Theaterpremieren Dresden:Nervöse Eheleute und alte Meister

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Saisoneröffnung am Staatsschauspiel Dresden: Ingmar Bergmans "Szenen einer Ehe", Thomas Bernhards "Alte Meister" und "Mein Herz ist rein", eine Uraufführung von Martin Heckmanns.

Von Helmut Schödel

Die Ehe hat so ihre Seiten, das wissen selbst Singles. Aber die Lage scheint sich ad absurdum zuzuspitzen: "Männer und Frauen lassen sich häufiger scheiden, als dass sie heiraten", berichtet die Sächsische Zeitung in einer Theaterkritik über Ingmar Bergmans "Szenen einer Ehe", die als schwedische Fernsehserie, als internationaler Kinoerfolg und auch längst in einer Theaterfassung einem großen Publikum geläufig und jetzt im Kleinen Haus des Staatsschaupiels Dresden in der Regie von Thomas Jonigk zu sehen sind. Geschlechterkampf im Mittelstand, Befürchtetes und Selbsterlebtes aus der Welt der Paarbeziehung. Nach vier Jahrzehnten so klassisch wie Strindberg.

Dem Klassiker hat man nun ein neues Stück von Martin Heckmanns beigestellt, uraufgeführt von dem jungen russischen Regisseur Evgeny Titov in einer ehemaligen Kapelle des Stadtschlosses. "Mein Herz ist rein" konfrontiert uns wieder mit dem Elend mittelständischen Ehelebens, seinen vertanen Chancen, bröckelnden Fassaden und einem Alltag, in dem Moral nur noch als Folge von Frustration auftaucht. Erschwerend hinzu kommt heutzutage das Internet, das mit seinem Öffentlichkeitsanspruch dem trauten Heim und der Nestbildung im Schutz von Gardinen und vor elterlichen Machtansprüchen in die Quere kommt. Noch aufgebrachter als früher sind sie jetzt.

Zum Beispiel das Ehepaar Blomberg. Hanne (Christine Hoppe) ist eine katholische Steuerberaterin und träumt von Regeln. Ihr Mann, Gymnasiallehrer für Deutsch und Musik (Lars Wellings), ist ein weinseliger Pantoffelheld, stets bemüht, den Haussegen zu retten. Hanne hat auf dem Computer ihrer Tochter Marie (Alisa Elsner) ein Video entdeckt, dass sie bei erotischen Spielen mit ihrer Clique auf einer Almhütte zeigt. Deshalb bitten die Blombergs die anderen Eltern zu einem Gespräch. Ludger (Holger Hübner) ist Bioenergetik-Therapeut und führt eine offene Beziehung mit einer Frau, die eine Soul-Band mit wechselnden Musikern und deutschen Texten hat und erst gar nicht erscheint. Wolfgang (Philipp Lux), der Eventmanager, tauscht laufend seine zu jungen Frauen aus. Wahrscheinlich wäre er am liebsten selber auf der Berghütte, und Ludger hätte lieber die Interneterfahrungen seiner Kinder statt die ewige Fliege am Hals.

Im Schauspielhaus wird renoviert: neue Technik, andere Bestuhlung, überall wird gebaut

Das Staatsschaupiel Dresden beschäftigt sich in dieser Spielzeit zu einem Teil mit Ehe- und Familienthemen, ganz besonders mit Stoffen über die Zukunft Europas und mit Menschenbildern, wie sie sich in autoritären Systemen entfalten. Peter Handkes "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten" wird mit Dresdner Bürgern auf dem Theaterplatz stattfinden. Man wird "Jeder stirbt für sich allein" nach dem Roman von Hans Fallada und "Hiob" nach Joseph Roth zeigen.

Nach dem Weggang von Wilfried Schulz an das Düsseldorfer Schauspielhaus ist der bisherige Betriebsdirektor Jürgen Reitzler Interimsintendant für dieses Jahr, Chefdramaturgin ist Beate Heine. Sie sitzen auf einer Baustelle. Bis Ende Oktober wird das Schauspielhaus renoviert, neue Technik, andere Bestuhlung, überall wird gebaut, und so hat man sich Spielorte in der Stadt gesucht, wie das Schlosstheater zum Beispiel.

In Dresden Theater zu machen, ist angesichts der politischen Verhältnisse eine besondere Aufgabe. Elbflorenz hat in der Öffentlichkeit durch die Pegida-Aufmärsche viel an Glanz verloren, ein gebastelter Galgen gegen die Demokratie hat in den Medien mehr Aufmerksamkeit erregt als die Proteste dagegen. Dabei ist man sehr wachsam. "Die kommen jetzt aus dem Urlaub zurück", warnt ein Passant. Das Theater erreichen Anfeindungen über E-Mail. Was also tun? Man reagiert professionell und legt einen streitbaren Spielplan vor.

