"Tote Hosen" spielen für Fans:Pogo im Wohnzimmer

Halbnackte Menschen tanzen und rempeln, Schweiß tropft von der Decke: Die "Toten Hosen" besuchen auf ihrer Tour Punks, Feuerwehrmänner, Urologen und Jens Jeremies. Zum Abschluss gastieren sie bei Ingo zu Hause in Düsseldorf.

Titus Arnu

James Brown begrüßt die Partygäste. "I feel good!", quäkt die 30 Zentimeter hohe batteriebetriebene Plastikfigur auf der Kommode im engen Flur. Im Wohnzimmer singen 50 Leute aus vollem Hals: "Olé, Olé, Olé, Fortuna, Olé!" Alle tragen die rot-weißen Trikots des Fußballvereins Fortuna Düsseldorf, alle schwenken Fanschals. Es ist sehr warm, sehr eng und sehr laut. Dabei hat das Fest noch nicht mal begonnen.

Neues Album der Toten Hosen

"Wir wollen nicht berühmt werden", sagt Campino. 15 Millionen verkaufte Alben später spielen die Toten Hosen auch zu Hause bei Fans.

(Foto: dpa)

Der Raum, in dem sich die Fortuna-Fans warmsingen, ist 4,80 Meter mal 8 Meter groß. Ingo Forsthofer hat sein Wohnzimmer freigeräumt, um Platz zu schaffen für Boxen, Schlagzeug, Mikro-Ständer und Gitarren. In der dunkelbraunen Schrankwand hat der Gastgeber einige Gegenstände so drapiert, dass sie wie ein ironischer Kommentar wirken: die Single "Hinter den Kulissen von Paris" von Mireille Mathieu, eine verschnörkelte Standuhr, das Buch "Ich wollte Hosen" von Lara Cardella. "Wir wollen Hosen!", skandiert das Publikum, und dann legen sie los, die Hosen, mit dem Titel "Strom". "Wir sind außer uns", schreit Campino, "außer Rand und Band".

In Ingos Wohnzimmer ist daraufhin eine Explosion von aufgestauter Energie zu beobachten. Halbnackte Menschen hüpfen johlend und rempelnd im Zimmer herum, Experten nennen dieses seltsame Verhalten Pogo. Enthemmt kreischende Mädchen surfen auf den Händen des Publikums, haarscharf an der gusseisernen Hängelampe vorbei. Es dauert nicht lange, dann tropft Schweiß von der Decke, die ersten Möbel gehen zu Bruch. Der Gastgeber ist mit der Entwicklung der Party trotzdem sehr einverstanden. Schließlich gibt es aus seiner Sicht zwei Anlässe, die wichtiger sind als der Zustand der Wohnungseinrichtung: Die Toten Hosen feiern bei ihm zu Hause ihr 30-jähriges Bestehen, und Fortuna Düsseldorf steht kurz vor dem Aufstieg in die Fußball-Bundesliga, das entscheidende Spiel gegen Hertha Berlin findet an diesem Dienstag statt.

Die Toten Hosen sind seit 30 Jahren im Musikgeschäft und haben mehr als15 Millionen Alben verkauft. Sie sind schon vor 300.000 Leuten bei einem Festival in Polen aufgetreten, und nun stehen sie in der Wohnung von Ingo Forsthofer in der Düsseldorfer Schneider-Wibbel-Gasse und spielen für 50 Leute - gratis und exklusiv. Auf ihrer "Magical Mystery Tour" sind sie vier Wochen lang in Europa unterwegs gewesen. Sie haben etwa eine Punk-WG in Gießen besucht, die Freiwillige Feuerwehr von Gäufelden in Baden-Württemberg und die Urologische Abteilung des Krankenhauses Ingolstadt. "Jeder einzelne Auftritt war wie der Besuch auf einem neuen Planeten", sagt Campino in Düsseldorf.

Schmählied bei Jens Jeremies

Das Wohnzimmer-Konzert am Sonntagabend war der Abschluss der Tour. Es war auch eine Reise zurück zu den Wurzeln der Band. Die Bühnenkarriere der Toten Hosen begann 1982 im "Magazinkeller" des Bremer Schlachthofs. Irrtümlich waren sie damals als "Die Toten Hasen" angekündigt worden, was aber den Aufstieg der Band nicht verhinderte.

Mit ihrem Erfolg haben die Toten Hosen lange nicht gerechnet. "Wir wollten gar nicht berühmt werden", sagt Campino, "wenn uns jemand Benzingeld, Bier und einen Platz zum Schlafen gegeben hat, waren wir schon happy." Nach dem Freibier-Prinzip sollte auch die Jubiläumstour ablaufen. Über die Tote-Hosen-Website konnte sich jeder für einen Privatauftritt bewerben. "Wenn ihr starke Nerven, tolerante Nachbarn sowie eine gute Hausratversicherung habt und abenteuerlustig genug seid", hieß es in der Ausschreibung, "dann freuen wir uns auf Eure Vorschläge!"

