Thriller :Routine Sperrfeuer

Lesezeit: 4 min

"Prime Cut" von Alan Carter möchte besonders hart und böse sein - aber das geht gründlich schief.

Von Nicolas Freund

Zuerst denken alle, dass es die Haie waren. Eine Kleinstadt im australischen Outback: Hopetoun - ausgesprochen nicht wie Hopetown, sondern mit angedeutetem "o" und als habe man alle anderen Vokale verschluckt: Hoptn. Dank der boomenden Nickelmine stehen neuerdings Strandvillen und Yachten an der Südpolarmeerküste. Die Polizeistation ist ein Container neben dem Gemeindezentrum und das nächste Krankenhaus ist eine gute halbe Stunde mit dem Auto entfernt. Wenn man schnell fährt.

Vom Strand aus kann man mit etwas Glück spielende Seelöwen und Delfine beobachten, obwohl die Delfine eigentlich zwei Haie sind und der Seelöwe nur noch ein Brocken Fleisch. Alan Carters Erzähler ist böse: Dem Leser wird eine heile Welt vorgeführt, nur um diese dann kippen zu lassen wie eine optische Täuschung. Aus den weiß-roten Vereinsfarben eines Fußballtriumphes wird ein Blutbad im Familienwohnzimmer, und der geschundene Seehund verwandelt sich in einen menschlichen Rumpf - ohne Arme, ohne Beine, ohne Kopf -, der am Strand von Hopetoun im groben Sand liegt.

Ein paar Mal schon versagte der Detective - das erste Mal als Kind, beim Klavierspielen

Schnell wird klar: Auch die Haie sind für den Mord nicht verantwortlichen zu machen. Der südafrikanische Gerichtsmediziner sieht sofort, dass mindestens der Kopf des Toten mit einem scharfen Werkzeug entfernt wurde. Die paar Outback-Polizisten um Detective Cato Kwong und seine Kollegin Tess Maguire kümmern sich sonst nur um Raser, Säufer und Tierquäler. Wenn überhaupt etwas passiert. Nach dem Wirtschaftsboom scheint jetzt für die kleinen Cops die große Bewährungschance gekommen zu sein.

"Rufen Sie die Polizei!" (Foto: Hans Hillmann/Avant-Verlag)

Denn dieser Cato hatte es eigentlich schon ein paar Mal fast bis ganz nach oben geschafft: Erst als Teenager im Klavierspiel. Damals versagte er, trotz Talent, beim Vorspiel kläglich. Dann war er als angehender Detective, Nachfahre eingewanderter Asiaten, das Gesicht einer landesweiten Diversitäts-Werbekampagne für den Polizeidienst und wurde von seinen Vorgesetzten entsprechend hofiert. Auch diese Chance setzte er allerdings mit einem fahrlässig falschen Ermittlungsergebnis spektakulär in den heißen australischen Sand. Inzwischen gibt er sich mit einem guten Kaffee zufrieden, aber selbst den aufzutreiben, gelingt ihm nur selten. Sein Job in Hopetoun ist eigentlich beim Viehdezernat, nicht bei der Mordkommission. Er soll kontrollieren, dass die Schafe und Rinder auf den umliegenden Farmen artgerecht gehalten werden. Werden sie in diesem Roman übrigens durchweg nicht, aber das ist nur einer der kleineren Abgründe, in die der Text blickt.

"Prime Cut" ist der erste von inzwischen drei Thrillern um diesen verlorenen Detective Cato Kwong, und er erzählt gleich von zwei Kriminalfällen: 35 Jahre bevor der gliederlose Torso in Westaustralien an den Strand gespült wird, steht der Polizist Stuart Miller im weit entfernten England fassungslos vor den brutal zugerichteten Leichen einer jungen Mutter und ihres kleinen Sohnes. Den Täter, den Ehemann, fasst er nie. Aber der Fall lässt ihn auch nie los. Bis er, inzwischen im Rentenalter, in Australien selbst die Ermittlungen wieder aufnimmt. Durch einen Zeitungsartikel meint er, auf eine neue, die richtige Fährte gekommen zu sein.

Diese zweite Krimihandlung schwebt merkwürdig über dem eigentlichen Plot um den Toten am Strand. Parallel zu den Ermittlungen von Detective Cato ist der alte Miller dem Täter von damals auf der Spur, den es offenbar, wie ihn selbst, von England ans andere Ende der Welt verschlagen hat. Die Fälle scheinen miteinander nichts zu tun zu haben, aber dann kreuzen sie sich doch, als es einen weiteren Toten gibt - was die beiden Verbrechen aber nur noch undurchschaubarer werden lässt.

Alan Carter: Prime Cut. Aus dem Englischen von Sabine Schulte. Edition Nautilus, Hamburg 2015. 368 Seiten. 19,90 Euro. E-Book 17,99 Euro. (Foto: N/A)

In die zwei Ermittler, Cato und Miller, hat Alan Carter seine eigene Biografie einfließen lassen. Wie die Figur des deutlich älteren Miller emigrierte er vor fast 25 Jahren von England aus freiwillig nach Australien. Wie Cato scheint er im australischen Hinterland ein Fremdkörper zu sein: denn wer hier Polizeidienst schiebt, wird Carter nicht müde festzustellen, den hassen seine Vorgesetzten. Und wer auch noch einen englischen Akzent hat - also Hopetown und nicht Hoptn sagt -, der fällt erst recht auf.

Carter selbst ist hauptberuflich Dokumentarfilmer. Und das Filmische merkt man seinem Roman an. Ein visueller Refrain von Rot und Weiß zieht sich durch das Buch und die Kapitel reiht Carter wie im Schneideraum aneinander, oft ein Motiv aus der vorangegangenen Szene wieder aufgreifend oder den Dialog scheinbar im nächsten Kapitel weiterlaufen lassend: Das ist rasant, sorgfältig arrangiert und sorgt mit viel Sarkasmus des Erzählers für einen harten Ton, als meine Carter, allen anderen Thrillerautoren da draußen mal zeigen zu müssen, was eigentlich abgeht. Das schafft auch die deutsche Übersetzung wiederzugeben, obwohl sie zwangsläufig etwas das Tempo rausnimmt. Ganz hält Carter diesen Sound aber nicht durch über die 350 Seiten seines ersten Romans.

Irgendwann wird er von den Weltproblemen schwer belastet, die er sich, neben der gedoppelten Krimihandlung, aufgeladen hat: die Schattenseiten der Globalisierung, Polizeikorruption, Alltagsrassismus und der Ursprung aller Gewalt - der bei Carter stets in der Kindheit liegt. Alles wird exemplarisch an seinen Figuren durchgespielt: Cato muss sich anhören, warum er denn trotz der offensichtlichen äußeren Ähnlichkeiten sich nicht mit den chinesischen Gastarbeitern verständigen kann. Seine Kollegin Tess ist nach einem Überfall völlig traumatisiert, verrichtet aber weiter Dienst, als sei nichts vorgefallen, während zu Hause die Teenager-Tochter ins Drogenmilieu abrutscht.

Der Leser fühlt sich bald, als müsse er unter Sperrfeuer mit Marschgepäck einen Stacheldrahtparcours überstehen. Zumal Carter seinen bösen Stil schnell der Routine opfert. Ein Thriller, der härter, böser, brutaler als alle anderen sein wollte, ist dann doch wie alle anderen geworden.

© SZ vom 14.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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