Tourauftakt von Haftbefehl in München:Schön, dass ihr da seid, ihr Hurensöhne

Haftbefehl - Russisch Roulette

Sieht nicht aus wie Helene Fischer, ist aber ein vergleichbar großer deutscher Musikstar - und sehr viel interessanter: Rapper Haftbefehl.

(Foto: Universal Music)

Großes Deutschrap-Spektakel mit kleinen Mitteln: Der Offenbacher Rapper Haftbefehl zeigt München, wer der Babo ist. Gefährlich ist der nicht. Aber bööös!

Von Jens-Christian Rabe

Neben der Schlager- und Popsängerin Helene Fischer ist der 29-jährige Offenbacher Gangster-Rapper Aykut Anhan alias Haftbefehl der andere große deutsche Popstar dieser Tage. Und der interessantere der beiden.

Wobei sein Genre, der Rap, hierzulande auch nach 25 Jahren keine Höhenflüge erlebt. Eigentlich. Zu einfallslos werden die amerikanischen Beats kopiert und zu ungelenk wird gerappt. Das Problem ist allerdings nicht, wie viele glauben, dass das Leben in deutschen Ghettos einfach nicht hart genug ist, um daraus wirklich guten Rap abzuschöpfen.

Das Problem ist, dass es einfach irrsinnig schwer ist, die vergleichsweise unrunde deutsche Sprache ins Rollen zu bringen. Und dass deutsche Rapper bislang viel zu früh mit sich zufrieden waren. Meist schon, wenn nur irgendein Beat lief, der irgendwie nach Hip-Hop klang, und sich ihr Text dazu gelegentlich ein bisschen reimte.

Haftbefehl dagegen, Jahrgang 1985, aufgewachsen als Sohn kurdischer Eltern aus der Osttürkei im hessischen Offenbach, später Dealer und Wettbüro-Betreiber, schließlich Rapper und Labelgründer, gelingt es in seinen besten Momenten, den deutschen Rap wirklich ins Rollen zu bringen. Und zwar mit einer sehr eigenen Art, Worte über den Beat zu biegen - und mit einer ganz neuen Rap-Sprache, einer irren Mischung aus Deutsch, Englisch, Französisch, Kurdisch, Türkisch, Arabisch, Hessisch und sonstigem Straßenslang.

Zum Beispiel in seinem 2013 erschienen ersten großen Haftbefehl-Geniestreich "Chabos wissen, wer der Babo ist":

Tokat, Kopf ab, Mortal Kombat / Vollkontakt à la Ong-Bak / Komm ran / Opfer, Du bist Honda, ich Sagat / nicht link von hinten, ich hau Dich frontal, sakat / (...) / Pussy , muck bloß nicht uff hier, Rudi / Nix mit Hollywood - Frankfurt, Brudi / Du kannst Wing Chun und Kung Fu wie Bruce Lee / Kampfstil Tunceli, altmış iki kurdî

Abgesehen davon stammt von ihm natürlich auch einer der schönsten jüngeren Kommentare zur Integrationsdebatte. Auf die Frage, ob er sich in Deutschland denn integriert fühle, antwortete er der Musikzeitschrift Spex vor Kurzem: "Ich fühle mich nicht fremd in Deutschland. Wie sollte ich auch? Ich habe dieses Jahr 100 000 Euro Steuern gezahlt."

Nun also Haftbefehl in München, Tour-Auftakt im Backstage. Eine Konzertkritik in fünf Punkten.

Was wir schon dazu gesagt haben:

"Anders als viele denken, hat der deutsche Gangster-Rap ja eigentlich kein Image-, sondern erst mal ein Qualitätsproblem. Das vierte Album "Russisch Roulette" des gefeierten Haftbefehl sollte die Rettung sein, war dann leider nicht ganz so gut, wie es sich alle wünschten, aber doch ein gewaltiger Schritt nach vorn. Man höre nur die schön brachiale Single "Ich rolle mit meim Besten". Vielleicht ist der Tag, an dem man sich für deutschen Gangster-Rap nicht mehr schämen muss, doch nicht mehr so weit entfernt."

Süddeutsche Zeitung, 17. Dezember 2012

Was dann wirklich los war:

Ganz großes Deutschrap-Spektakel mit kleinen Mitteln. Für die Musik im sehr gut gefüllten, aber nicht ausverkauften Münchner Backstage sorgte vor allem ein DJ hinterm Laptop. Unterstützt wurde er von einem ziemlich handfest, letztlich aber eher folgenlos vorgehenden Zier-Drummer im rechten hinteren Bühneneck. Schön die großen Deko-Banner. Je ein Buchstabe - H, A, F, T - vor einem Fassadenfoto eines dieser deutschen Betonwohnbunker, wie sie der soziale Wohnungsbau dem Land in den Sechzigern schenkte. Nicht wirklich verwahrlost, aber doch maximal trist.

