahrt haben."

Diese Keimkraft ist in vielen der ausgestellten kleinen Alltagsgegenstände viel stärker enthalten als in den großen Sarkophagen: Aus dem Grab des Maiherperi, zu Deutsch ¸¸Wedelträger zur Rechten des Königs", wird ein Hundehalsband gezeigt, ein wunderschönes Lederband mit eingravierten Pferdesilhouetten. Elegante Ritualgefäße aus blau schimmernder Fayence, mit Tüllen, so extravagant gebogen wie Flamingohälse, stehen neben einem Parfumfläschchen mit tropfenförmigem Körper, in dem noch Reste der einst duftenden Essenz enthalten sind.

Für die Exponate ist die Reise eine Art Wellnessurlaub: Die eleganten Schminktischchen und Brettspiele aus Elfenbein und Ebenholz, die harzgeschwärzten Königsstatuen - all das überstand in der Trockenheit der Wüstengräber 3300 Jahre unbeschadet. Dann kamen die gefräßige Neugier, die Archäologen und die Touristen, die Schätze wurden ins Ägyptische Nationalmuseum verschleppt, wo man ihnen seither inmitten der Ausdünstungen der Besucher und unter den grellen Sonnenstrahlen beim Verfall zusehen kann. Hier in Basel werden die Exponate wenigstens für ein paar Monate unter optimalen Temperatur- und Lichtbedingungen ausgestellt. Fünf Millionen Franken verdient der ägyptische Staat daran. Fünf Millionen, die in den Bau eines neuen Museums fließen sollen. Das Museum wird freilich viele hundert Millionen kosten. Was wohl bedeutet, dass Tut und seine Verwandten eine lange Reise durch die Museen der Welt vor sich haben.

Bis zum 3. Oktober. Der außergewöhnlich gute Katalog kostet 58 Franken.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: