Türkei:Gezi-Symbol wird abgerissen

Im Namen des Vaters, des Sohnes und Erdoğans: Das Atatürk-Kulturzentrum in Istanbul soll durch ein Opernhaus ersetzt werden. Wer dagegen ist, wird als "Terror-Sympathisant" bezeichnet.

Von Gerhard Matzig

In Istanbul soll das symbolhaft mit den Gezi-Protesten vom Sommer 2013 verbundene Atatürk-Kulturzentrum schon bald abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan stellte die Pläne für den neuen Gebäudekomplex, der unter anderem eine Oper "von Weltklasseniveau" beinhalten und schon im Frühjahr 2019 vollendet sein soll, Anfang der Woche vor. An diesem Freitag soll der Architekt des Umbaus, Murat Tabanlıoğlu, seine Pläne für das umstrittene Projekt am prominent gelegenen Taksim-Platz auch auf einer Veranstaltung in München präsentieren.

Murat Tabanlıoğlu ist der Sohn jenes 1994 verstorbenen Hayati Tabanlıoğlu, der das als AKM (Atatürk Kültür Merkezi) bekannte und 1969 eröffnete Gebäude einst entworfen hatte - als eine Art Kulturpalast der Republik. Die Vater-Sohn-Beziehung der Architekten dürfte den Um- und Neubau aber auch nicht weniger brisant erscheinen lassen. Ob Erdoğan überhaupt ein echtes Interesse an einer Entschärfung des Konflikts rund um das seit langer Zeit marode vor sich hin dämmernde Gebäude hat, ist einigermaßen rätselhaft.

Bei der Vorstellung der Umbaupläne kritisierte er den Widerstand gegen Abriss und Wiederaufbau jedenfalls als "ideologische Besessenheit". Die Abrissgegner rückte er erneut in die Nähe von "Terror"-Sympathisanten. Als die Abrisspläne im Sommer 2013 bekannt wurden, besetzten Demonstranten das Gebäude, das wie kaum ein anderer Bau für die einstige Hinwendung der Türkei zur westlich geprägten Moderne steht.

Andererseits wirkt die Verpflichtung des Architekten Murat Tabanlıoğlu auch versöhnlich. Der hatte sich schon vor Jahren mit einem Neubau im Sinne des väterlichen Bau-Erbes befasst, doch wurde ihm der Auftrag von Erdoğan wieder entzogen, da er als Sympathisant der Demonstranten und der Gezi-Bewegung gilt. Doch vor einigen Wochen bat Erdoğan völlig überraschend den Architekten in einem langen persönlichen Gespräch erneut um einen Entwurf. Der soll nun auch realisiert werden. Zu sehen ist auf den Visualisierungen des Architekturbüros, dass der Neubau die zeichenhaft nachkriegsmoderne und plastisch formulierte Fassade des AKM zitiert; im Inneren aber sollen ein ganz gegenwärtig wirkender Opernsaal mit 2500 Plätzen sowie eine Bibliothek, Ausstellungsräume und andere kulturelle Einrichtungen entstehen.

Die Architekturgalerie München lädt am Freitag ab 17 Uhr zur Diskussion mit Murat Tabanlıoğlu ein. www.architekturgalerie-muenchen.de.

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