Davor dann wiederum zwei bis drei obligatorisch übermotivierte Hilfsrapper aus der Entourage und ein von einer Bühnenseite zur anderen tigernder, mindestens 2,40 Meter großer hypernervöser Bodyguard, der aussah wie ein beinharter weißrussischer Schwergewichtsboxer. Und mittendrin: Hafti himself. Aber völlig unprätentiös mit Jeans und einem etwas zu engen schwarzen Pullover über der kleinen Babo-Wohlstands-Wampe.

Um den Hals: ein Schlüsselbund. Gelegentlich: Hosenbund hinten mit beiden Händen packend und beherzt hochziehend, wenn die Plauze vorn das Beinkleid mal wieder ungnädig etwas nach unten bugsiert hatte. Typische Bewegung: linker Arm nach vorne ausgestreckt, linke Hand nach oben geklappt, dann locker drehend so tun, als würde man mit einem sehr schweren deutschen Luxusauto im Bahnhofsviertel ganz langsam rechts abbiegen, während man noch zwei, drei Kumpels draußen nickend grüßt: "Nix mit Hollywood, Frankfurt Brudi!" Ja, genau. Genau so.

Der erfolgreiche Oberchaot aus früheren Zeiten

Eindruck aus der Ferne: guter Typ, etwas tappsig-wankend, fast Balu-haft tänzelnd, trotzdem sehr lässig die Bühne dominierend. Wie der erwachsen gewordene liebenswürdig-großmäulige, lustig-bauernschlaue Oberchaot aus der Schule, der nur Unsinn im Kopf hatte, dem aber trotzdem niemand wirklich böse war. Inzwischen - zu Erfolg, Ansehen und Verantwortung gekommen - ist da vor allem ein freundlicher kundenorientierter Kleinunternehmerstolz: "Schön, dass ihr alle gekommen seid, Ihr Hurensöhne. Ich werd' alles geben, damit Ihr nicht enttäuscht seid."

Im Konzert ist dann zweifellos Zug. Auch wenn der Mikro-Sound recht lausig ist, weshalb ein bisschen zu viel unisono geschrien wird und die Raps kaum noch zu verstehen sind. Die Gretchenfrage also, ob Haftbefehl wirklich so gut ist wie auf dem Album, lässt sich deshalb nicht wirklich beantworten. Womöglich noch nicht ganz. Etwas weniger Raum für die Hilfsrapper, wäre kein Fehler gewesen. Sei's drum. Die Laune war fabelhaft. Und der beste Moment sollte ja noch kommen.

Der beste Moment des Abends

Als einem der DJs am Ende die unwiderstehliche knarzige-treibende Brachial-Bassline von "Ich rolle mit meim Besten" von unten durch den Bauch bis nach oben zwischen die Ohren jagte und Haftbefehl die ersten Zeilen ausspuckte:

Tatort, Frankfurt, Mainhattan / Artcore, Du kennst FFM / Chabos, jetzt gibt's Heckmeck / Bööös! Denn ich rolle mit meim Besten

Wobei ausspucken die Sache womöglich nicht ganz trifft, er rotzt einem diese Zeilen ja nicht einfach so flach entgegen. Sie werden vielmehr aus der etwas tieferen Kehle geholt und dann ganz souverän leicht feucht serviert: "Cash mit Packs / Geld mit Schnuff." Weil: Der Mann will nicht, dass wir unseren Blick von ihm abwenden, weil wir unsere Jacke putzen müssen. Er will, dass wir wissen, wer der Babo ist.

Mit anderen Worten: Wer sich gefragt hat, wann es endlich einen deutschen Rap-Song gibt, der wirklich auf allen Ebenen mit den besten amerikanischen Tracks mithalten kann - das ist er: "Geld mit Schnuff". Überhaupt: Schnuff! - das Rap-Wort des Jahres und das beste Kokain/Crack-Synonym aller Zeiten sowieso.

Das Konzert wäre nichts für Sie gewesen, wenn ...

... Sie der Ansicht sind, dass deutsche Gangster-Rapper alles wirklich exakt so meinen, wie sie es sagen; Ihnen die frappierende Verwandtschaft der Kürzel MG und AMG vollkommen gleichgültig ist; und Sie sich womöglich zwar in den Siebzigern von Bhagwan in dessen Ashram in Poona gerne hätten erklären lassen, auf welche 50 verschiedenen Arten man "fuck" sagen kann, sich aber heute eher schwer damit tun würden, dem Wort "Hurensohn", serviert vom Fachmann für Kenner, auch nur eine Sekunde hinterherzuhorchen.

Und weiß München jetzt, wer der Babo ist?

Allerdings. Richtig gefährlich muss man sich den jedoch nicht vorstellen. Aber bööös!

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