Oper:Die Elster war's

Oper: Nino Machaidze als Ninetta, rechts in der Küche, links gesehen durch die Augen der Elster aus deren Käfig.

Nino Machaidze als Ninetta, rechts in der Küche, links gesehen durch die Augen der Elster aus deren Käfig.

(Foto: Monika Rittershaus)

Tobias Kratzer inszeniert am Theater an der Wien Rossinis nahezu vergessene Oper "La gazza ladra" - "Die diebische Elster". Für seine Verhältnisse fast scheu, aber hochlebendig.

Von Egbert Tholl

Links und rechts tönt aus dem Graben Trommelwirbel, dann legt das Radio-Symphonieorchester des ORF los, überschäumend, großartig, dicht und dunkel, gleichzeitig aber auch filigran. Antonino Fogliani dirigiert mit herrlichem Überschwang, was die ganzen dreieinhalb Stunden der Aufführung andauern wird. Aber erst einmal die Ouvertüre, das einzige, was aus dieser Oper bekannt ist, weil sie als Konzertstück ein Eigenleben führt. Dabei war Gioachino Rossinis "La gazza ladra" - "Die diebische Elster" bei ihrer Uraufführung 1817 ein Riesenerfolg, verschwand aber nach ein paar Jahrzehnten von der Bühne. Versuche einer Renaissance in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeitigten zwar einige Erfolge, wenn auch kaum durchschlagende. Dabei ist Rossini hier hochinteressant, keineswegs so vordergründig lustig wie in seinen komischen Erfolgsstücken, aber auch nie ganz ernst. Diese Oper ist eine "semiseria", sie ist ernst und lustig zugleich, fast in jedem Moment. Die Gefühlszustände schweben hier, die Musik ist verblüffend symphonisch und am Ende kommt ein Trauermarsch, der locker als klangliches Urfutter aller Beerdigungsszenen in allen Mafia-Filmen taugt.

Gleichwohl tritt die Handlung in den an sich fabelhaften Ensemble- und Tableauszenen immer wieder auf der Stelle. Der eigentliche Plot ist vordergründig hanebüchen, wenn auch im tieferen Sinne metaphorisch. Wenn man nun eine Oper machen will, deren Umsetzung eine Herausforderung ist, dann fragt man seit einigen Jahren gerne Tobias Kratzer. Spätestens seit seinem Bayreuther Road-Movie-"Tannhäuser" ist der Mann Kult, aber schon davor hat er mehrfach bewiesen, dass er auch unmögliche Opernstoffe sinnstiftend, notfalls durch Verlagerung in andere Kontexte, aber immer sehr präzise erzählen kann. Für seine Verhältnisse ist er jedoch nun am Theater an der Wien fast scheu. Was nicht heißt, dass er nicht eine spannende Inszenierung ablieferte. Eine, die aussieht wie Neo-Opernverismo.

Kurz die Handlung: Lucia und Fabrizio freuen sich über die Rückkehr ihres Sohnes Giannetto aus dem Krieg, ihr Dienstmädchen Ninetta tut es ihnen gleich. Die jungen Leute wollen heiraten, doch dann wird Ninetta des Diebstahls eines Silberlöffels aus Lucias heißgeliebten Besteckkastens angeklagt. Der örtliche Podestà, selbst scharf auf Ninetta, will sie nun mit Macht zur Liebe zwingen, sie bleibt stur, schützt ihren Vater, einen herumgeisternden Deserteur, am Ende sollen beide hingerichtet werden (wegen eines Silberlöffels!), doch es geht gut aus, die Elster war's. Darum herum gibt es noch eine Fülle von Figuren, plastische Miniaturen, alle verliebt oder mit kleineren dramaturgischen Funktionen betraut.

Nun schaut man im Museumsquartier, Ausweichspielstätte des Theaters an der Wien, das mindestens zwei Jahre lang renoviert wird, in ein zweistöckiges Gebäude von Rainer Sellmaier, halb Hof, halb Haus, liebevoll naturalistisch bis ins Detail gebaut. In der Mitte ab und an eine Leinwand, auf der man sieht, was die Elster sieht. Zur Ouvertüre fliegt sie über die Landschaft, über verschlafene Dörfer - Manuel Braun und Jonas Dahl drehten in Rumänien -, sammelt Schlüssel und klaut Grabschmuck. Zuletzt sieht man sie selbst, sie hockt in ihrem Käfig und schaut in einen Spiegel. Und ganz am Ende noch ein großer Witz: Der Diebstahl der berühmten Saliera, eines Prunksalzfässchens, aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien 2003 (inzwischen ist sie längst wieder da), wird aufgeklärt, die Elster war's.

Kratzer erzählt die Geschichte heutig, in einem Land, in dem Macht und Ordnung erodieren. Zur Ouvertüre plündern Soldaten die Küche, Lucia fürchtet, vergewaltigt zu werden, der Podestà ist ein Provinzmafiapate mit dickem Mercedes, Recht scheint grundsätzlich verhandelbar. Nun ist das Theater an der Wien ein Stagione-Betrieb ohne eigenem Ensemble, für jede Produktion sucht man sich passgenau die Mitwirkenden aus. Der Arnold-Schönberg-Chor, Marina de Liso (Lucia), Maxim Mironov (Giannetto), Fabio Capitanucci (Fabrizio) und all die anderen singen und spielen, als hätten sie Kratzers Idee des hochlebendigen, wahrhaftigen Spiels inhaliert. Im Spiel tut es Nino Machaidze ihnen gleich; als Ninetta ist sie die Hauptfigur, beladen mit schwerer, überexpressiver Stimme - sie ist die dunkle Seite des heiteren Spiels.

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