Theater:Zu brav, abtreten!

Peter Konwitschny steht im Ruf, aus Operetten radikale Kunst zu machen. Doch sein "Tapferer Soldat" am Gärtnerplatztheater in München enttäuscht.

Von Henrik Oerding

Es war ein Skandal: Als der Regisseur Peter Konwitschny die "Csárdásfürstin" an der Dresdner Semperoper als Operette im Schützengraben des Ersten Weltkrieges inszenierte, gab es Stahlhelme zu sehen, tanzende Tote und Hitlerkarikaturen. Das war im Jahr 1999, der damalige Dresdner Intendant ließ Szenen aus der Inszenierung streichen, ein Rechtsstreit folgte. Dieser Ruf - radikal und mutig zu sein - eilt seither dem vielfach prämierten Konwitschny voraus, besonders, wenn er sich Operetten vornimmt .

Entsprechend hoch waren die Erwartungen für Konwitschnys Regiedebüt am Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz mit der Operette "Der tapfere Soldat" von Oscar Straus. Das Werk ist eine Vertonung von George Bernard Shaws "Helden", einer Persiflage auf Heldentum und Kriegsbegeisterung. Oscar Straus verpackt das im Dreivierteltakt, der Komponist ist in Deutschland am besten für seinen "Walzertraum" bekannt.

Die Witze sind anzüglich, Männer tragen Damenhüte, Soldaten schlagen die Hacken zusammen

Der Schauplatz der Handlung ist Bulgarien während des serbisch-bulgarischen Krieges in den 1880ern. Nadina Popoff, ihre Mutter und ihre Dienerin sind allein im Haus, der Vater und sein künftiger Schwiegersohn sind noch im Krieg. Bumerli, ein Schweizer Söldner, sucht im Haus der Popoffs Zuflucht. Statt Patronen hat er nur Schokolade in den Taschen - ein "Chocolate Soldier", unter welchem Namen die Operette in New York und London deutlich erfolgreicher als in Deutschland war. Alle drei Frauen vergucken sich in den Eidgenossen. Die Herren des Hauses kommen zurück, es kommt zu operettenhaften Verwirrungen, man walzt Walzer und am Ende geht alles gut aus.

In Konwitschnys Inszenierung gibt es kein Happy End - aber leider bleibt das die einzige interessante Idee der Regie. Zwei Akte lang ergeht sich alles in Operetten-Seligkeit und seichtem Humor: die Witze sind anzüglich, die Soldaten schlagen wieder und wieder die Hacken zusammen, manche der Männer tragen Damenhüte und einer steht in Unterhose auf der Bühne. Die Ausstattung ist aus einer Hand (Johannes Leiacker), während aber die Bühne in Pastelltönen und mit wenig Kulisse anfänglich eher schlicht ist, sorgen die ausladenden Schnauzbärte und pseudo-historischen Uniformen für eine ordentliche Portion Kitsch.

Der tapfere Soldat

„Der tapfere Soldat“ am Münchner Gärtnerplatztheater.

(Foto: Christian Pogo Zach)

Kopfschmerzen bereitet dafür die aus der Zeit der Uraufführung 1908 übernommene Darstellung von Geschlechterklischees: Männer werden von Frauen angehimmelt, die zwar süße, aber eigentlich dumme Dinger sind. Für Männer öffnen Frauen den Ausschnitt etwas weiter und schauen verführerisch in Kameras. "Ohne Männer hat das Leben keinen Zweck", wie das Anfangsensemble feststellt. Einer Frau ungefragt Küsse aufzudrücken ist auch okay, schon weil sich die Damen dann zuverlässig doch verlieben! Das alles hätte man im Jahr 2018 ironisch brechen, kommentieren, in irgendeiner Weise aufgreifen können. Hier aber passiert nichts.

Natürlich ist das alles Kalkül von Konwitschny, damit sein dritter Akt besser zündet. Relativ überraschend eskaliert die Hochzeit von Nadina und ihrem Verlobten in einem Kriegsgewitter, Bomben und Raketen gehen nieder und bleiben als Kulisse liegen. In der Folge sind alle Protagonisten versehrt, haben versengte Kleidung oder tragen Augenklappen - im Lazarett können Bühne und Kostüme auftrumpfen. Peter Konwitschny greift damit den Geist von George Bernard Shaws anti-militaristischer, satirischer Vorlage auf. Also: "Krieg bleibt immer gleich", nämlich schlecht. Was nicht aktuell wirkt, sondern wie eine Erinnerung an die "Csárdásfürstin".

Doch der Transfer ins Heute funktioniert nicht, auch weil er nicht vorbereitet wird. Plötzlich ist von Drohnen die Rede, ist Bumerli nicht wie im Original ein Hotelerbe, sondern Rüstungsindustrieller, und man fragt sich, ob man plötzlich ein anderes Stück sieht, in dem die Männer mit dem Kriegsgerät spielen wie mit ihren Frauen. Der Humor wird dabei unerträglich: Da rammeln Stoffkaninchen, Nadinas Worte der Erkenntnis über ihren dummen Liebhaber müssen in Slow-Motion gesprochen werden und ein General hat derart nervtötende Atemprobleme, dass man ihm den schnellen Bühnentod wünscht.

Dabei machen die Darsteller eine gute Figur, am meisten kann Sophie Mitterhuber als Nadina überzeugen, sowohl stimmlich als auch schauspielerisch. Die Musik taugt auch heute noch zum Ohrwurm. Das Gärtnerplatzorchester unter Anthony Bramall spielt angenehm leicht, gerade die marschierende Ouvertüre zum zweiten Akt. Bramall lässt sich nur selten vom Pathos des Werkes davontreiben. Dann aber haben Chor und Solisten kaum eine Chance, stimmlich durch das Orchester-Forte hindurch zu dringen.

Am Ende bleibt der Skandal aus, auch wenn Konwitschny sich den vielleicht gewünscht hätte. Dass im Operetten-Genre eine "Make Love, not War"-Thematik noch mutig und kontrovers wirken soll, spricht wohl weniger für die Qualitäten Konwitschnys als für die biederen Erwartungen des Operettenpublikums. Das hat wohlwollend applaudiert.

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