Neu im Kino: "Nerve":Mit einem Kuss zwischen Fremden beginnt das Spiel

Kinostart - 'Nerve'

Vee (Emma Roberts) aktiviert das virtuelle Spiel durch einen Kuss.

(Foto: Studiocanal)

Im Thriller "Nerve" lassen sich zwei Jugendliche ein auf gefährliche Mutproben zwischen der digitalen Welt und den realen Straßen New Yorks.

Filmkritik von Doris Kuhn

Anfangs stapft das Mädchen mit dem schönen Namen Venus durch ein Diner, wild entschlossen, irgendwen zu küssen. Hinter den ersten Ekelgestalten sieht sie einen jungen Kerl, der zufällig ihr Lieblingsbuch liest. Sie geht an seinen Tisch, ignoriert ihre Angst, dann küsst sie den Jungen auf den Mund. Ein Kuss zwischen Fremden, das hat hier so viel Erotik, dass die Züge der Teenager ganz sanft werden.

Venus, kurz Vee, ist ein Mädchen aus Staten Island, blond und schüchtern. Sie hat mit diesem Kuss das Computerspiel "Nerve" begonnen, das seine Nutzer einteilt in Zuschauer oder Mitspieler. Wer spielt, muss Mutproben bestehen, ausgewählt von denen, die bloß zusehen. Die Aufgaben werden per Smartphone mitgefilmt: Ein intimer Moment von Mut oder Peinlichkeit wird öffentlich gemacht, das ist der Reiz des Spiels. Vee ließ sich zum Spielen provozieren, also muss sie jetzt auch auf das Motorrad von Ian, dem Fremden aus dem Diner. Die beiden donnern raus aus der sicheren Zone ihres Vororts, über die Brücken Richtung Manhattan, und alles, was ein Teenager-Abenteuer ausmacht - Ausbruch, Adrenalin, Romantik - donnert mit.

Die entstehende Liebe wird torpediert mit Verrat

Das Spiel bleibt lang charmant: In Manhattan verlieren Vee und Ian ihre Kleider, fliehen in Unterwäsche, bekommen dafür schicke Fummel geschenkt. Dann gibt es Aufgaben zum gegenseitigen Vertrauen, die erneut die Erotik zelebrieren, denn was könnte erotischer sein als sich gegenseitig aus Gefahren zu retten. Aber die sich anbahnende Liebe wird torpediert mit Verrat, und die Mutproben, die das Online-Publikum verlangt, verändern sich. Die Sensationslust der einen steigert die Bedrohung für die anderen, am Ende übernimmt der reine Blutdurst. Die wahre Gefahr liegt in der Zügellosigkeit des Publikums, das weiß man ja aus jedem zweiten Martial-Arts-Film.

Die Teenager jedoch verfügen über unerwartete digitale Gerissenheit, und genau wegen solcher Ideen ist das Genre interessant. Teen-Filme verweisen auf die vorderste Front der Gegenwart, dort sieht man am besten, wie weit das Digitale die Realität vereinnahmt hat. Vieles ist bekannt: Wie Pokémon-Go holt "Nerve" seine Nutzer live auf die Straße. Oder: Nur Eingeweihte können sehen, was Eingeweihte tun. Ungewohnt aber ist, wie hier das Darknet in tragender Rolle vorkommt. Ohne Zuweisung ans Böse wird äußerst schick gezeigt, dass Darknet-Nutzer nicht bloß Waffenschieber sind, sondern manchmal eben Profis unter Zwanzig mit einem Hang zum ungestörten Experiment.

Bei der Umsetzung der digitalen Parts auf die Leinwand gelingt den Regisseuren Henry Joost und Ariel Schulman noch ein Kunststück: Sie verweben die digitale und die reale Welt über langen, glitzernden New-York-Totalen. Überhaupt nimmt die Stadt großartig am Spiel teil, nicht nur Manhattan, vor allem Staten Island - die Wohnblocks, die Fähre, die Referenzen an den Wu-Tang-Clan, ist alles da. Wurde auch mal Zeit für eine Liebesbezeugung an diese Nachbarschaft!

Nerve, USA 2016 - Regie: Henry Joost und Ariel Schulman. Buch: Jessica Sharzer nach dem Roman von Jeanne Ryan. Kamera: Michael Simmonds. Musik: Rob Simonsen. Mit Emma Roberts, Dave Franco, Juliette Lewis, Marc John Jefferies, Machine Gun Kelly. Studiocanal, 96 Minuten.

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