Theater:Wo kommen wir eigentlich her?

Schillertage Mannheim

Die eigenen Familiengeschichten, kurz und heftig: Das Ensemble schleppt Erinnerungen auf die Bühne.

(Foto: Christian Kleiner)

Über die Fliehenden fliegen: Zum Abschluss der Mannheimer Schillertage inszeniert der Autor und Regisseur Oliver Frljić mit "Second Exile" sein ganz eigenes Flüchtlingsdrama.

Von Jürgen Berger

Am Ende lässt er sein Bühnen-Double Enes Salcović sagen, er, also Oliver Frljić, danke dem Nationaltheater Mannheim für "Second Exile". Vermutlich schließe er sich mit dieser Inszenierung "den Tausenden Flüchtlingen an, die nach Deutschland kommen". Bei diesem Satz schnauft einer der Zuschauer genervt. Schließlich stammt die Äußerung von einem, der privilegiert reist und seine Lebenssituation nicht unbedingt mit der von Asylsuchenden vergleichen sollte, auch wenn er seine eigene Exilgeschichte verhandelt.

Oliver Frljić, ein in Bosnien geborener Theatermacher, floh während des Balkankrieges nach Kroatien, war Intendant des Nationaltheaters Rijeka und wurde von kroatischen Nationalisten mit dem Tod bedroht. Inzwischen inszeniert er in Deutschland und neuerdings in Polen. Dort sieht er sich aber ebenfalls Anfeindungen ausgesetzt. Auslöser ist die umstrittene Theaterproduktion "Der Fluch" gewesen, in der Frljić mit dem bigotten Katholizismus und dem Nationalismus in Jaroslaw Kaczynskis Polen" abrechnet (SZ vom 9. Juni). In Deutschland dagegen kann er sich sicher fühlen, selbst wenn er - wie vor zwei Jahren am Münchner Residenztheater - mit Waterboarding-Szenen und Publikumsbeschimpfungen provoziert.

Wie also ist es einzuschätzen, wenn sich einer wie Frljić in die große Zahl von Flüchtlingen einreiht, die es nach Deutschland schaffen, dort aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass sie lediglich auf ihre Abschiebung warten dürfen? Er gibt die Antwort selbst und lässt sein Double sagen: Ja, es sei natürlich richtig, dass er die Flüchtlinge in einer Lufthansa-Maschine überfliege. Dieser Kommentar steht für den gesamten Theaterabend, der sich selbst immer wieder ironisch in Frage stellt.

Ein Schauspieler aus Südafrika erzählt von seinem Großonkel. Der gilt als Vater der Apartheid

"Second Exile" ist nach "Heuvolk" die zweite große Eigenproduktion der Mannheimer Schillertage. Sie breitet nicht nur Frljićs Exilgeschichte aus, sondern auch die der Beteiligten. Mit dabei sind der bosnische Schauspieler Enes Salcović, die kroatische Schauspielerin Linda Begonja und fünf Ensemble-Mitglieder des Mannheimer Nationaltheaters: Boris Koneczny, Anne-Marie Lux, Jacques Malan, Hannah Müller, Fabian Raabe. Sie stehen zu Beginn mit jeweils zwei Koffern auf der Bühne. Im Exil reduziert sich der Haushalt der Menschen auf die wenigen Habseligkeiten, die sie tragen können. Weitaus wichtiger sind die Geschichten in ihrer Erinnerung: Geschichten der Ausgrenzung und Flucht, die sich in vielen Familien finden lassen, mit der Zeit aber so variiert werden, dass keiner mehr genau weiß, was Wahrheit und was Fiktion ist. Frljić setzt das in einer Mischung aus epischen Erzählungen und dramatischen Szenen um.

Der Abend startet als Revue, doch irgendwann steht das Ensemble in Kampfanzügen auf der Bühne und es wird ungemütlich. Die Schauspielerin Anne-Marie Lux zum Beispiel erzählt erst einmal, wie es dem Regisseur des Abends, also Oliver Frljić, in Polen erging. Und plötzlich thematisiert sie die eigene Herkunft und meint, ihre Eltern stammten, na ja, jetzt nicht unbedingt aus Polen, aus Schlesien aber schon. Dann breitet sie eine Familiengeschichte aus, die in der Vergewaltigung der Tochter durch den Vater mündet. Das wird kurz und heftig gespielt - egal ob es nun tatsächlich zur Familiengeschichte der Schauspielerin gehört oder nicht.

Gewaltszenen sind ein Markenzeichen Frljićs. Dass er auch ganz anders kann, sieht man, wenn es um die familiäre Selbsterkundung Jacques Malans geht. Frljić inszeniert sie eher behutsam, auch wenn der Schauspieler während des ganzen Abends einen Schattenriss Afrikas als Gepäck auf dem Rücken schleppt. Er entstamme einer Hugenotten-Familie, erzählt Malan, und dass einer der Vorfahren Frankreich wegen der Unterdrückung der protestantischen Minderheit durch die katholische Mehrheit verlassen habe, über Deutschland nach Rotterdam geflüchtet und von dort ans Kap der guten Hoffnung ausgewandert sei. An der Südspitze Afrikas wurde einige Jahrhunderte später Jacques Malan geboren und "lutherisch konfirmiert". Inzwischen allerdings, sagt der Schauspieler, sei er mit einer Iranerin verheiratet und "zwangsläufig Mitglied der islamischen Glaubensgemeinschaft".

Am Ende von "Second Exile" folgt die eigentliche Pointe. Malan erzählt, sein Großonkel, der Theologe Daniel François Malan, sei 1948 zum Premierminister Südafrikas ernannt worden und gelte heute als Vater der Apartheid. Das ist eine der beeindruckenden Geschichten eines auf familiären Erinnerungen beruhenden Abends. Der wird immer dann schwach, wenn Oliver Frljić seine eigene, in Kulturkämpfe mündende Regie-Vita ins Spiel bringt. Man fragt sich, ob dieses Perpetuum mobile der Selbstinszenierung aufgrund von Materialabnutzung irgendwann wohl erlahmt.

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