"Verleugnung" im Kino:Wie denkt man sich in einen Holocaustleugner hinein?

Kinostart - 'Verleugnung'

"Man muss seine persönliche Meinung irgendwo parken", sagt Spall über seine Rolle als rechtsradikaler Hetzer in "Verleugnung".

(Foto: dpa)

Die "Harry Potter"-Filme haben ihn berühmt gemacht. Nun spielt Timothy Spall im Drama "Verleugnung" den rechtsradikalen Historiker David Irving. Eine Begegnung.

Von Alexander Menden

Es gibt einen Moment im Gerichtsdrama "Verleugnung", in dem David Irving, gespielt von Timothy Spall, die Maske verrutscht. Gerade hat der Holocaustleugner mit jovialer Freundlichkeit zwei Anwaltsgehilfen verabschiedet, die Zugang zu seinen Tagebüchern erbeten hatten. Während sie die Straße überqueren, beobachtet Irving sie vom Fenster aus. Sein Gesicht ist von einem Augenblick zum nächsten ausdruckslos geworden, sein Mund schlaff, seine Augen sind undurchdringlich wie Murmeln. Eine Schlüsselszene des Films, der den spektakulären Prozess des rechtsradikalen David Irving gegen die jüdische Professorin Deborah Lipstadt nacherzählt (siehe Kritik).

Auf diese Szene angesprochen, sagt Spall: "Ich kann nicht genau verraten, was ich da dachte. Aber ich habe sehr viele verschiedene Dinge gefühlt, in seinem Namen." Es sei der Augenblick gewesen, in dem Irving aufhöre, sich selbst zu spielen. "Was bleibt dann übrig, eine reine Hülle, oder jemand, der einen inneren Konflikt austrägt? Wo verläuft die Grenze zwischen aggressivem Selbstbewusstsein und kindischer Angst? Beides findet ja im selben Teil des Gehirns statt, im Hypothalamus. Diese Anstrengung, das, was in seinem Hypothalamus vor sich geht, unter Kontrolle zu behalten, versuche ich zu zeigen."

Man könnte Timothy Spall für einen Aristokraten halten, wie er im Maßanzug in seinem Hotelsessel sitzt und Auskunft über die Schauspielerei gibt, wäre da nicht der unverwechselbare Südlondoner Akzent. Den kann er natürlich abschalten, wenn die Rolle es erfordert. Aber wenn Spall normal spricht, dann ist er ein Cockney, in einer Sozialsiedlung aufgewachsen als Sohn einer Friseuse und eines Postbeamten. Schon während der Kindheit im Stadtteil Battersea war er fasziniert von der Idee, in andere Menschen zu schlüpfen. "Ich habe eine sehr eklektische Wahrnehmung. Ich stibitze Dinge und Ideen wie eine Elster." Für die Rolle, die ihn einem breiten Publikum bekannt machte - der hinterlistige Wormtail in "Harry Potter" - orientierte er sich zum Beispiel an Peter Lorres tierhaftem, in die Ecke gedrängten Mörder in "M" von Fritz Lang. "Eine der kleinsten Rollen, die ich je gespielt habe, und ausgerechnet die hat mich weltberühmt gemacht."

Seine markante, etwas hamsterartige Physiognomie und die früher eher untersetzte Statur (in letzter Zeit hat er stark abgenommen) zeichneten nach Spalls Ausbildung an der Royal Academy of Dramatic Art den Weg ins Charakterfach vor. Obwohl er während der Siebzigerjahre seine Laufbahn, wie in England üblich, in Shakespeare-Produktionen am Theater begann, waren es Fernseh- und Filmrollen, die ihn besonders interessierten. Nach einem Kurzauftritt im Musikkultfilm "Quadrophenia" folgten zahllose Nebenrollen. Erste größere Bekanntheit erlangte er mit der BBC-Serie "Auf Wiedersehen, Pet", in der er einen redseligen nordenglischen Elektriker auf Montage in Düsseldorf spielte. Solche vom Leben überforderten Typen gehören ebenso zu seinem Repertoire wie boshafte Gestalten.

