Theater:Typenkabinett

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Dieter Hallervorden und Franziska Troegner in "Vor Sonnenuntergang". (Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Endlich Charakter: Dieter Hallervorden spielt Gerhart Hauptmanns Drama "Vor Sonnenuntergang" in Berlin.

Von Mounia Meiborg

Dieter Hallervorden arbeitet weiter daran, nicht mehr "Didi" zu sein - jene Figur, die ihn in den 70er-Jahren mit Sketchen wie "Palim Palim" und "Die Kuh Elsa" zum Komiker der Nation machte. Jenseits der 70 hat Hallervorden eine beachtliche Karriere als Charakterdarsteller begonnen. In Filmen wie "Das letzte Rennen" oder "Honig im Kopf" spielte er störrische, schrullige alte Männer, die sich den Konventionen widersetzen. Nun ist er 80 und übernimmt auf der Bühne eine Rolle vom tragischen Format eines King Lear. Das Problem ist nur: Das Publikum im Berliner Schlossparktheater will lieber Didi sehen.

Natürlich ist der Stoff eine kleine Zumutung für das von Hallervorden betriebene Privattheater. Gerhart Hauptmanns Stück "Vor Sonnenuntergang" über einen alten Mann, der sich in eine 20-Jährige verliebt und sich darüber mit seinen Kindern zerstreitet, beginnt zwar wie eine Komödie von Molière, endet aber als naturalistisches Drama. Matthias Clausen, der würdige Kommerzienrat, wird erst halb verrückt und vergiftet sich dann.

Der Regisseur Thomas Schendel versucht, dem Ganzen maximalen Boulevard-Appeal zu geben. Der Text ist zugunsten der Eindeutigkeit gekürzt. Alle Kinder scheinen nur das Erbe im Kopf zu haben. Statt Figuren ist ein Typenkabinett zu sehen: die böse, trinkende Schwägerin. Die überspannte, hysterische Tochter. Und der aalglatte, intrigante Anwalt.

Und mittendrin Dieter Hallervorden. Sein Clausen ist kein Patriarch, vor dem man Angst haben muss. Sondern ein spitzbübischer alter Mann, den die Liebe zur Kindergärtnerin Inken (Katharina Schlothauer als sonniges Naturkind) sichtlich verjüngt hat. Strahlend und stolz erzählt er seinem Freund vom neuen Leben. Er spricht schnodderig und wie nebenbei. Und manchen Satz beendet er mit dem typischen Hallervorden-Grinsen: hochgerissene Mundwinkel, in Falten gelegte Stirn. Aber den Wahn am Ende nimmt man ihm nicht ganz ab. Der Selbstmord kommt überraschend. Was die Zuschauer nicht stört: Sie spenden Hallervorden bei jeder Szene Applaus, als habe er einen Fernsehsketch hingelegt.

© SZ vom 22.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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