Thronjubiläum von Elisabeth II.:Kalte Mutter der Nation

Die Stürme und Wirrnisse der Welt, der Politik, des Lebens mögen wechselhaft sein. Elisabeth ist es nicht. Warum die Briten ihre Queen lieben, ist relativ einfach: Sie ist die Verkörperung ihrer Nation.

Bernd Graff

Sie ist immer da. Sie ist die kalte Mutter. Aber sie ist immer da. Sie ist der Fels in der Brandung. Sie ist - darüber wird noch zu reden sein - die britische Flagge als Körper einer Frau. Sie ist der Körper der Nation.

Königin Elisabeth II.

Elisabeth ist Britannien. Ein nicht gewähltes, ein nicht politisches Symbol für ihr Land.

(Foto: DPA)

Elisabeth II. wurde am 21. April 1926 in Mayfair, London, geboren als Royal Highness. Seit dem Tod ihres Vaters Georg VI. am 6. Februar 1952 und ihrer anschließenden Proklamation ist sie Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, dazu Staatsoberhaupt der Commonwealth-Königreiche und Oberhaupt der Anglikanischen Kirche und Verteidigerin des Glaubens (Fidei Defensor).

Elisabeth ist Britannien. Ein nicht gewähltes, ein nicht politisches Symbol für ihr Land. Die Stürme und Wirrnisse der Welt, der Politik, des Lebens, der Zeitläufte mögen wechselhaft sein. Elisabeth ist es nicht. Sie ist da. Darum der Vergleich mit der Flagge.

Wer in den Vereinigten Staaten den demokratisch gewählten Politiker Barack Obama verunglimpft, ist sich der Zustimmung gewiss all jener, die ihn nicht gewählt haben. Wer aber in den Vereinigten Staaten die Stars and Stripes, die US-Flagge, verunglimpft, schändet, entzündet - der verunglimpft: The Nation. Diesen Part, The Nation zu sein, den verkörpert Queen Elisabeth für die Briten.

"Die Zeit läuft nicht gegen den König"

In einer sehr hellsichtigen Studie zur politischenTheologie des Mittelalters, "Die zwei Körper des Königs", hat Ernst H. Kantorowicz dargelegt, dass zum Glauben einer Nation die Idee der Universitas gehört: die Vorstellung von einer Gemeinschaft, von einem Volk, das nie stirbt. Tatsächlich stammt der Ausdruck: "The King's Two Bodies" einem Rechtssatz elisabethanischer Kronjuristen, die dem Körper zwei Körper zuschrieben: den natürlichen, sterblichen, und einen übernatürlichen, politischen, nationalen, der wie jener der Engel niemals stirbt.

Um eben die Handlungsfähigkeit dieses politischen Körpers zu gewährleisten, gehört in monarchischen Systemen zu der Universitas der "rex qui nunquam moritur", der König, der nie stirbt. Man erinnert sich: Der König ist tot. Lang lebe der König! Das meint nichts anderes. Der menschliche Körper eines Königs ist sterblich, aber sein Amt, seine Funktion, das Königtum gehen immer weiter. Es darf nicht unterbrochen werden. Dazu hält man an der Fortsetzung von Dynastien fest und glaubt an die Unsterblichkeit der Königswürde.

"Die Zeit", so heißt es weiter, "läuft nicht gegen den König." Darum findet sich auf zahlreichen Münzen und Medaillen des 16. Und 17. Jahrhunderts neben den Porträts von Königen auch ein Emblem des mythischen Vogels Phoenix. Sola Phoenix ist im 16. Jahrhundert auf britischen Münzen zu lesen oder auch Unica Phoenix. Mit dem Zusatz: Ex cineribus - aus der Asche. Der aus der Asche auferstehende Vogel symbolisiert diese auf Ewigkeit bestimmte Fortdauer des Königtums.

Genau wie der Eid, den nicht der König bei seiner Krönung leistet, sondern der, der ihm geleistet werden muss: Man schwört auf König und Krone. Also auf die aktuelle Person wie auf die Institution. Seit Papst Innozenz III., also seit dem Ende des 12. Jahrhunderts, ist es verboten, einen Angriff gegen den König zu führen oder eine Verschwörung anzuzetteln, weder gegen die Person noch die Krone. Insofern ist der Zustand der Krone gleichzusetzen mit dem Zustand der Nation. Denn die muss immer weiterleben. Und darum ist Elisabeth noch am Todestag ihres Vaters Georg VI. vom Thronfolgerat zur Königin proklamiert worden, obwohl ihre offizielle Krönung erst 16 Monate später stattfand, am 2. Juni 1953, in der Westminster Abbey.

