Tourneestart: Roger Waters:Hey du

Wirst du einsam? Wirst du alt? Bist du noch da? Roger Waters Jubiläumstour "The Wall" weckt Erinnerungen an die Hochzeit von Pink Floyd. Über das ehrgeizige Projekt, alleine in die eigenen Fußstapfen treten zu wollen.

Alexander Gorkow

Es dauert auch jetzt, wie vor dreißig Jahren, neunzig Minuten, dann ist die Mauer fertig. Sie ist schön und hoch und weiß, sie verläuft bis in die Sitzreihen an den Rängen quer durch die Halle, sie trennt die Menschen im Air Canada Center von Roger Waters und seiner Band. Das Lied "Hey You", das die unsichtbaren Musiker hinter dieser Mauer nach einer circensischen, gleichsam hammerartig ambitionierten ersten Premierenhälfte in Toronto spielen, ist eine lila schimmernde Ballade mit Worten von wahrhaftiger, niederschmetternder Traurigkeit: "Hey you, out there in the cold, getting lonely, getting old, can you hear me?" Sogleich die Marter der Erinnerung: Frauen hat man als Pubertist mit so was natürlich nicht gekriegt, aber immerhin doch eine erste, solide verarbeitete Vorstadtparanoia.

Roger Waters

Roger Waters führt sein Publikum beim Tourneeauftakt in Toronto durch die Straßen der Erinnerung. Vor allem seine traurigen Balladen sorgen für Gänsehautmomente.

(Foto: AP)

Das bewegende Lied "Hey You" ist der erste Höhepunkt eines sonderbaren Abends, und der zweite folgt sogleich, als nämlich Waters zum leise herumzickenden Stakkato von Snowy Whites Les Paul-Gitarre immer wieder, über viele Minuten lang fragt: "Is there anybody out there?" Ja doch, da draußen sind 14000 Menschen außer Rand und Band, und dieses immer wiederkehrende "Yeah" hebt den Betrachter sozusagen in eine Art Bollerwagen, dann geht es wie beim Seifenkistenrennen abschüssig runter, so rast man dann bis zum Einsturz dieser Mauer am Konzertende durch die Straße der Erinnerung.

An jenem Abend im Februar 1981...

An diesem Abend im Februar 1981 hat es geregnet in Dortmund. In den Scheinwerfern, die draußen aus der Westfalenhalle einen bösen, alten Dom machten, nagelte dieser Regen auf die Leute, die in den Haupteingang eilten wie zur Massenabsolution. Ridley Scotts "Blade Runner" kam erst ein Jahr später in die Kinos, aber der Februar 1981 sah schon so aus. Pink Floyds Isolationsoper "The Wall" war ja ganz unabsichtlich auch noch eine letzte und pompöse Warnung vor dem, was kommen sollte: die sinnlose, endlose, stillose, todlangweilige und nur im Drogenmissbrauch aushaltbare Zeit der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts.

Politik als Trennungsgrund

Das freudianische Doppelalbum des Pink-Floyd-Anführers Roger Waters markierte aber nicht nur das Ende einer idealistischen Epoche, sondern auch das Ende einer Rockgruppe in ihrer rentabelsten Besetzung. Die mysteriöse Eleganz des Psychomeisterwerks "Dark Side Of The Moon" von 1972 war längst dramatischer, auch politischer Verzweiflung gewichen, die vor allem den steinreichen und seine Umwelt terrorisierenden Sozialisten Waters umtrieb. Der Rest dieser Rockgruppe, allen voran der in vielerlei Hinsicht lässigere Gitarrist David Gilmour, hatte, wie es mal einer aus der sehr humorbegabten Pink-Floyd-Crew ausdrückte, "keine Lust mehr, gemeinsam mit Josef Stalin auf Tour zu gehen".

Vieles an diesem Abend im Februar 1981 war bis zur Unglaublichkeit groß und finster und rätselhaft. Pink Floyd führten das Multimedia-Spektakel "The Wall" in Originalbesetzung nur rund 30 Mal auf, in Los Angeles, New York, London - und eben eine Woche lang in Dortmund. Das sind lächerlich wenige Termine für eine Show, die sich überhaupt erst rentieren kann, wenn sie möglichst hundert Mal den Aufwand einspielt, den ihre grundsätzliche Zubereitung gekostet hat. Es gab aber nur sehr wenige Hallen auf der Welt, die einer Produktion standhielten, in der ein Kampfjet wie auch sehr große Marionetten an Seilen über die Köpfe der Zuschauer rauschen, und in der gigantische Filmprojektoren die pulsierenden Erotik-, Faschismus- und Erlösungs-Phantasien des brillanten Times-Karikaturisten Gerald Scarfe auf eine 70 Meter breite und elf Meter hohe Mauer werfen.

Im Grunde war wirklich alles an diesem Abend nur als Ganzes zu sehen, die Show mit ihren Licht-, Film- und Klangeffekten, die erstmals eskalierenden Ticketpreise, der Regen, die Menschen aus ganz Europa, die teils tagelang (im Februar!) vor der Halle campiert hatten, zusätzlich die vielen Bibel-Irren, die die bitteren Texte des Atheisten Roger Waters analysiert hatten und nun jenen, die zum Eingang strebten, eine faustdicke Broschüre in die Hand drückten, auf der zu lesen stand: "Gott liebt dich!" Man war schon damals weit davon entfernt, das zu glauben. Die Erlösung besorgt bei Waters bis heute der Entertainmentbetrieb.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, in welchen Momenten einem die Show in die Knochen fährt.

