Tipps aus dem Programm im Berlinaleblog:Sieben Filme, die Sie bei der Berlinale sehen sollten

Tipps aus dem Programm im Berlinaleblog: Szene aus dem Wettbewerbsfilm "Harmony Lessons".

Szene aus dem Wettbewerbsfilm "Harmony Lessons".

(Foto: Harmony Lessons Film Production)

Der größte Hype wird bei der Berlinale immer genau um die Filme gemacht, die man sich später gemütlicher auch im Kino ansehen kann. Darum hier der kleine Hinweis für Festivalbesucher: sieben vielversprechende Beiträge dieser Berlinale, die Sie möglicherweise nie wieder zu sehen bekommen.

Von Paul Katzenberger

Der größte Hype wird bei der Berlinale immer genau um die Filme gemacht, die man sich später gemütlicher auch im Kino ansehen kann. Darum hier der kleine Hinweis für Festivalbesucher: sieben vielversprechende Beiträge dieser Berlinale, die Sie möglicherweise nie wieder zu sehen bekommen.

Jetzt kommen sie also wieder: Die Stars und Sternchen des Filmgeschäfts geben sich in Berlin ein Stelldichein. Doch vielleicht sind die Filme mit Til Schweiger, Catherine Deneuve, Martina Gedeck und den ganzen anderen bekannten Gesichtern gerade die Beiträge, die sich der Festivalgänger am ehesten sparen kann. Denn er wird Filme wie "Camille Claudel 1915" (mit Juliette Binoche), "Gold" (mit Nina Hoss) oder "Promised Land" (mit Matt Damon) bald im Kino sehen können. Und nicht nur das: Wer wartet, bis Berlinale-Filme ins Kino kommen, weiß bis dahin schon, ob der Film überzeugen konnte. Die Marktingmaschinerie sorgt zuverlässig dafür, dass niemand die Highlights verpasst.

Unter den 404 Filmen, die diese Berlinale zeigt, gibt es allerdings etliche Beiträge, die nie in die Kinos kommen werden, obwohl sie sich vor den großen Namen nicht verstecken müssen. Vielleicht sind sie sogar besser als die Arrivierten, denn wer sich als weniger bekannter Filmemacher unter 6812 Einreichungen durchgesetzt hat und nach dem strengen Urteil der Kuratoren auf der Berlinale gelandet ist, besticht wohl vor allem durch eins: durch Qualität. Diese spricht Verleiher leider nicht immer an, schließlich lässt sie sich bekanntermaßen oft nicht in kommerziellen Erfolg umsetzen.

Ein Privileg dieses Blog besteht darin, die deutsche Film- und Fernsehwirklichkeit beiseite schieben zu dürfen, es soll hier also zuvorderst um Qualität im Film gehen. Hier kommen sieben Tipps für vielversprechende Beiträge dieser Berlinale, die Sie möglicherweise nie wieder zu sehen bekommen.

Tipps aus dem Programm im Berlinaleblog: Gräber von Erdbebenopfern in Haiti: Circa 250.000 Menschen haben bei der Katastrophe ihr Leben verloren.

Gräber von Erdbebenopfern in Haiti: Circa 250.000 Menschen haben bei der Katastrophe ihr Leben verloren.

(Foto: Velvet Film 2012)

Assistance Mortelle (Fatal Assistance)

Der Reiz von Filmfestivals besteht unter anderem darin, sich mit anderen Festivalgängern und den Filmmachern über die gemeinsam angesehenen Filme austauschen zu können. Das geht auf den kleineren Festivals von Tromsö bis Thessaloniki viel besser als auf Großevents wie der Berlinale, denn mit zwanzig Leuten bei einem Glas Wein kann man einfach besser diskutieren als mit 500 ohne Bewirtung.

Zumindest haben die Berlinale-Macher das Problem erkannt und bieten seit zwei Jahren in der Sektion "Berlinale Special" moderierte Gespräche zu Filmen an. Besonders gespannt können die Zuschauer in diesem Jahr auf die Doku "Assistence Mortelle" (Fatal Assistance) von Raoul Peck sein.

Der frühere Kultusminister Haitis und heutige Präsident der französischen Filmhochschule La Fémis zeigt in seinem Film auf, was es mit den vielen Charity-Veranstaltungen auf sich hat, die im Westen für die Opfer der Erdbebenkatatstrophe in Haiti vom Januar 2010 veranstaltet werden. Während die Menschen dort immer noch massiv von dem Unglück betroffen sind, gehe es den vermeintlichen Helfern aus den Wohlstandsregionen gar nicht um die Haitianer, sondern darum, gesehen und fotografiert zu werden - von ihrem Geld komme hingegen kaum etwas in Haiti an. Nach allem, was man über den Film hört: "Shocking".