Aus diesen Grunden ist die Monarchin Elisabeth nicht nur eine Angelegenheit von Monarchisten und ihrer Exegeten. Sie ist eine nationale Angelegenheit. Man muss die Royals nicht mögen, man kann ihr menschliches Verhalten deuten, man kann zu ihnen Stellung beziehen. Aber das britische Königshaus bringt die britische Nation zusammen. Ihre offiziellen Angelegenheite, Trauerfeieren und Hochzeiten bewegen die Nation.

Die öffentliche Anteilnahme am Tod Dianas und die öffentliche Begeisterung für die Hochzeit von Kate und William sind Ausdruck von nationaler Verbundenheit. Und weil die Windsors das Commonwealth schon in vierter unmittelbarer Generation regieren - den abgedankten Eduard VIII. nehmen wir aus, verkörpert Elisabeth auch die jüngere Geschichte der Insel: Die Windsors führten Großbritannien durch die beiden Weltkriege, nicht als Feldherren, sondern als Erste Bürger ihrer Nation. Elisabeth etwa ließ sich während des Zweiten Weltkriegs zur Automechanikerin ausbilden, um im Rahmen des Auxiliary Territorial Service aktiv ihren Militärdienst an der Heimatfront zu tun. Als erstes Mitglied der Royals übrigens.

Vowürfe nach dem Tod Dianas

Natürlich ist die Queen formal Staatsoberhaupt, aber sie ist zur Neutralität dem Parlament gegenüber verpflichtet: Ihre alljährliche Queens Speech im britischen Oberhaus allerdings ist eine von der Regierung geschriebene Thronrede. Ihre politischen Ansichten sind - wie fast alles - Elisabeths Privatsache und nicht Gegenstand von öffentlichen Bekundungen. Wenn sie sich politisch äußerst, dann zu Fragen der Einheit der Nation.

Man hat dieser Galionsfigur des British Empire 1997 Vorhaltungen gemacht, dass sie sich zuerst nicht angemessen nach dem Tod Dianas, der Ex-Gattin ihres Sohnes Charles, verhalten habe, dass sie ihren traditionellen Familien-Urlaub nicht unterbrach. Dann aber kippte die Stimmung der Briten wieder ins Positive, als sie sich in London zeigte, als sie den Buckingham Palace auf Halbmast beflaggen ließ und in einer Fernsehansprache zu ihrer Nation sprach. Unvergessen ist auch ihre Verbeugung vor dem vorbeiziehenden Sarg der Ex-Schwiegertochter.

Sie bewahrt Contenance, es sind stets kleine Gesten wie ihr Winken, auch die Verbeugung. Ihr immer gezügeltes Temperament, das Abschalten von persönlicher Empfindung, ihre anscheinende Regungslosigkeit sind gleichzeitig Ausdruck von unverbrüchlicher Solidität und Konstanz wie von absichtsvoller Undurchschaubarkeit.

Kein Staatsoberhaupt, das lustiger modisch gekleidet ist

Es ist ihr Job, keine Gefühle zu zeigen. Elisabeth ist zuerst Königin, die einen Throneid geschworen hat, nicht Mensch, nicht Person. Das Felsenhafte zeigt sich auch darin, dass sie als Mensch hinter Funktion und Repräsentanz verschwindet. Man muss sich das klarmachen: Die Frau, die gerade ihr 60. Thronjubiläum begeht, die nie abdanken wird, hat ihr öffentlich wahrnehmbares Leben ganz in den Dienst dieses Königinnendaseins gestellt. Es ist ihr Menschenleben, das sie so verbracht hat. Die Queen ist 86.

Es gibt kein Staatsoberhaupt, das mehr gereist ist, das mehr Orden verliehen hat, das lustiger modisch gekleidet ist als die Hut- und Henkeltaschendame. Sie ist Pflicht in allen ihren - auch schrillen - Farben. Aber mein Gott! Sie ist ja auch Königin, sie muss anders angezogen sein als die weiblichen Mitglieder ihrer Familie, die sich oft zu Garderobenständern von Luxusmarken machen. Muss? Ja, denn nach Elisabeths Selbstdefinition von Königinsein darf sie sich nicht gemein machen - selbst, wenn sie Gummistiefel trägt (was aber nur heimlich fotografierende Paparazzi herausgefunden haben).

Was also die Briten an Elisabeth so schätzen, ist, dass sie zum einen so lange so gleichmütig da ist. Zum anderen, dass sie über-britisch ihr Britentum verkörpert. Die Königin lebt. Lang lebe die Königin! Das gilt aus genannten Gründen. Auch für Nicht-Monarchisten.

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