Er spielt gern historische Figuren: Winston Churchill, William Turner oder Albert Pierrepoint

Mike Leigh nahm Spall in den Achtzigerjahren in das lose Ensemble von Darstellern auf, die er in seinen Filmen immer wieder einsetzt. Als Aubrey, der Restaurantgründer in Leighs "Life is Sweet", verbarg er mit ständiger Aufgekratztheit die Unsicherheit dieses Mannes: "Er wusste selbst nicht, was seine eigentliche Persönlichkeit, sein eigentlicher Charakter war." Leigh ist auch der Regisseur, dem Timothy Spall seine bisher bedeutendste Hauptrolle verdankt, William Turner in der großartigen Filmbiografie des Malers. Spall gewann die Goldene Palme in Cannes für seine vielschichtige Darstellung eines Mannes der, wie er sagt "der Antagonist seiner eigenen Existenz" war". "Er ist die Verkörperung des Erhabenen, der Spannung zwischen dem Instinkt und dessen Sublimierung in der Kunst." Bei der Arbeit an Turner sei ihm klar geworden, wie viel Malerei und Schauspielerei gemeinsam hätten: "Ein Maler verwendet einen Pinselstrich, um ein Gefühl einzufangen. Der Schauspieler nutzt abstrakte Gefühle, um etwas darzustellen."

Zum Charakterkern seiner Rollen vorzustoßen betrachtet Timothy Spall als seine wichtigste Aufgabe. Besonders, wenn es darum gehe, nicht-fiktionale Charaktere zu zeichnen, dürfe man sie nicht von außen, sondern von ihrer eigenen Warte aus betrachten. "Ich muss aber noch weitergehen und sie in einer Weise analysieren, wie das nur wenige mit sich selbst tun. Hier kann ich dann wieder objektiv werden, und die Psychologie betrachten, aus der ihre Haltung entspringt. Ich suche nach Anhaltspunkten dafür, warum sich jemand auf eine bestimmte Weise verhält."

Es gehe nie darum, einen Menschen einfach zu imitieren

Das gilt auch für David Irving. Dessen Ansichten als Holocaustleugner seien für die meisten Menschen zutiefst verletzend und beleidigend. Gerade deshalb sei es besonders wichtig, die Komplexität hinter einer solchen Figur herauszuarbeiten: "Man muss seine persönliche Meinung irgendwo parken und sich das Ganze möglichst objektiv ansehen."

Timothy Spall hat immer wieder historische Figuren gespielt, von John Polidori in "Gothic" über Winston Churchill in "The King's Speech" bis zu Scharfrichter Albert Pierrepoint in "The Last Hangman". Demnächst wird er in "The Journey" als nordirischer Protestantenführer Ian Paisley zu sehen sein. Natürlich habe man in solchen Fällen immer eine Verantwortung, vor allem gegenüber den Familien. "Bei Paisley zum Beispiel war es mir wichtig, dass seine Frau sieht, dass ich versucht habe, so gut es mir möglich ist, ein ehrliches Porträt dieses Mannes zu zeichnen." Der Unterschied bei Irving sei, dass er der erste Mensch ist, den Spall noch zu dessen Lebzeiten gespielt hat.

"Das Leben ist ein Wust von Gefühlen, in dem man nur ab und zu dem Verstand begegnet."

An den Prozess, den Irving gegen die Historikerin Deborah Lipstadt und ihren Verlag anstrengte, erinnert sich Spall gut: "Es hat mich damals fasziniert, dass jemand, der so sehr die Aura eines wirklichen Experten hat, solcher Lügen bezichtigt werden kann. Er war viel in den Nachrichten. Aber ich war zu beschäftigt, als Vater und als Schauspieler, um mich mit den Details zu beschäftigen. Als das Drehbuch kam, hat es mich gewundert, dass es noch keinen Film über das Thema gab."

Wie immer sah Spall sich Archivmaterial an, um Irvings Auftreten und Sprachduktus kennenzulernen. Es gehe dabei nie darum, einen Menschen einfach zu imitieren. Man müsse vielmehr bestimmte Gewohnheiten und Manierismen nutzen, um "wie ein Detektiv darauf zu schließen, was das eigentlich für ein Mensch ist".

Timothy Spall hält es für ein Geschenk, gerade jetzt, mit bald sechzig, schwierige Hauptfiguren wie Turner und Irving angeboten zu bekommen: "Wenn man mehr Zeit hat, kann man mehr über eine Figur nachdenken, kann man gleichzeitig weniger tun, weil sich die Facetten des Charakters allmählich entwickeln lassen." Er sei als Schauspieler jetzt da angekommen, wo er alle Affektiertheit hinter sich gelassen habe. "Je älter ich werde, desto mehr wird mir klar, dass das ganze Leben ein riesiger Wust von Gefühlen ist, in dem man nur ab und zu mal dem Verstand begegnet", sagt er. "So geht es auch allen Figuren, die ich spiele."

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