Roger Waters. Nicht Pink Floyd.

Stil kann man nicht kaufen, über guten Geschmack lässt sich nicht streiten - und bevor der inzwischen 66-jährige Roger Waters am Mittwochabend in Toronto mit dem ganzen Wahnsinn wieder von vorne begann, flirrte eine hoch aufgekratzte Stimmung durch die riesige Halle: Würde der Symbolismus (Mauer, Trennung, Isolation), der vor dreißig Jahren noch zum Nachdenken anregte, peinlich wirken?

Gilmours unerreichtes, weltraumwärts gedrehtes Gitarrenspiel

Können sündteure Mietmusiker den inzwischen toten, einst vom Jazz herübergewehten, wunderbaren Keyboarder Richard Wright ersetzen? Können sie, vor allem, den begnadeten David Gilmour ersetzen, dessen machtvoll warmen, etwas bekifften Bariton und dessen weltraumwärts gedrehtes Gitarrenspiel? War denn nicht als Kontrast zum nervösen Groß-Psycho Waters gerade bei "The Wall" diese achselzuckende britishness Gilmours absolut ausschlaggebend?

Auf der Premiere zur Welttournee wird sofort der Ehrgeiz sichtbar, den Waters in diese vermutlich letzte Großanstrengung seiner Karriere gesteckt hat. Die Band spielt lupenrein, und wie eh und je hübsch verstörend ist der einst von Pink Floyd patentierte Quadrosound, der nicht sichtbare Hubschrauber und Kinderstimmen durchs Hallenrund schickt. Lupenrein ist allerdings auch Waters' Gewissen, und der große, schlanke Mann mit den grauen Locken stellt es auf dem goldenen Tablett aus: Vor allem in der ersten Konzerthälfte rasen die Schuldigen wie die Opfer der Kriege aus den letzten dreißig Jahren in sich türmenden, dann kollabierenden Bildkaskaden über die Mauer, deren Pappsteine von Bühnenarbeitern nach und nach aufeinander und schließlich zu einem tatsächlich atemberaubend lakonischen Meisterwerk geschichtet werden.

Überdeutliche Botschaften

Hier liegt womöglich das Problem des Abends: Dass Waters nicht allein der Kraft der Kunst vertraut, die schon Botschaft genug ist. Nicht nur sind auf "The Wall" brillante Rocksongs und herrlich durchgedrehte Orchestereskapaden enthalten, auch hat die Abteilung Artwork schon vor dreißig Jahren hervorragende Arbeit geleistet. Die marschierenden Hämmer, die wie in Zeitlupe durch die Hallen irrenden Marionetten, nicht zuletzt die über die ganze Mauer projizierte Animation zweier fickender Blumen des phantastischen Karikaturisten Scarfe, das alles schmeckt lecker nach Vaudeville, immer wieder auch nach Bob Wilson oder Peter Brook. Umso leitartikelhafter erscheint dann, dass Waters auf die Mauer auch noch das Logo von Mercedes werfen lässt, das von Shell, die Bombardierung von Kundus oder Kinder, die ihren aus dem Irak heimkehrenden Vätern um den Hals fallen. Hier will einer ersichtlich mehr, als den Leuten eine große Show bieten. Das nervt mitunter, es lässt eben noch bewegenden Bildern regelrecht die Luft raus.

...in diesen Momenten ist die Show sagenhaft gut.

Übrig bleibt trotzdem eine Show, die auch heute noch Maßstäbe setzt. Die 114 Auftritte bis Sommer 2011 sind fast alle ausverkauft. Für die deutschen Konzerte 2011 gibt es nur für die zwei Zusatztermine (11.6. Hamburg, 16.6. Berlin) noch Karten, sowie für die Großarena in Düsseldorf am 18.6. Man bekommt, darauf muss man gefasst sein, was auf dem Ticket steht: Roger Waters. Nicht Pink Floyd. Man bekommt eine Botschaft und dafür deutlich weniger Erhabenheit. Das ist schon okay. Man muss allerdings endlich und immer noch schockierenderweise damit leben, dass bei der schönsten Elegie, die die Geschichte der Rockmusik zu bieten hat - David Gilmours "Comfortably Numb" - eben nicht dieser Gilmour oben auf der Mauer steht. Sondern ein technisch versierter Sänger namens Robbie Wyckoff, und daneben ein technisch versierter Gitarrist namens Dave Kilminster. Gilmours Live-Interpretation des Liedes ist ein regelrechtes Opiat. An diesem Abend wird Gilmours Spiel zwangsläufig nur, wenn auch gut, faksimiliert.

Es gibt aber immer noch genug Momente, die einem nicht völlig abgestumpften Menschen so in die Knochen fahren, dass man sie sozusagen mit nach Hause nimmt - immer noch die leisen, bedrohlichen, traurig flirrenden Momente. Da geht es nicht um Politik, sondern um Einsamkeit. Um leere Zimmer, um das verrückt werdende Kind, das von seinen Spielsachen angegrinst wird, es geht um Telefone, an die keiner rangeht, Fotofetzen aus dem Familienalbum, die über diese große wunderschöne Mauer blinken wie Bilder aus einem endlosen Traum. Nur ein Stein in der Mitte der Mauer ist dann frei, Waters schaut durch und singt: "Good bye, cruel world, I am leaving you today". Genau jetzt, noch lange vor der Erlösung, ist diese Show sagenhaft gut. Und genau jetzt ist sie, was sie immer schon war: der Rolls-Royce unter den Nervenzusammenbrüchen.

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