4500 Fans bewarben sich, 20 bekamen den Zuschlag. Ingo Forsthofer schickte einen Film, in dem er sein Haus vorstellte, das an der "spanischen Meile" liegt, einem Teil der Fußgängerzone mit spanischen und argentinischen Restaurants. Der 31-Jährige wählte das Motto "Rot-Weiß" für die Party, was perfekt passte, weil die Toten Hosen als größte Fortuna-Fans weltweit gelten. Die Band half dem zeitweise maroden Club sogar mal finanziell aus der Patsche. Beim Wohnzimmerkonzert sind die Grenzen zwischen Stadiongesängen und Hosen-Liedgut fließend, bei den Fortuna-Olé-Rufen rastet das Publikum dermaßen aus, dass man sich Gedanken über die Statik des Altbaus machen muss. Eine Frau holt sich beim Pogo ein blaues Auge, zu gröberen Verletzungen kommt es nicht.

Natürlich sieht das alles wild aus, aber es ist nicht mehr die pure Anarchie wie früher zu den Anfangszeiten der Band. Beim Konzert in Düsseldorf sind Kamerateams dabei, die Wohnzimmertour ist gut fürs Image, und nebenbei wird für das neue Album "Ballast der Republik" geworben. Diese Art von Marketing betreibt die Band aber so herzhaft, dass es nicht negativ auffällt. Im Selbstvermarkten und Geldverdienen mit liebevoll-ironischer Note sind die Toten Hosen gut, die Alt-Punker verhökern über ihre Merchandising Firma "Kauf mich" DVDs, T-Shirts, Ledergeldbörsen, Uhren und sogar Wein - trockenen Riesling der Sorte "Weißes Rauschen", sechs Flaschen für 66 Euro.

Entsetzte Blicke der Touristen

Bei Ingos Wohnzimmerparty gibt es kein Weißes Rauschen, sondern Altbier vom Fass. Vor dem Haus hat sich schnell eine Menschentraube gebildet, die Band hat die Fenster im ersten Stock geöffnet und zwei Boxen rausgestellt. Campino singt mal in Richtung Wohnzimmer, mal in Richtung Straße. Es ist sehr unterhaltsam, die entsetzten Blicke der Touristen zu beobachten, die nicht verstehen, warum da ein halbnackter, schwitzender Mann auf dem Fensterbrett über einem spanischen Restaurant sitzt und laut "Arschloch!" in ein Mikrofon brüllt - und dafür auch noch frenetisch gefeiert wird.

Für die Toten Hosen ist das Finale der Wohnzimmertour, mitten in der Düsseldorfer Altstadt, ein herzerwärmendes Heimspiel. Der FC Bayern hat am Vortag das DFB-Pokalfinale verloren, Fortuna Düsseldorf steht vor dem Aufstieg in die Erste Bundesliga. Zwei Ereignisse, die dem erklärten FC-Bayern-Hasser und hartnäckigen Fortuna-Fan Campino sehr, sehr gute Laune machen. Der Hosen-Sänger lässt keine Gelegenheit aus, um gegen den üblicherweise so erfolgreichen Club aus dem Süden zu stänkern, den er für einen reichen, arroganten Scheißverein hält. "Wir würden nie zum FC Bayern München gehen", heißt ein Schmählied der Toten Hosen, doch es kam anders. Sie mussten vergangene Woche dann eben doch zum FC Bayern gehen. Der ehemalige Bayern-Profi Jens Jeremies hatte sich, so wie alle anderen Fans auch, online beworben und den Zuschlag erhalten für ein Gastspiel der Hosen. Es soll recht laut und lustig gewesen sein im Partykeller von Jeremies. "Natürlich haben wir in Jens' Keller auch das Bayern-Lied gespielt", sagt Campino.

Ingos Wohnung hat dann am Ende schwer gelitten unter der Feier. Der Teppich ist bedeckt von Konfetti, Zigarettenkippen und Bierlachen, eine Bank ist unter dem Gewicht eines Fotografen zusammengekracht und liegt nun in Trümmern in der Ecke. Jemand hat die Tapete mit Filzstift beschriftet, der Text ist nicht einmal annähernd jugendfrei und darum eher schlecht wiederzugeben. Gastgeber Ingo ist dennoch hochzufrieden, mit seiner Party und dem Auftritt der Band. "Man merkt, dass es von Herzen kommt", sagt Ingo, der selbst Musiker ist und in einer Hobbyband singt. Nach den Zugaben wirken Zuhörer und Band wie eine Fußballmannschaft nach einem harten Relegationsspiel mit Verlängerung und Elfmeterschießen. Alle sind schweißgebadet und abgekämpft. Jetzt müsste nur noch Fortuna aufsteigen, dann wäre das Glück perfekt für die Toten Hosen und ihre Fans.

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