Triennale:Schiffbruch im Phoenix-See

Triennale: Der "Shit Fountain" der Gruppe Superflex verwandelt die Kloake der Emscher zu Wasserspielen. Nicht im Bild: Die "Analyse"-Station, die die Namen der giftigsten Substanzen über Lautsprecher ausruft.

Der "Shit Fountain" der Gruppe Superflex verwandelt die Kloake der Emscher zu Wasserspielen. Nicht im Bild: Die "Analyse"-Station, die die Namen der giftigsten Substanzen über Lautsprecher ausruft.

(Foto: Roman Mensing/VG Bildkunst, Bonn 2016)

Bei der "Emscher Kunst" wird die zerrissene Ruhrgebietslandschaft mit Installationen und Skulpturen bestückt. Der Pott kann das ab.

Von Till Briegleb

Vier Monate lang ruderte Erik van Lieshout jeden Morgen auf die Phoenix-Insel und verbrachte dort den Tag mit hohem Quatsch. Ursprünglich wollte der skurrile Videokünstler im Rahmen des großen Festivals für Kunst im öffentlichen Raum, "Emscher Kunst", das jetzt in Dortmund eröffnet wurde, auf der kleinen Erdaufschüttung in dem künstlichen See auch wohnen - obwohl das mit Unkraut und Entenkot bedeckte Erdstück für eine echte Robinsonade soviel Voraussetzungen mitbringt wie eine Kiesgrube. Aber das wurde dem holländischen Künstler genauso verboten wie Schwimmen im See und Feuer machen.

Denn im deutschen Verwaltungsstaat gibt es keine Inseln der Anarchie. Und direkt vor dem neuen Villenhang mit Seeblick in Dortmunds Vorzeigeviertel Phoenix-Ost, das seit 2010 auf dem Gelände des einstigen Stahlwerks Hermannshütte entsteht, ist die Behördensensibilität vielleicht besonders hoch. Die Sehnsucht nach Rundumerneuerung im Revier, mit der der seit Jahrzehnten beschworene "Strukturwandel" endlich Wirklichkeit werden soll, will unbedingt Optimistisches - und keinen bösen Spott wie einen "Schiffbrüchigen" im Zentrum jenes Quartiers, das die wichtigste bauliche Werbung für Dortmunds Anschluss an die Moderne ist.

In diesem Spannungsverhältnis entwickelt sich die "Emscher Kunst"-Triennale seit 2010 jetzt mit ihrer dritten Ausgabe: die Auftragsarbeiten, die parallel zur Renaturierung der Emscher, des offenliegenden Abwasser-Kanals quer durch den Pott, geschaffen werden, müssen einen Spagat zwischen Distanz und Repräsentanz bewältigen. Einerseits sind die vielen aufwendigen Installationen längs der 80 Kilometer langen Fäkalien-Autobahn von Dortmund bis Dinslaken Werbung für die Modernisierung der sterbenden Industrieregion. Andererseits zählen die eingeladenen Künstler von Ai Weiwei bis zu Tobias Zielonynicht zur Kategorie ästhetischer Dienstleister, die Bürgermeistern mal "was Schönes" ins Grün stellen.

Am Ufer steht jetzt ein venezianischer Souvenirkiosk mit Pinocchios "Made in China"

Der Münchner Kunstgeschichtsprofessor Florian Matzner, der die bisherigen drei Ausgaben der "Emscher Kunst" kuratiert hat, muss aber nicht nur zwischen kommunalem Marketing und künstlerischem Eigensinn vermitteln, sondern auch an den Breitensport denken. Für Radtouren längs der Lurke - die erst zu einem Drittel durch Kanalisation ersetzt und in einen sauberen Bach verwandelt wurde - soll die Kunst Anreiz bieten. Und muss deshalb verständlich sein auch für jeden Rentner mit Fahrradhelm, der im Hauptberuf Passanten vom Radweg klingelt.

Von den 17 neuen Kunstwerken, die nun für mindestens 100 Tage im Landschaftswechsel von Arbeitersiedlungen, Böschungen und Wäldchen, von stillgelegten Zechen, Kraftwerken und Kokereien gefunden werden müssen, erfüllen sicherlich nicht alle diese Anforderung der Volksgängigkeit. 60 sechs Tonnen schwere Beton-Tetrapoden an einem Hochwasserrückhaltebecken sind für jeden gemeinen Radler mit Stranderfahrung zwar leicht als Wellenbrecher zu identifizieren. Aber dass diese weißen Vierender der Künstlerin Nevin Aladag die Arche Noah nachbilden sollen und damit eine subtile Metapher für den Klimawandel an dieser Überflutungsstelle liefern, das muss erklärt werden. Genau das tun die studentischen Kunstvermittlern vor Ort allerdings auch.