"Mein Herz ist rein", das Stück mit den nervösen Eheleuten, war ein Premierenerfolg. Eine ganze Weile lang war es auch wirklich komisch, und man konnte über die Karikaturen aus dem bürgerlichen Heldenleben herzlich lachen. Der ausrastende Therapeut entwickelte sich selber zum Fall. Oder Steffi (Henriette Hölzel) , die junge Geliebte des Eventmanagers: Wie die kleine Frau mit Betty-Davis-Augen ihre grauslige Handtasche, eingehängt im Ellenbogen, herumträgt, unter ihrer Langhaarfrisur ein breites Dauerlächeln gegen jede Art von Konflikt - das hält eine ganze Zeit bei Laune. Aber dann schreitet der Gott des Gemetzels ein, die Sache eskaliert, es kommt zu Balgereien, und der verspritzte Rotwein sieht aus wie Blut unter dem schwarzen Holzkreuz an der Wand.

"Wir lernen nur durch Leiden, schreibt Ernst Jünger." Das ist der Kommentar des Deutschlehrers, und ein Anderer warnt: "Dieses System ist am Ende." Auf einmal wird es furchtbar ernst. Wolfgang liegt traurig in der Ecke, sein verpfuschtes Leben haut ihn um. Und Marie kommt von der Alm zurück und beschwört die Liebe. Ihre Freundin Klara hat es ihr angetan. Jetzt bekommen die kleinlichen Wohlstandsprobleme dieser Leute auf einmal Gewicht. Und jetzt kann man eigentlich gar nicht mehr lachen. Aber da sagt der Deutschlehrer: "Wir schaffen das." Wer da nicht lacht, hat die letzten Monate verschlafen. Die Bühne von Anne-Alma Quastenberg, eine Gummizelle in Weiß, hat das schlichte Konversationsstück durch die Symbolik fast ruiniert. Es war eine Vorverurteilung der Personen von Anfang an.

Reger ist einer dieser notorisch nörgelnden Geistesköpfe Thomas Bernhards

Am nächsten Tag war wieder Montagsdemo in Dresden, Pegidazeit. Für viele ist das schon Routine. Dass der Stadtspaziergang am Bahnhof begann, wussten die wenigsten. Auf dem Theaterplatz zwischen Semperoper, Schloss und Zwinger, wo die Demonstranten früher ihre fürchterlichsten Auftritte hatten, tauchten sie nicht auf. Dort wird in der Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen ein Abend nach einem Roman von Thomas Bernhard gezeigt: "Alte Meister".

Es ist ein langer Weg durch die Bildersäle bis zu jenem Raum, in dem Reger sitzt, das Musikgenie, das monatlich für die New York Times schreibt. Jeden zweiten Tag sitzt er seit über dreißig Jahren im Kunsthistorischen Museum an demselben Platz vor einem Bild von Tintoretto. Reger ist einer dieser notorisch nörgelnden Geistesköpfe Bernhards. Mit Hut, Mantel, Brille, die Hände in den Taschen seiner Anzughose, lässt er auf der gepolsterten Bank die Zeit vergehen. Stifter, Bruckner werden zerlegt, aber Heidegger stört ihn besonders, dieser "nationalsozialistische Pumphosenspießer". Albrecht Goette spielt den bärtigen Alten fast bewegungslos. Reger hat nicht so sehr etwas Dämonisches, er wirkt eher eingeschränkt vom Tunnelblick des Monomanen. Sein Freund Atzbacher (Ahmad Mesgarha), der Museumswärter Irrsigler (Herbert G. Adami) und ein Engländer (Frank Siebenschuh), der behauptet, das gleiche Tintoretto-Bild schmücke die Wand seines Schlafzimmers in Wales, spielen mit Verve gegen das Denkmal auf der Bank an und gegen die Geister der Alten Meister im Haus.

Das Stück hat in Dresden seinen rechten Ort gefunden und wird sicher ein Erfolg. Für den Treff danach gibt es gleich ums Eck ein besonders passendes Restaurant. Es heißt "Alte Meister".

Theater in Dresden nach Wilfried Schulz. Man hat wohl begriffen, dass man den Tempomaten jetzt neu einstellen und beschleunigen muss. Wenn der Umbau fertig ist, kann es dann richtig losgehen.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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