Tiroler Festspiele:Das "System Kuhn"

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Gustav Kuhn ist Dirigent und künstlerischer Leiter.

(Foto: Imago)

Vorwürfe gegen den Leiter der Festspiele in Erl

Von Rita Argauer, Erl

Regisseur, Dirigent und künstlerischer Leiter, damit vereint Gustav Kuhn die drei wichtigsten Ämter der Tiroler Festspiele in Erl in seiner Person. Nun veröffentlichte der österreichische Enthüllungsblog dietiwag.org eine Reihe anonymer Äußerungen von in Erl beschäftigten Künstlern, die die schlechten Arbeitsbedingungen und das autoritäre Verhalten Kuhns anprangern. Der Blogger Markus Wilhelm stellte die Zitate sowie ebenfalls anonymisierte Passagen aus Arbeitsverträgen am 13. Februar online.

Daraus geht hervor, dass die Künstler zu Dumpinglöhnen beschäftigt und übliche Arbeitszeiten nicht eingehalten worden sein sollen. Außerdem, so heißt es in den Einträgen, pflege Kuhn ein autoritäres, unangemessen angstschürendes, in Einzelfällen zudringliches Verhalten gegenüber den Künstlern. In Zeiten der "Me Too"-Debatte reagiert die Öffentlichkeit auf diese Themen sensibel, die österreichische Zeitung Der Standard hat Wilhelms Veröffentlichungen bereits aufgegriffen. Zudem äußerte Wilhelm den "Verdacht auf Korruption und Parteienfinanzierung". Wilhelm erlangte Bekanntheit durch Enthüllungen der Einflussnahme deutscher Stromkonzerne auf den Vorarlberger und Tiroler Energiemarkt. Die Gerichtsverfahren des Tiroler Stromkonzern Tiwag gegen ihn gewann er in zwei Instanzen, zudem deckte er Geldflüsse der Industriellenvereinigung in Richtung ÖVP und FPÖ auf. Wilhelm sei schon länger "an dem Thema dran" gewesen, äußerte er gegenüber der SZ. Über Kontakte aus der Musikszene sei er an Musiker gelangt, die in Erl engagiert gewesen waren und habe sich "Kontaktperson um Kontaktperson vorgearbeitet". Die Zitate zeichnen ein Bild von einem despotischen und übergriffigen Klima in Erl.

Erl bewegt sich mit den Engagements in einem Zwischenraum. Kuhn beschäftigt viele Musiker aus der von ihm geleiteten Accademia di Montegral als Nachwuchskünstler, deren niedrige Bezahlung damit gerechtfertigt wird, dass durch die Akademie ein Lerneffekt aus dem Engagement gezogen wird. "Natürlich werden jungen, noch weitgehend unbekannten Künstlern niedrigere Gagen oder Löhne bezahlt als arrivierten bekannten Künstlern", erklärt Andreas Leisner, Kuhns Stellvertreter und Verantwortlicher für das Casting in Erl.

Schwer wiegt auch der Vorwurf, dass verstärkt Musiker aus Osteuropa beschäftigt werden, die neben Niedriglöhnen unzumutbare Arbeitsbedingungen wie etwa tagelange Busfahrten von Minsk nach Erl in Kauf nehmen müssen, damit den Musikern kein Tagegeld für probenfreie Zeit bezahlt werden muss. Leisner beruft sich diesbezüglich auf die gängigen Marktverhältnisse. Erl hat dazu mittlerweile einige Gegenstimmen veröffentlicht. Alena Sautier, die seit 2014 in Erl singt, beschreibt die Bezahlung als "gute, normale Gagen".

Bisher stehen Wilhelms viele anonyme Stimmen gegen sechs namentliche Gegenstimmen. Die Festspiele Erl reichten am Montagmittag einen Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung und einen medienrechtlichen Entschädigungsantrag beim Landgericht Innsbruck ein. Wilhelm freue sich jedoch darauf, "weil damit dieses so wichtige Thema die Öffentlichkeit erhält, die es unbedingt braucht", sagt er. Denn "da kommt noch einiges", kündigt er an, der von einem "ganzen System Kuhn" spricht. In Folge seines Blog-Eintrags hätten sich weitere Musiker mit Erlebnissen aus Erl bei ihm gemeldet, die er ebenfalls zu veröffentlichen plant.

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