Zum Tod von Gabriel García Márquez:Magier für Millionen

Gabriel Garcia Marquez dies aged 87

Gabriel García Márquez ist im Alter von 87 Jahren gestorben.

(Foto: dpa)

Gabriel García Márquez war viel mehr als ein Schriftsteller. Ganz Lateinamerika trauert um den Mann, dem ein Verlag einst sagte, er solle sich eine andere Beschäftigung suchen.

Ein Nachruf von Peter Burghardt, Buenos Aires

Die Reise des Gabriel García Márquez durch das Leben und die Literatur war lang und weit, aber sein Universum hatte immer diesen Fixpunkt. Macondo. Der fiktive Ort im Norden Kolumbiens ist ein lateinamerikanisches Symbol, seit seinem Klassiker "Hundert Jahre Einsamkeit" kennt ihn jeder Leser. Er hat sogar ein wahrhaftiges Vorbild. Dort begann mit seinen ersten Atemzügen am 6. März 1927 der Magische Realismus, dessen Stimme nun am 17. April 2014 nach schwerer Krankheit in seinem Haus in Mexiko-Stadt verstummte.

Seine Heimat heißt Aracataca und findet sich am Rande von Bananenplantagen und den Gebirgszügen der Sierra Nevada im schwülen Hinterland der Karibikküste. Zwei Stunden entfernt, nahe der Hafenstadt Santa Marta, verschied einst der Befreier Simón Bolívar, dem Gabo das traurige Opus "Der General in seinem Labyrinth" widmete. "Willkommen in der magischen Welt von Aracataca-Macondo", steht an der Zufahrt über dem oft siedend heißen Asphalt. Hier entdeckten der Bub und später der ältere Besucher das, was die Basis seiner Bücher wurde, nachzulesen auch in seinen Erinnerungen "Leben, um davon zu erzählen". Den Namen Macondo kannte García Márquez bereits als Kind von einer Bananenfinca, "aber erst als Erwachsener merkte ich, dass mir der poetische Klang gefiel".

In diesem Aracataca alias Macondo steht ein Holzhaus, neben dem der Meister als Erstes von elf Kindern seiner Eltern zur Welt kam, heute ein Museum. Da sind Reste des Telegrafenamtes, in dem sein Vater funkte, ehe er reisender Homöopath und Apotheker wurde. Bis vor ein paar Jahren konnte man auf diesen Straßen sein ehemaliges Kindermädchen treffen, und am Fluss bei der Brücke sehen die Steine aus "wie prähistorische Eier". Wie in seiner wuchernden Saga.

Begonnen hatte der Genius nach abgebrochenem Jurastudium bei den Zeitungen El Heraldo in Barranquilla und El Espectador in Bogotá, das darf Reportern weltweit Hoffnung machen. Nach der kubanischen Revolution 1959 lud ihn Fidel Castro als Berichterstatter auf die Insel ein, was manchen Leuten missfiel, darunter seinem konservativen Kollegen Mario Vargas Llosa. Der literarische Journalist blieb er bis zuletzt, in Cartagenas Altstadt gründete der Poet die Stiftung des Neuen Iberoamerikanischen Journalismus und am Rande von Havanna eine Filmhochschule. In beiden Städten besitzt er auch Häuser, Cartagena ist eine Bühne von "Liebe in den Zeiten der Cholera". Geschichten wie "Bericht eines Schiffbrüchigen", "Chronik eines angekündigten Todes" oder "Nachricht von einer Entführung" hatten reale bis sehr reale Vorlagen. Sein Buchdebüt "La hojarasca" (Der Laubsturm) indes lehnte ein argentinischer Verlag mit dem Hinweis eines Kritikers ab, er solle sich eine andere Beschäftigung suchen.

Der Durchbruch gelang 1967 mit "Hundert Jahre Einsamkeit", entstanden in Monaten der Klausur in seinem Büro. "Amerikas Roman", jubelten die Rezensenten, es ist eine Metapher des Subkontinents mit seinen Tragödien und Wundern.1982 überreichte ihm Schwedens König Carl Gustav den Nobelpreis, spätestens seitdem war der Kolumbianer die wichtigste Figur in einer Flut lateinamerikanischer Erzählkunst. Bei Teil eins seiner Memoiren stand das Volk 2002 Schlange, zum zweiten Teil kam es nicht mehr. Da war der Krebs, und da war der Hinweis seines Bruders Jaime, dass senile Demenz die Familie plage.

Zu seinem 87. Geburtstag war der Patient García Márquez kürzlich noch einmal vor seiner mexikanischen Residenz zu sehen, ehe er vorübergehend in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Sein Tod wird beweint von Río Grande bis Feuerland und weit darüber hinaus. Zurück blieben seine beiden Söhne und seine Frau Mercedes, mit der er seit 1958 verheiratet war. "Gabo brach zu einer weiteren Flussfahrt mit Florentino Ariza auf", schreibt Kubas KP-Blatt Granma. Kolumbien verordnete über Ostern drei Tage Staatstrauer. Oberhäupter von Brasiliens Dilma Rousseff bis Barack Obama kondolierten. "Wie mag man ihm danken?", fragt die argentinische Zeitung La Nación. Sein Körper wird im privaten Kreis in Mexiko verbrannt. Ein Großbegräbnis und eine Überführung nach Kolumbien soll es nicht geben. Phantasie und Wirklichkeit aus seinem Kosmos werden weiterhin Millionen Menschen beglücken. Und Aracataca bleibt für immer Macondo.

Einen ausführlichen Nachruf lesen Sie in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung.

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