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"Dolgaya schastlivaya zhizn" (A long and happy life)

Tipps aus dem Programm im Berlinaleblog: Die beeindruckende Natur der nordrussischen Halbinsel Kola - eingefangen von Kameramann Pavel Kostomarov.

Die beeindruckende Natur der nordrussischen Halbinsel Kola - eingefangen von Kameramann Pavel Kostomarov.

(Foto: Festival)

Mit dem European Film Market (EFM) ist der Berlinale eine der weltweit wichtigsten internationalen Filmmessen angegliedert. Und wenn EFM-Chefin Beki Probst dieser Tage danach gefragt wird, was sich im Weltkino so tut, nennt sie zwei Entwicklungen: das enorme Plus beim Angebot asiatischer Filme und der noch viel größere Zuwachs bei Filmen aus Osteuropa.

Damit schließt sich der Markt nun einer Entwicklung an, die es bei den Festivals schon länger zu beobachten gab, nämlich dass die Qualität des osteuropäischen Kinos honoriert wird. Osteuropäische Filmemacher haben in den vergangenen Jahren bei allen großen Festivals Hauptpreise abgeräumt (Venedig, 2003 und 2011; Berlin, 2006; Cannes, 2007) und das osteuropäische Kino damit immer wieder wenigstens kurz in den Fokus gerückt.

Auch der Russe Boris Khlebnikov hat schon auf sich aufmerksam machen können (sein Roadmovie "Koktebel" gewann 2003 diverse Preise und wurde nach Toronto eingeladen), was seine Bekanntheit außerhalb seines Heimatlandes allerdings kaum gesteigert hat. Nun gibt ihm die Berlinale eine große Plattform, indem sie ihn und seinen Ko-Regisseur Alexander Yatsenko mit ihrem neuesten Film "Dolgaya schastlivaya zhizn" in den Wettbewerb eingeladen hat.

Ein Besuch der Vorführung von "A long and happy life" dürfte sich auf jeden Fall lohnen - allein schon um für sich die Frage beantworten zu können, ob es Khlebnikov künstlerisch seinem Ko-Regisseur bei "Koktebel", Aleksey Popogrebskiy, gleichtun kann. Der hat 2010 für "How I spent this summer" einen verdienten Silbernen Bären nach Russland geholt - sein damaliger Kameramann Pavel Kostomarov bekam von der Berlinale-Jury eine lobende Erwähnung. Kostomarov ist jetzt wieder in Berlin. Dieses Mal, weil er für Khlebnikov die Kamera führte - starke Bilder von der beeindruckenden Natur Russlands sind also zu erwarten.

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"Grzeli nateli dgeebi" (In Bloom)

Tipps aus dem Programm im Berlinaleblog: Natia und Eka, die erst 14-jährigen Heldinnen von "Grzeli nateli dgeebi".

Natia und Eka, die erst 14-jährigen Heldinnen von "Grzeli nateli dgeebi".

(Foto: Festival)

Namen wie Tengiz Abuladze oder Otar Ioseliani stehen für die große Filmtradition Georgiens, die in den Wirren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion allerdings sehr gelitten hat. Trotzdem haben georgische Filmemacher in den vergangenen Jahren immer wieder auf sich aufmerksam gemacht. Beim goEast-Festival in Wiesbaden, das sich auf den osteuropäischen Film spezialisiert hat, ging der Hauptpreis 2009 und 2010 sogar in zwei aufeinander folgenden Jahren nach Georgien (an George Ovashvili und Levan Koguashvili für ihren jeweils wunderbaren Film).

Vor diesem Hintergrund hört es sich spannend an, dass Christoph Terhechte, der bei der Berlinale die Sektion Forum verantwortet, die Wiederaufnahme der Filmförderung in Georgien ausdrücklich lobte und einen georgischen Film in sein Programm geholt hat.

