Tollwood:Viele Fäuste für ein Halleluja

Bis kurz vor Weihnachten gastiert der kanadische Cirque Eloize beim Winter-Tollwood auf der Theresienwiese. Die Western-Show "Saloon" bietet Musik und Artistik, verzichtet aber auf Tiere und Waffen

Von Michael Zirnstein

Gibt es für den Wilden Westen typische Akrobatik-Kunststücke? Holt man sich die alten, noch politisch unkorrekten Western-Filme wie Der schwarze Falke mit John Wayne vor Augen, sieht man tollkühn reitende, seitlich am Pferd hängende Indianer, die mit dem Flitzebogen auf Cowboys zielen, welche die Colts am Abzugsbügel rotieren. Darauf verzichtet der kanadische Cirque Eloize in "Saloon", weil er im Ethos des Nouveau Cirque prinzipiell nicht mit Tieren arbeitet. Außerdem haben sich die Entwickler der Show gegen Waffen ausgesprochen. Das heißt, anfangs wollten sie schon Revolver einbauen, doch dann dachten sie daran, dass sie ja auch in den USA gastieren würden, und dort ist es in einigen Gegenden verboten, Knarren auf der Bühne zu zeigen. "Ich darf dort nicht mal mit meinen Händen eine Pistole nachahmen", sagt Jérémy Saint-Jean Picard, der im Saloon der Sheriff ist, "das ist lächerlich". Zumal durchaus bewaffnete Zuschauer im Publikum sitzen könnten. Denn ein Verfassungszusatz garantiert den Amerikanern, dass sie gerüstet sein dürfen, sollten sie sich eines seitlich am Pferd hängenden Komantschen erwehren müssen.

Just mit diesen aus der Pionierzeit stammenden Charaktereigenschaften, die Amerika groß gemacht haben, oder zumindest zu dem, was es heute ist, spielen die Nachbarn aus Kanada. Die elf Darsteller stiefeln im Saloon daher wie aus einem Western-Comic, quasi die Klischees von Can-Can-Tänzerinnen, Goldschürfern, Barkeepern und staubigen Gesellen. Die Optik stimmt, und auch die live gespielte Musik vom Cowboy-Jodler bis zum Honky-Tonk-Piano. Picard sollte eigens Banjo spielen lernen, was zu seinem Lieblingsteil des Abends wurde. Außerdem flirtet er in tänzerischer Partnerakrobatik mit der Saloon-Schönheit, jongliert mit Hüten und springt durch ein schwingendes Lasso. Letzteres ist tatsächlich waschechte Cowboy-Artistik, die er bei einem Western-Festival schon "viel besser von Leuten gesehen" habe, "die wirklich aus dieser Welt kommen". "Deswegen liebe ich den Cirque Eloize", sagt Picard, "hier können wir alle viele Talente zeigen und entwickeln". Anders als beim Cirque du Soleil für den er auch kurzfristig gearbeitet hat, wo die Artisten oft nur für ihre Spezial-Nummer auf die Bühne kämen.

Cirque Eloize

Die Optik stimmt: Darsteller des "Cirque Eloize" stiefeln im Saloon daher wie aus einem Western-Comic.

(Foto: Jim Mneymneh/oh)

Der Cirque Eloize ist wie die kleine Schwester des ebenfalls in Montreal beheimateten Cirque du Soleil. Der Zirkus-Konzern hat bis zu diesem Jahr fast die Hälfte des Nachbarunternehmens besessen, doch der Eloize-Mitgründer und ehemalige Kunstradler Jeannot Painchaud hat alles zurückgekauft. Auch um die eigenen Werte zu verteidigen. "Bei uns gibt es niemanden, der alles allein entscheidet", erklärt Picard, "wir werfen alle unsere Münzen in den Hut". Dadurch entstehen in einer ehemalige Bahnstation in Montreal sehr eigene, zauberhafte Collagen aus Zirkus, Bildertheater, Tanz und Konzert. Fünf Mal gastierten Eloize-Compagnien bereits in München, vorigen Advent mit dem in Großprojektionen erstrahlenden "Cirkopolis". Der Eloize-Chef Painchaud kam zu Besuch und war so angetan, dass er Tollwood die nächste Europa-Premiere versprach. Die Geschichte aus einer Zeit, als aus dem Nichts Barackensiedlungen entstanden, passt aber auch zur Budenstadt auf der Theresienwiese wie vier Fäuste auf ein Halleluja.

Vier Wochen lang en suite jonglieren die Artisten vor einem recht roh zusammengezimmerten Gerüst mit Dynamitstangen, schwingen am Kerzenleuchter, und die Saloon-Schönheit verdreht zuerst dem Sheriff den Kopf und dann dem leichtlebigen Klavierstimmer (die Figur heißt so, weil er nie wirklich Piano spielt), was allerdings zu Spannungen mit ihrem Freund führt, dem "Saloon"-Besitzer. "So war das halt in diesen lockern Zeiten", sagt Picard augenzwinkernd. Anders als bei früheren Eloize-Shows wie "Nomade" oder "Nebbia" schreibt man sich diesmal nicht gerade eine philosophisch-poetische Botschaft auf die Schwingtür. "Wir tragen das nicht so vor uns her, aber da gibt es eine."

Nach familientauglichen 85 Minuten mit Musik, Party und Kräftemessen unterm Dach des großen Zeltes, kommt es zum Duell um die frivole Lady vor dem Saloon, ausgetragen zunächst in spektakulären Doppelsprüngen auf der großen Wippe, dem Teeterboard. Doch der Streit steckt, wie im Western halt, an, und mangels Colts zielen bald alle (die amerikanischen Sicherheitsfanatiker werden es verkraften) mit doppelläufigen Händen aufeinander: "Haha, ich hab' dich" - "Nein, hast du gar nicht" werden sie dann rufen wie im Kinderspiel und am Ende einsehen, dass das ganze Geballer keinen Sinn hat. "Wir Artisten haben dann auf eigene Faust eine andere Lösung eingebaut", erklärt Jérémy Picard. "Unser Bühnen-Chef hat aus dem Stand geweint". Der wilde, weiche Westen.

Cirque Eloize, "Saloon", Mi., 23. Nov., bis Do., 22. Dez., 20.30 Uhr (So. 14.30 und 18 Uhr, Mo. spielfrei), Tollwood, Theresienwiese, 07 00/38 38 50 24

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