Trend:Neue deutsche perfekte Welle

Das Geschäft mit Popsongs aus heimischen Studios boomt so stark wie zuletzt mit der Spaßmusik der achtziger Jahre.

Von Oliver Fuchs

Die Diskussion über eine Radioquote für deutsche Popmusik ist alt - und ein bisschen absurd. Vor wenigen Tagen erst befasste sich der Deutsche Bundestag mit der Frage, wie der Anteil deutschsprachiger Lieder im deutschen Radio erhöht werden könnte - und beriet voller Vertrauen in den Gott der Musik über den Antrag der rot-grünen Regierung.

Diese will öffentliche wie private Radiosender zu einer freiwilligen Selbstverpflichtung anhalten: einen Anteil von 35 Prozent am Programm soll deutschsprachige beziehungsweise in Deutschland produzierte Musik in Zukunft einnehmen.

Aber während sich der Bundestag mit Maßnahmen zum Schutz einheimischer Musik befasst, floriert das Geschäft mit Deutschpop. Es gibt geradezu einen Boom, wie es seit dem Ende der Neuen Deutschen Welle Mitte der achtziger Jahre keinen mehr gegeben hat: Im Herbst 2004 stammten in manchen Wochen rekordverdächtige acht von zehn Top-Ten-Alben aus heimischer Produktion.

Zwillingspaar "Juli" und "Silbermond"

Eben hat die Firma Universal stolz verkündet, dass sich das Debütalbum der Gruppe "Juli" aus Gießen 300.000 mal verkaufte - von solchen Dimensionen konnten deutsche Newcomer-Bands lange Zeit nur träumen. "Juli" rangieren im Moment auf Platz 3 der Album-Charts und sind mit ihrer Single "Perfekte Welle" seit 14 Wochen in den Top Ten.

Auf derselben Erfolgswelle surfen die stilistisch eng verwandten Berliner Debütanten von "Silbermond". "Juli" und "Silbermond" sind wie Zwillinge: diskret sozialkritische, dabei maximal eingängige Rockbands. Beide wirken frisch und dabei seltsam routiniert. Und beide orientieren sich, was deutlich zu hören ist, an "Wir sind Helden". Die machten vor zwei Jahren mit ihrer Single "Die Reklamation" smarten Mainstream-Pop mit deutschen Texten chartfähig.

Seitdem müssen sich hitparadenhungrige Nachwuchsbands offenbar in etwa so anhören wie "Wir sind Helden": intelligent, aber nicht zu intellektuell; emotional, aber nicht zu leidenschaftlich; cool, aber auch irgendwie nett. Es ist ein Pop-Modell des gesunden Mittelweges.

Gefördert durch Harald Schmidt

Auf "Wir sind Helden" wurde Harald Schmidt aufmerksam, nachdem die "Reklamations"-Single ständig in einem Berliner Radio lief. Und weil ihm das Lied so gut gefiel, lud er die Band in seine Show ein - im Grunde also eine Radio-Erfolgsgeschichte, wie es sie kaum noch gibt. Die Karrieren der meisten deutschen Künstler, die in diesem Boom-Herbst gute Geschäfte machten, verlaufen unabhängig vom Programm der Sender.

"Rosenstolz" und "Rammstein", die "Fantastischen Vier" und die "Toten Hosen" - all diese Bands sind längst etabliert und verfügen über große Fan-Gemeinden; sie sind nicht auf das Radio angewiesen. Manches wurde erörtert und problematisiert bei der Quoten-Debatte, nur eine Frage nicht: Was ist das eigentlich - deutsche Popmusik? Selbst beim Blick auf die in den Charts vertretenen Künstler fallen kaum Gemeinsamkeiten auf.

Xavier Naidoo hat nichts gemein mit den "Sportfreunden Stiller", bei Yvonne Catterfeld, Sarah Connor und Jeanette Biedermann stimmt höchstens die Haarfarbe überein, und die "Söhne Mannheims" operieren Lichtjahre entfernt von den "Ärzten". Abgesehen von der Trias "Juli", "Silbermond" und "Wir sind Helden" gibt es kaum verbindende Ideen oder einen gemeinsamen ästhetischen Nenner - insofern unterscheidet sich die Situation wesentlich von den Zeiten der Neuen Deutschen Welle.

Damals wurde eine subkulturelle Strömung von den Plattenfirmen und den Radiosendern entdeckt, ausgebeutet, umgedeutet und mit PR-Macht in die Hitparaden gehievt. Etwas Ähnliches könnte im kleineren Maßstab auch jetzt gelingen - wenn sich das Radio als Musikmedium nicht selbst abgeschafft hätte.

Dass aber junge, innovative Künstler jetzt von der freiwilligen Selbstverpflichtung profitieren könnten, ist nicht anzunehmen. Dazu ist ihre Musik oft zu intelligent, zu anspruchsvoll, kurz: zu gut fürs Radio. Wer aber gefällig genug ist, dass er sowieso schon im Radio mitdudelt, der braucht auch in Zukunft keine Quote.

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