Theater:Unser aller Krieg

Milo Rau

Im Chat: Der Regisseur Milo Rau.

(Foto: Thomas Dashuber/dpa)

Kindersoldaten, Rohstoffhändler und hilflose Blauhelme: In Bukavu beginnt das "Kongo Tribunal" des Schweizer Regisseurs Milo Rau.

Von Tim Neshitov

Milo Rau selbst nennt es "das wohl größenwahnsinnigste politische Kunstprojekt unserer Zeit": "Das Kongo Tribunal". Ob das der richtige Superlativ ist, wird sich zeigen, aber nach einem Superlativ schreit dieses Projekt allemal. Schließlich beschäftigt sich Milo Rau mit dem opferreichsten Krieg seit 1945: Sechs Millionen Menschen sind im Osten der Demokratischen Republik Kongo gestorben, seit vor zwanzig Jahren der Bürgerkrieg ausbrach. Zu diesem Bürgerkrieg gehört das größte Blauhelmkontingent der Geschichte - und die Hilflosigkeit dieses Kontingents.

Milo Rau, geboren 1977 in Bern, beschäftigt sich schon seit Langem mit der Gewalt. In "Die letzten Tage der Ceausescus", "Breiviks Erklärung", "Hate Radio" - über den Genozid in Ruanda - geht es um Täter und Opfer, um sehr viele Opfer. Sein neues Projekt "Kongo Tribunal" unterscheidet sich von den Vorgängern dadurch, dass hier Krieg, um den es geht, noch nicht zu Ende ist. Es wird in Kongo weiterhin gemordet, verschleppt, vergewaltigt, zwangsumgesiedelt. An diesem Freitag bringt Milo Rau in der ostkongolesischen Stadt Bukavu Akteure dieses Kriegs zusammen: kongolesische Regierungspolitiker aus der fernen Hauptstadt und Oppositionelle, Militärs und Rebellen, Funktionäre der Weltbank, Mitarbeiter von Minenbaufirmen - und einfache kongolesische Bürger, Verschleppte, Vergewaltigte, Enteignete.

Die Teilnehmer werden drei Tage lang über den Krieg sprechen, und danach wird eine internationale Jury darüber urteilen, wer die Schuld an diesem Krieg trägt. Eine juristische Kraft wird dieses Urteil nicht haben, aber es könnte - das hofft jedenfalls Milo Rau - eine moralische Wirkung haben, in der Tradition von Jean-Paul Sartres und Bertrand Russels "Vietnam Tribunal".

Ohne die Rohstoffe, um die hier gekämpft wird, gäbe es keine Energiewende

Den Vorsitz des Tribunals in Bukavu hat der Belgier Jean-Louis Gilissen übernommen, ein Experte für Internationales Recht, der bereits am Strafgerichtshof von Den Haag als Anwalt im Prozess gegen ostkongolesische Milizenführer auftrat. Untersuchungsleiter ist der kongolesische Anwalt Sylvestre Bisimwa, der Opfer von Massenvergewaltigungen vertritt und ebenfalls in Den Haag aktiv ist. Eine hochkarätige Besetzung also. Zur Jury gehören auch der Sozialpsychologe Harald Welzer und der Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der den Whistleblower Edward Snowden vertritt. Und eigentlich auch der Schweizer Soziologe Jean Ziegler. Aber der wird nun doch nicht nach Bukavu reisen. Er darf nicht - und das ist ein sehr skurriler Auftakt für ein solches Kunstprojekt.

Ziegler gehört nämlich dem beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen an, und die Vereinten Nationen verstehen sich seit einigen Tagen nicht so gut mit Milo Rau. Ursprünglich hatten die Vereinten Nationen sich bereit erklärt, das Zeugenschutzprogramm beim Kongo-Tribunal zu übernehmen. Nun haben die UN einen Rückzieher gemacht, ohne Milo Rau den Grund dafür zu nennen.

Milo Rau versichert - über eine abenteuerliche Telefonverbindung nach Bukavu -, dass sein Team den Zeugenschutz selbst gewährleisten kann; es geht darum, dass einige Zeugen, die mit Repressalien rechnen müssen, sicher zum "Gerichtssaal", dem Theatersaal einer Schule, gebracht werden und dort anonym auftreten können. Über die Gründe des UN-Rückziehers kann Rau nur rätseln. Fest steht, dass die Vereinten Nationen bei diesem Tribunal nicht besonders gut wegkommen werden - obwohl das Tribunal, wie bereits die "Moskauer Prozesse" (um Pussy Riot) und die "Zürcher Prozesse" (um die Zeitung Die Weltwoche) ergebnisoffen tagen wird.

Längst hat sich der Krieg, der damit begann, dass Völkermord-Milizen aus dem Nachbarland Ruanda in den Kongo geflohen waren, in einen globalisierten Kampf um Rohstoffe verwandelt, bei dem Kindersoldaten mit Macheten ebenso mitmischen wie deutsche Nichtregierungsorganisationen, kanadische Bergbaufirmen und chinesische Rohstoffhändler. Die weltweit größten Vorräte an Coltan,das unverzichtbar für Handys und sonstige Kommunikationstechnologien ist, befinden sich in Kongo. Kobalt, Kupfer und Zinn, ohne die man keine Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugen, transportieren und speichern könnte, Metalle also, die für die westliche "Energiewende" unverzichtbar sind, werden hier ebenfalls geschürft. Kongo ist so groß wie Europa, und was in seinen Wäldern und Coltanminen geschieht, kann die Regierung in Kinshasa ebenso wenig kontrollieren wie die Blauhelme.

Im Juni wird die Jury drei weitere Tage in Berlin tagen, um über die Verwicklung der EU, der Weltbank und der internationalen Unternehmen zu urteilen. Vermutlich werden auch diese Akteure nicht gut wegkommen. Aber Milo Rau geht es weniger ums Anklagen als ums Festhalten, Dokumentieren. Im Herbst soll der begleitende Film "Das Kongo Tribunal" in die Kinos kommen. Für Milo Rau ist die global agierende Kunst die Antwort auf die globalisierte Wirtschaft. "Wenn man mich später fragt: Was hast du getan, als sechs Millionen Menschen im Kongo gestorben sind?, dann will ich nicht sagen müssen: Ich habe in Paris einen Roman von Michel Houellebecq dekonstruiert."

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