Theater:Wir sind Alex

Clockwork Orange

Wo ist Alex? In den hautengen Ganzkörpertrikots verstecken sich gleich mehrere Hauptdarsteller.

(Foto: Teamtheater)

In seiner Inszenierung von "Clockwork Orange" im Teamtheater versucht Andreas Wiedermann den Kurzschluss mit aktuellen Problemen

Von Sabine Leucht

Uiuiui, wie genau kommt man von den Schlägertrupps, die Anthony Burgess 1962 durch Londons trostloseste Vorstädte "tollschocken" und "vergewohltätigen" ließ, zu dem Slogan, der einem am Ende von Andreas Wiedermanns "Clockwork Orange"-Inszenierung nachgerade in die Fresse schlägt? "Make Europe great again!" steht plötzlich auf dem Bildschirm, auf dem zuvor Wohlfühlfilmchen voller Delphine und Schmetterlinge Entspannungsbefehle versendet hatten. Denn Wiedermann und sein Theater Impuls haben die Geschichte von Alex und seinen "malenkigen Droogs" ins Jahr 2036 verlegt, wo ein Computer die Menschen mitten in der REM-Phase zur Gymnastik anhält, beim Speeddating die maximalen Übereinstimmungswerte sucht und bei Wohlverhalten "culture credits" verteilt. Derart totalüberwacht, -versorgt und gefühlsbefriedet, das soll wohl die Botschaft sein, bringt das menschliche Uhrwerk nur das Austicken ein Stück zurück zum Individuum, das es mal war.

Das Buch wie auch Stanley Kubricks neun Jahre später Kult gewordener Film stellen weniger Fragen der Moral als des freien Willens, der Burgess' notorisch prügelndem Helden Alex genommen wird, als er sich einer Art Pawlowschen Umprogrammierung unterzieht und fortan auf jede Gewalt mit unerträglicher Übelkeit reagiert. Und auch - damit selbst dem Bildungsbürger die Wandlung sauer aufstößt -, auf die von Alex so geliebte Musik von "Ludwig van".

Die martialischen Tret-, Fick- und Prügeltänze zu Beethovens Neunter verliehen Kubricks hochästhetisiertem Film eine gewisse Sexiness, die einen Streit um Gewaltverherrlichung auf den Plan rief. Dieses Problem hat Wiedermanns Arbeit nicht, in der schwimmnudelummantelte Schlagstöcke lautstark auf mobile Sitzhocker und Körper einhauen. Beziehungsweise hängt die Sexiness extrem davon ab, welcher Alex gerade seinen Kopf aus einem der schwarzen Morphsuits schält, mit denen hier alle bekleidet sind: hautengen Ganzkörpertrikots, die die Gesichter gleich mit abdecken.

Denn jeder der neun Schauspieler darf sie ein Stückchen weiterführen, die Ich-Erzählung von Alex' "Horrorshow", die schon im Original einen messianischen Beigeschmack hat, aufgrund des Jugendslangs Nadsat, die Burgess für diese Geschichte erfand, aber auch wegen der oft wiederholten Anrede "O meine Brüder." Und irgendwie scheint uns der Abend, mit dem das Impuls seine Europa-Trilogie beendet, am Ende sagen zu wollen, dass man solche wie ihn wieder braucht. Aber wofür genau? Für ein Europa, das dem Amerika Donald Trumps nacheifern will? Für ein Deutschland, das Merkels "Wir schaffen das"-Rhetorik satt hat, denn auch die wird zitiert? Und danach geht auf dem Bildschirm die Welt in Flammen auf.

Clockwork Orange, wieder Donnerstag bis Samstag, 2. bis 4. Februar, jew. 20 Uhr, Teamtheater Tankstelle, Am Einlaß 2a , 260 43 33

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