Der "Shit Fountain" der dänischen Künstlergruppe "Superflex", der mitten im "schwatten Köttelbecken" bei Herne die giftige Flüssigkeit in einen dreischaligen Brunnen spritzt, und die benachbarte "Analyse"-Station von Roman Signer, die die Namen der 40 wichtigsten Chemikalien der Emscher, die in kein Trinkwasser gehören, über einen Lautsprecher ins schnurgerade Kanaltal schallen lässt, sind dagegen dem Ruhrpott-Humor direkt zugänglich.

Mit dem Gefühl der Fremdheit, das durch die Verwandlung des Potts entstehen mag, spielen zwei andere humorvolle Projekte. Zum einen der original venezianische Kiosk, den Benjamin Bergmann vom Markusplatz an den Phoenix-See transportieren ließ. Dessen Souvenirauswahl aus Gondeln, Pinocchio-Marionetten und bunten Fächern "Made in China" (die nach kürzester Zeit ausverkauft war), unterstreicht ironisch die Künstlichkeit des Ortes, der erst durch den Verkauf des Stahlwerks an dieser Stelle nach China entstanden ist.

Und das Riesenkohlestück von Raumlabor mit dem Titel "Zur kleinen Weile" ruft das schwarze Gold wach, das man hier einst aus dem Boden geholt hat. Im Inneren des großen Brockens befindet sich ein begehbarer goldener Hohlraum, der durch seine extreme akustische Verstärkung Besucher zum Singen, Schreien oder "OM"-Brummen einlädt.

Einen noch imposanteren Sound-Dom hat das Künstlerpaar Janet Cardiff und George Bures Miller in einem lauschigen Laubwald neben der Emscher installiert. Es ist ihre documenta-Arbeit "Forest (for a thousand years)", die bei Castrop-Rauxel zwischen Stinkmorcheln und Farnen an einem Reitpfad in der Natur versteckt ist. Mit ultrapräsenten Geräuschen wie Atmen, Krieg- und Maschinenlärm, Gewitterdonner, Rascheln oder dem Gehämmer von Spechten sowie einem Vokalstück von Arvo Pärt verwandelt diese Audiokomposition den Wald in ein Pandämonium der unsichtbaren Ansprache.

Schließlich finden sich auch im urbanen Kontext Beiträge zur "Emscher Kunst", etwa im Union-Viertel von Dortmund, wo Tobias Zielony seinen Film über die "Tamil Stars" zeigt, einen Fußballverein von Kindern ehemaliger Bürgerkriegsflüchtlinge aus Sri Lanka. Mit Geistwesen und Glückszauber verwebt Zielony die schwarzgelbe Religion der Stadt zu einem zuckenden Film, der in einem leeren Ladenlokal beim provisorischen Vereinsheim der "Tamil Stars" gezeigt wird.

Und Erik van Lieshouts Insel-Isolation mit nächtlichem Freigang? In einem bitterbösen Film mit viel Gebastel, Puppenspiel, gemeinen Kommentaren und Zerstörung einer Parkbank inszeniert van Lieshout auf seiner "Toteninsel" einen Abgesang auf die neue Spießigkeit, die sich in Projekten wie der Phoenixstadt und dem sie begleitenden Kontrollwahn zeigt.

In einem provisorischen Kino mitten in dem Neubaugebiet zeigt diese Arbeit vielleicht am schärfsten, wie sich die widersprüchliche Konstruktion der "Emscher Kunst", Marketing, Kritik und Allgemeinverständlichkeit in die Form eines spannenden Kunst-Trimm-Dich-Pfads zu bringen, in die eierlegende Wollmilchsau verwandeln lässt: Gestandene Ruhrpottler wie zugereiste Kunstgäste sind gleichermaßen begeistert von dem bösen Spott über das neue Städtebauglanzstück.

Der sympathische Pott kann das alles ab. Diese zerrissene Landschaft aus Industrieruinen, hässlichen Wohnsiedlungen und einer Natur, die sich die Bergbauwunden zurückerobert, ist strapazierfähig genug, um ihren rauen Charme mit ein paar rätselhaften Inseln der Anarchie zu ergänzen. Als Gegensatz zu all den Diskurskunstfesten in anderen Städten ist diese Kunsterholungsreise neben einem Abwasserkanal ein echter Revierschlager. Soviel Werbung muss mal sein.

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