Theater:Solo für einen Helden

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Auf welcher Seite stehst du? Das Schauspiel Hannover inszeniert Erich Maria Remarques tragische Liebesgeschichte "Die Nacht von Lissabon" als Flüchtlings-Lehrstück und erinnert an die rechte Gewalt in Europas Geschichte.

Von Till Briegleb

Trump ist Trumpf im Theater. Als Karikatur, Perücke oder in Anspielungen schiebt sich der Fantastillardär, der mit seinem ideologischen Recycling eines Kaiserreich-Nationalismus auch in den Medien alle anderen Themen verdrängt, flächendeckend vor die letzte große politische Beschäftigung der deutschen Bühnen: Die Flüchtlinge, die bis vor Kurzem in jedem Spielplan ein fester Posten waren wie "der Shakespeare" oder "das Weihnachtsmärchen", verlieren in der grassierenden Angst vor einem neuen Faschismus ihre Rolle als wachrüttelnde Leitkultur. Auch am Schauspiel Hannover war der Sieg des rechten Populismus in den letzten Premieren, einer Adaption von Kafkas "Amerika" und einer Jugendversion von Shakespeares "Othello", das mitschwingende Thema.

Aber Intendant Lars-Ole Warburg ist bockig, was den Verschleiß von Erregungsthemen betrifft. Zum Premierenapplaus für seine Inszenierung von "Die Nacht von Lissabon" kommt er demonstrativ mit einem "Refugees welcome"-T-Shirt auf die Bühne, um sich einen stürmischen Applaus für das Flüchtlingsstück abzuholen. Erich Maria Remarques rührend-tragische Liebesgeschichte auf der Flucht, "Die Nacht von Lissabon", ist die schmerzliche Erinnerung daran, dass es erst ein Menschenleben her ist, dass Unschuldige in ganz Europa vor rechter Gewaltpolitik fliehen mussten, interniert und ermordet wurden - und dass auch diese Brutalität sich durch eine Hasssprache vorbereitet hat, die vom allgemeinen Glauben begleitet war, dass Führer doch wohl nicht das tun werden, was sie im Wahlkampf gesagt haben.

Die Erzählweise ist Gut gegen Böse - in diesen Zeiten wirkt das durchaus passend

Remarque erzählt in diesem 1962 erschienenen Roman von der abenteuerlichen Flucht eines Paares aus seiner Heimatstadt Osnabrück durch die Schweiz, Frankreich und Spanien bis in die portugiesische Hauptstadt, ständig verfolgt von den vorrückenden Hitlertruppen und ganz persönlich vom Bruder der Frau, dem SS-Obersturmbannführer Georg Jürgens. Silvester von Hösslin schultert dieses bedrohliche Szenario als Solo, nur begleitet von dem Theatermusiker Lars Wittershagen, der als Klangtechniker auf der Bühne für die hörspielartige Einbettung der Erzählung sorgt. Virtuos mit wenigen Requisiten und gestalteten Nischen (Ausstattung: Tine Becker) umgehend, fesselt Hösslin 100 Minuten lang das Publikum im Stile eines orientalischen Geschichtenerzählers, der mit wenigen Gesten und Verwandlungen einen ganzen Kosmos erschaffen kann.

Durch die schmächtige und eher verletzliche Erscheinung Hösslins gewinnen die mutigen Heldentaten, die der Josef Schwarz des Romans unternimmt, um sich und seine geliebte Helen aus Internierungslagern, Gestapogefängnissen und dem Zugriff von Offizieren und Beamten der verfeindeten Nationen zu befreien, eine besonders eindringliche Statur. Denn die Verwandlung eines geradezu schüchtern und schwach wirkenden Mannes in einen Helden, der schließlich sogar dem SS-Schwager mit einer Rasierklinge den Hals aufschneidet, ist eine hollywood-reife Hero's Journey, die Mut zum Widerstand und Glauben an das Aufrechte im Menschen wecken soll und kann.

Diese Perspektive eines geradlinigen moralischen Lehrstücks irritiert Lars-Ole Walburg nicht durch das Aufzeigen irgendwelcher charakterlicher Widersprüche oder Ambivalenzen. Die Erzählweise ist Gut gegen Böse, und die große Empathie, die dem Regisseur und seinem Darsteller für diese Filmdramaturgie entgegenschlägt, zeigt, dass sich auch unter dem Theaterpublikum langsam das Gefühl eines Harmagedons breitmacht, wo man nicht mehr verhandeln, sondern nur noch wählen kann, auf welcher Seite man stehen möchte - der Seite der Menschlichkeit oder jener des Hasses. Hätte man vermutlich noch vor wenigen Monaten eine solche Erzählweise als unterkomplex oder schwarz-weiß bezeichnet, so scheinen die Siege des rechtspopulistischen Monsterkabinetts in den USA und die drohenden Erfolge der Schwarz-Weiß-Rhetoriker in Europa die Einstellung gegenüber moralischer Dichotomie gewandelt zu haben.

© SZ vom 07.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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