Theater:Wofür das Grauen steht

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Ob das der Rasen ist, der über die Geschichte wachsen soll? Katja Bürkle und Benny Classens suchen auf ihm nach einem Umgang mit den Schrecken der Vergangenheit. (Foto: Lothar Reichel)

Die Regisseurin Karen Breece beschäftigt sich in ihrem neuen Stück "Oradour" mit einem Massaker der Waffen-SS

Von Christiane Lutz

Egal, wie mitreißend ein Theaterprojekt ist, wie wichtig und groß das ist, was man erzählen will, am Ende kommt einem doch immer das Leben in die Quere. Im Falle von Sebastian Mirow die Grippe, die derzeit in der Stadt grassiert und die den Schauspieler derart ausknockte, dass er nicht auftreten kann. Die Regisseurin Karen Breece war ein paar Momente lang schockiert und baute den Abend am Montag kurzerhand von drei auf nur zwei Schauspieler um. An diesem Donnerstag soll Uraufführung von "Oradour", dem neuen Stück von Karen Breece, im Hoch X sein.

"Oradour". Mit dem Begriff ist man schon mitten drin in diesem großen Thema, das der Schauspieler Mirow nun versäumt und das Karen Breece so wichtig ist. Oradour steht, rein historisch betrachtet, für ein Massaker der Waffen-SS im Juni 1944, verübt an den Menschen eines kleinen französischen Dorfes. 642 Menschen wurden ermordet, einige in einer Kirche eingepfercht und in Brand gesteckt. Wer Superlative mag: Oradour gilt als das größte Massaker Westeuropas.

Nun ist die Dachauer Regisseurin Karen Breece bekannt dafür, in ihren Theaterarbeiten Themen anzufassen, die nicht besonders leicht zugänglich sind. In "Welcome to Paradise" erzählten Geflüchtete ihre Geschichte, für "Don't forget to die" holte sie alte Menschen auf die Bühne, die sich mit dem eigenen Tod auseinandersetzen (24. und 26. Februar, Kammerspiele). Die "Dachauer Prozesse" brachten ihr Ärger ein, manche schimpften sie Nestbeschmutzerin, weil sie in dem Stück die Frage stellte, wie ein Alltag in Dachau neben dem Konzentrationslager damals überhaupt möglich war. Sie fand, darüber müsse man doch reden. Genau diese Haltung macht sie zu einer unbequemen, aber zu einer der spannendsten Regisseurinnen der Stadt. Für "Oradour" hat sie zwei Schauspieler gewonnen, die, wie sie, für fordernde, unbequeme Kunst stehen: Katja Bürkle und Benny Claessens, die beide lang an den Kammerspielen waren und nun frei arbeiten.

Karen Breece interessiert sich schon eine Weile für die Geschichte von Oradour. Sie lernte einen Überlebenden kennen und besuchte den Ort bei einem Urlaub in Frankreich. Schnell fing ihr Theaterkopf zu denken an: Wie lässt sich das künstlerisch übersetzen? Wofür steht Oradour überhaupt?

Ihr war klar: Die Schauspieler dokumentarisch ein paar Protokolle der Überlebenden vorlesen zu lassen, das kommt nicht in Frage. Überhaupt: Das Grauen nacherzählen, den Zuschauer dazu bringen wollen, das Grauen selbst zu empfinden, ist unmöglich. Denn wie kann jemand, der es nicht erlebt hat, jemals die Todesangst nachspüren, die die Menschen damals empfanden? Wie fühlt es sich an, das Enkelkind eines Täters zu sein? Keine Chance. "Wir können es nicht verstehen. Man darf es nicht verstehen wollen. Das ist wichtig", sagt Breece zwischen zwei Proben. "Das ist so banal. Erst sind alle betroffen, und danach trinkt man gemütlich Weinchen."

Oradour ist zwar der Name, der auf dem Abend steht, aber er könnte durch jedes andere Grauen ersetzt werden. "Mich interessiert der Umgang mit Geschichte. Und die Frage, wie wir den Umgang für uns so brauchbar machen, dass wir heute was damit anfangen können." Sie will, auch wenn sich das immer so leicht sagt, mit dem Abend einen Bezug zum Leben des Einzelnen herstellen. "Wie reagiere ich im Alltag auf kleine unschöne Situationen? Wo kann ich Zivilcourage zeigen? Was passiert in der Welt, mit dem ich nicht einverstanden bin, mich aber lieber bequem zurücklehne?" Sie weiß, dass das schwierig ist. Je grausamer etwas ist, desto leichter lässt es sich wegschieben. Hat ja mit meinem Alltag nichts mehr zu tun, wenn vor mehr als 70 Jahren Nazis gemordet haben.

Karen Breece hat Unmengen Material zusammengetragen. Sie war mit einer Übersetzerin in Oradour unterwegs, sprach mit Überlebenden, wühlte sich durch Bücher, traf Nachfahren der Täter, von denen ein paar erst durch sie erfuhren, was der Vater getan hatte. Sie entschied sich, eigene Texte daraus zu schreiben. Fiktion, basierend auf der Geschichte. "Ich glaube, über die Fiktion kann man dem Grauen näher kommen." Näher, nicht nah.

Oradour, Uraufführung am Donnerstag, 15. Februar, 20 Uhr, Hoch X, Entenbachstraße 37

© SZ vom 15.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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