In dem Coming-of-Age-Drama "Grzeli nateli dgeebi" (In bloom) hätten die zwei Regisseure Nana Ekvtimishvili und Simon Groß die verschütteten Traditionen des georgischen Kinos wieder aufgegriffen, wirbt die Berlinale für den Film. Laut und leise, Melancholie und Lieblosigkeit, Gewaltausbrüche und Idylle, frühreife Kaltblütigkeit und kindliche Naivität seien zu einer wunderbar rhythmischen Komposition verwoben worden. Na dann - das sollte man sich nicht entgehen lassen.

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"Lovelace"

Tipps aus dem Programm im Berlinaleblog: Entdeckung, Aufstieg und Fall eines Pornostars: Peter Sarsgaard und Amanda Seyfried in "Lovelace".

Entdeckung, Aufstieg und Fall eines Pornostars: Peter Sarsgaard und Amanda Seyfried in "Lovelace".

(Foto: Dale Robinette)

Zu den Überraschungen dieser Berlinale gehört schon jetzt das Wiedererstarken unabhängiger US-Produktionen. Die American Independents hätten ein Niveau erreicht wie in ihrer Blütezeit zu Beginn der Neunzigerjahre, sagte Panorama-Chef Wieland Speck bei der Berlinale-Pressekonferenz: "Amerika hat sich von den dumpfen Bush-Jahren erholt", so der Leiter der Berlinale-Sektion.

Besonders freuen dürfen sich die Berlinale-Besucher auf Rob Epstein und Jeffrey Friedman, zwei alte Bekannte des American Independent Cinema, die seit 1987 gemeinsam Filme machen und die für ihre Aids-Doku "Common Threads: Stories from the Quilt" 1990 den Oscar holten.

Mit ihrem Doku-Drama "Lovelace", das auf dem Sundance-Festival dieses Jahr schon viel Aufmerksamkeit bekam, greifen sie nun wieder ein kontroverses Thema auf. Sie erzählen die Geschichte von Linda Lovelace, die 1972 durch ihre Hauptrolle in dem Low-Budget-Pornostreifen "Deep Throat" über Nacht zum ersten Pornostar mit weltweiter Bekanntheit wurde. Allerdings konnte sie den fragwürdigen Ruhm nicht lange genießen und geriet über ihren ausbeuterischen und gewalttätigen Ehemann Chuck Traynor in einen Abwärtssog aus Verrat, Ausbeutung, Sex und Drogen. Später engagierte sich Lovelace politisch gegen die Porno-Industrie.

So viel zum Hintergrund des Films, der in den USA bereits angelaufen ist, und dort überwiegend positive Kritiken bekam. Epstein/Friedman hätten einen intelligenten Film gemacht, und gemessen daran, was bei dem Thema alles hätte schieflaufen können, sei das Resultat überraschend gut, schrieb die Branchenbibel Hollywood Reporter.

"Lovelace" ist mit der "Les-Miserables"-Darstellerin Amanda Seyfried hochkarätig in der Hauptrolle besetzt - einen Starttermin in Deutschland hat der Film trotzdem noch nicht.

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"Something in the way"

Tipps aus dem Programm im Berlinaleblog: Sex alleine vor dem Fernseher: Ahmad leidet im modernen Jakarta unter dem moralischem Druck der Religion.

Sex alleine vor dem Fernseher: Ahmad leidet im modernen Jakarta unter dem moralischem Druck der Religion.

(Foto: Reza Rahadian)

Bei dieser Berlinale geht es nach Aussage von Festvaldirektor Dieter Kosslick und seinen Sektionschefs überdurchschnittlich oft um Frauenschicksale und -geschichten, die Kollateralschäden der Finanzkrise und der Angst der Mittelklasse vor dem Abstieg. Auch werden dieseThemen gleichzeitig an den unterschiedlichsten Punkten der Welt aufgegriffen.

Das Internet macht den Menschen dieser Welt dasselbe Angebot, stellt sie dabei aber auch vor dieselben Probleme. So ist wohl zu erklären, dass sich zwei junge Filmemacher aus den USA und aus Indonesien auf dieser Berlinale mit einem relativ neuen Thema auseinandersetzen - der Totalverfügbarkeit der Pornografie im Internet und anderen Medien.

Mit seinem lange erwarteten Regie-Debüt "Don Jon's Addiction" war Joseph Gordon-Levitt gerade erst eine der Attraktionen auf dem Sundance Festival, nun läuft sein Film auch im Panorama dieser Berlinale. Sektionschef Wieland Speck verspricht interessante Dialoge mit spitzen Bemerkungen, dennoch empfehle ich hier den indonesischen Beitrag "Something in the Way" von Teddy Soeriaatmadja zum selben Thema. Denn mit Scarlett Johansson, Julianne Moore und Joseph Gordon-Levitt in den Rollen müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn "Don Jon's Addiction" in Deutschland nicht ins Kino kommt. Und ist es nicht interessanter, die Sicht auf das Thema "Sex als Produkt", mit dem bei uns ja - Hand auf's Herz - einige vertraut sind, aus einem vollkommen anderen Kulturkreis präsentiert zu bekommen?

