Trend Infografik im Buch "Deutschland verstehen":Wunderkind mit Tücken

Digitalisierung und Netz sei Dank: Die Infografik hat sich zum hippen Wunderkind der Informationsvermittlung gewandelt. So präsentiert auch das Buch "Deutschland verstehen" Daten in buntem Gewand - zum Land, seinen Bewohnern und deren Eigenheiten.

Laura Weißmüller

Der Titel "Deutschland verstehen" klingt ein wenig, als wäre es eine Fortsetzung der pädagogischen Sachbuchreihe "Was ist was" für Kinder. Aber der gerade erschienene Bildband richtet sich dezidiert an die Älteren unter uns - als "Wimmelbuch für Erwachsene". Dementsprechend gewichtig ist seine Aufgabe. Ganz Deutschland soll darin vorgestellt werden, samt seinen Bewohnern, ihren Ängsten, ihren Gewohnheiten und ihren Wünschen. Und das alles anhand von bunten Infografiken. Geht das?

Tatsächlich geht das und das hat viel mit der Entwicklung zu tun, die die Infografik seit gut einem Jahrzehnt genommen hat. Denn was früher schlagartig Ermüdungserscheinungen hervorgerufen hat - ellenlange Tabellen, staubtrockene Diagramme -, entpuppt sich heute als hippes Wunderkind der Informationsvermittlung.

Das hat vor allem einen Grund. Die Digitalisierung hat die Daten aus ihren Tabellen befreit. Jeder PC-Besitzer kann heute eigene Infografiken erstellen. Die Daten dazu liefert das Netz. Denn immer mehr statistische Erhebungen sind dort abrufbar. Dass es noch mehr werden, dafür sorgt nicht zuletzt der öffentliche Wunsch nach Transparenz. Initiativen wie "Free our Data" fordern die Veröffentlichung von Daten, die mit Steuergeldern erhoben werden. Eine Bewegung wie "Open Data" tritt gleich dafür ein, sämtliche Datenbestände öffentlich nutzbar zu machen.

Kaum etwas dürfte diese Verfügbarkeit von Daten im Netz so verändert haben wie den Journalismus. Die Wikileaks-Enthüllungen oder die Causa Guttenberg sind nur zwei Beispiele dafür, wie die öffentliche Berichterstattung heute von der Aufbereitung großer Datenmengen geprägt wird. Der Guardian besitzt mit dem Guardian Data Store gleich ein eigenes Ressort, das sich nur mit Datenjournalismus beschäftigt.

Doch das allein erklärt noch nicht den Siegeszug der Infografik. Der hat tatsächlich sehr viel mit der Vorstellung zu tun, dass Information auch gut aussehen darf. Die Berliner Kunsthistorikerin Sandra Rendgen hat das im Frühjahr in ihrem Bildband "Information Graphics" seitenweise vor Augen geführt. David McCandless liefert mit "Information is Beautiful" die stilprägende Website dazu. Büros wie itoworld oder Stamen Design setzen es um.

Auch Hans Rosling macht es mit seinem Projekt "Gapminder" vor: Datenvermittlung kann mehr sein als Landkarten mit Tortendiagrammen in Nationalfarben und computergestaltete Schaubilder. Und zwar: ästhetisch anspruchsvoll, kreativ, lustig, aber auch nachhaltig in der Wirkung. Denn wenn die Form den Inhalt klug reflektiert, prägt sich der besser ein. Künstlern wie Aaron Koblin gelingt es dabei regelmäßig, so etwas wie Poesie in die Datenvisualisierung zu packen.

Die meisten Infografiken, die der Wirtschaftsjournalist und Publizist Ralf Grauel zusammen mit Jan Schwochow, ehemaliger Ressortleiter beim Stern und Gründer eines internationalen Büros für Infografik, für "Deutschland verstehen" aus deutschen Printmedien zusammengetragen haben, sind dagegen vor allem eins: erzieherisch informativ. Da gibt es den Reichstag wie die Allianz-Arena im computergestalteten Querschnitt und immer wieder Deutschlandkarten, geschmückt mit unterschiedlichsten Torten- und Balkendiagrammen.

Punkte und bunte Bauklötzchen

Lehrreich und unterhaltsam sind die Versuche, der DNA unseres Landes auf die Spur zu kommen, natürlich schon. Wer würde schon von sich behaupten können, genau zu wissen wie der Palast der Republik, der RAF-Trakt im Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim oder die Gorch Fock aufgebaut waren und sind? Die Schaubilder im Band zeigen es.

Interessant sind auch die Grafiken zu den Fragen, die zwar viele beschäftigen, aber vermutlich aber noch nie so bildhaft aufgeschlüsselt wurden. Etwa, wie viel Arbeitstage man für welchen Urlaub investieren muss (ziemlich viele) oder was eigentlich ein Tor in der Fußballbundesliga kostet (sehr viel: im Schnitt 703.460 Euro).

Nur: Richtig schön sind die deutschen Infografiken dabei leider eher selten. Die Grafik "Wir (mit Bayern) - und der Rest der Erde" des Illustrators Frank Höhne ist insofern eher die Ausnahme. Genauso wie die Grafik von Barbara Hahn und Christine Zimmermann, die anhand von Punkten und bunten Bauklötzchen lustig, aber auch anschaulich das Dilemma der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen sichtbar macht. Oder auch die Weltkarte von Golden Section Graphics, die aufschlüsselt, wohin deutsche Worte so ausgewandert sind.

Insgesamt stellt sich nach dem Studieren des Bildbandes die Frage, ob man in Deutschland einfach noch nicht so weit ist - oder, ob jedes Land die Grafiken hat, die es verdient.

Ralf Grauel und Jan Schwochow: Deutschland verstehen. Ein Lese-, Lern- und Anschaubuch, gestalten Verlag, Berlin 2012, 240 Seiten, 29,90 Euro.

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