Theater:Staubwirbel aus der Gruft

Theater: Geschwisterliebe: Rudolf (Götz Schulte) auf Vera (Gundi Ellert).

Geschwisterliebe: Rudolf (Götz Schulte) auf Vera (Gundi Ellert).

(Foto: A. Pohlmann)

Tina Laniks Inszenierung "Vor dem Ruhestand" am Residenztheater gerät zur biederen Stadttheaterkonfektion

Von Eva-Elisabeth Fischer

Der Schrecken, der keiner ist, dauert eineinhalb Stunden. Tina Lanik hat sich Thomas Bernhards "Vor dem Ruhestand" vorgeknöpft, um die "Komödie von deutscher Seele" an den aktuellen deutschtümelnden Auswürfen von AfD und Pegida zu messen. Ein Stück, das der österreichische Autor für seinen Freund, den Theaterintendanten Claus Peymann in Stuttgart, schrieb, als dieser vom damaligen Ministerpräsidenten Hans Karl Filbinger geschasst werden sollte wegen politischer Unbotmäßigkeit. Das wurde dadurch verhindert, dass Filbinger über seine Nazivergangenheit als mörderischer Richter zu Fall kam. 1979 trat Bernhard nach. In seinem gehassliebten Österreich dauerte alles ein bisschen länger - die Waldheim-Affäre kam erst 1986 ächzend in die Gänge.

Bernhards Spontanhieb, befördert von den typischen Idiosynkrasien des Autors und den immer noch treffsicheren, boshaftesten Bonmots, ist seiner Zeit verhaftet, wenngleich die unumstößlichen Axiome seiner Tiraden über Generationen offenbar genetisch verankert sind, als da sind Juden- und Fremdenhass und die damit verbundene Urangst um die eigenen zweifelhaften Werte und damit die nationale Identität. "Vor dem Ruhestand" also befindet sich Gerichtspräsident Rudolf Höller, der mit seinen Schwestern Clara und Vera als geschlossene Gesellschaft jedes Jahr am 7. Oktober den Geburtstag Heinrich Himmlers in SS-Uniform mit Sekt begießt.

Vor der schwarz zur Gruft ausgeschlagenen Bühne des Residenztheaters schütteln sich die Wiedergänger der Ewiggestrigen den Staub aus den Mänteln. Erst einmal lauschen die Schwestern den Gedanken zu identitätsstiftenden nationalen "Tugenden" und "Werten" des Pegida-Aktivisten Götz Kubitschek, während sie das Fest vorbereiten. Später grölen Frei.Wild ein paar Takte Heimatsound aus einer der beiden Reliquienkisten. Clara sitzt im Rollstuhl, gelähmt seit einem amerikanischen Bombenangriff. Charlotte Schwab, die Clara, als Krüppel geduldet und als Sozialistin geschmäht, lässt es in der Schwebe, ob sie aus Resignation schweigt und nur immer ein allerdreckigstes Lachen erbricht, wenn die ideologischen Ergüsse wieder mal zu schlimm sind oder Bruder und Schwester einander an die Genitalien gehen. Dafür schraubt Gundi Ellert, nunmehr fest ans Resi zurückgekehrt, als Vera ihre Mauldiarrhoe vom Hitler-Bellen in hysterisch-trillernde Koloraturen, ein bezopftes spätes Mädchen, das für ein paar Augenblicke jene erschreckende Schärfe ins Spiel bringt, die diesem sonst gänzlich fehlt: Da sitzt sie neben Rudolf, lässt leeren Blickes dessen blutige SS-Karriere Revue passieren, während ihr die entsprechenden Fotos aus den Händen gleiten. Götz Schulte nickt dazu, ein farbloser Stichwortgeber, ein Himmler-Lookalike. Ihm gehört der zentrale Satz in "Vor dem Ruhestand", der nicht nur die völkischen Aufrührer aller Zeiten antreibt: "Wir sind eine Verschwörung gegen den Ungeist des Lebens." Auch die Sentenz versendet sich in Laniks Thomas-Bernhard-Reanimationsversuch. Eine Hakenkreuzfahne senkt sich über biedere Stadttheaterkonfektion.

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