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Sto lyko (To the wolf)

Tipps aus dem Programm im Berlinaleblog: In hoffnungsloser Situation: die Schäfer in den westgriechischen Bergen in "To the wolf".

In hoffnungsloser Situation: die Schäfer in den westgriechischen Bergen in "To the wolf".

(Foto: Christina Koutsospyrou, Aran Hughes)

Die Berlinale hat noch gar nicht richtig angefangen, trotzdem lässt sich jetzt schon sagen, dass die große Zahl von gezeigten Independent-Filmen für den weltweiten Aufschwung von unabhängigen Produktionen spricht - die günstigere Digitaltechnik ermöglicht jungen Filmemachern, ihre Filme schnell unter Dach und Fach zu bringen. Erfreulich: Zu dieser Entwicklung tragen die Europäer ausweislich ihrer Berlinale-Beiträge erheblich bei, gerade auch Krisenländer wie Spanien, Portugal und Griechenland - die Finanzkrise bietet ja auch genug Stoff.

Griechische Filmemacher haben in der jüngsten Vergangenheit mit Filmen wie "Attenberg" und "Alpen" immer wieder viel Lob bekommen - die Zeit schrieb im vergangenen Jahr, das hellenische Kino besitze zurzeit mehr künstlerischen Eigensinn als das restliche europäische Kino zusammen.

Auf dieser Berlinale stellt mit Christina Koutsospyrou nun eine junge griechische Filmemacherin ihren ersten Spielfilm "Sto lyko" (To the Wolf) vor. Darauf darf man gespannt sein, denn Länder, die tiefe Erschütterungen durchlaufen, bringen oft starke Filme hervor.

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"Uroki Garmonii" (Harmony Lessons)

Tipps aus dem Programm im Berlinaleblog: Streng kalkulierte optische Tableaus: Szene aus "Harmony Lessons".

Streng kalkulierte optische Tableaus: Szene aus "Harmony Lessons".

(Foto: Harmony Lessons Film Production)

Der Oscar-Regen für "The Artist" im vergangenen Jahr hat ein wenig darüber hinweggetäuscht, dass sich bei den Oscars Hollywood eigentlich fast nur immer selber feiert. Ganz anders ist das bei den großen Filmfestivals - da poppt immer mal wieder ein Film aus irgendeiner Weltregion auf und räumt den Hauptpreis ab.

In Berlin war das zuletzt der Fall 2010, als Semih Kaplanoglu den Goldenen Bären für sein Drama "Bal" (Honig) mit in die Türkei nahm. Dass es in diesem Jahr wieder einen exotisch anmutenden Überraschungssieger geben könnte, ist gar nicht so unwahrscheinlich. Denn im Wettbewerb ist das Weltkino mit Beiträgen von relativ unbekannten Filmemachern, etwa aus Chile oder Kanada, gut vertreten.

Einen Geheimfavoriten gibt es auch: Der Wettbewerbsbeitrag "Urok Garmonii" (Harmony Lessons) von Emir Baigazin aus Kasachstan dürfte von der Bildsprache her auf jeden Fall interessant sein. Neugierde weckt der Film auch, weil er eine Förderung vom World Cinema Fund ergattern konnte. Der 2004 in Deutschland eingerichtete Fonds sponsert Filme, "die mit einer ungewöhnlichen Ästhetik überraschen, die starke Geschichten erzählen und ein authentisches Bild ihrer kulturellen Herkunft vermitteln."

Und so manches Mal agierte der Fonds bereits als Orakel für große Erfolge: Auf seine Gelder stützten sich beispielsweise Apichatpong Weerasetahkul bei seinem Fantasyfilm "Uncle Boonmee erinnert sich an sein früheres Leben" und Claudia Llosa bei ihrem Drama "Eine Perle Ewigkeit". Weerasetahkul holte für "Uncle Boonmee" 2010 die "Goldene Palme" aus Cannes nach Thailand, Llosa 2009 für ihren Film den "Goldenen Bären" nach Peru.

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