Theater:Schwarze Messe

Die Macht der Finsternis | Leo Tolstoi | Akademietheater; EnsembleCopyright: Georg Soulek Burgtheater Presse: Fotos bei Nennung des Fotografen für die aktuelle Berichterstattung freigegeben

Ein abstrakter Berg aus Säcken und keiner weiß, was drin ist. Das gilt irgendwie auch für die Inszenierung.

(Foto: Georg Soulek)

Tolstois düsteres Stück "Die Macht der Finsternis" soll in Wien als Komödie funktionieren. Kann dieses Experiment klappen?

Von Wolfgang Kralicek

Das Sündenregister von Nikita, dem Knecht, ist lang. Erst lässt er ein von ihm verführtes Waisenmädchen sitzen. Dann hat er ein Verhältnis mit Anisja, der Gattin des reichen und siechen Bauern Petr. Als der Alte - dem seine Frau Gift in den Tee mischt - endlich tot ist, heiratet Nikita die Witwe und fängt gleich was mit der geistig behinderten Stieftochter an. Und als diese ein Kind von ihm bekommt, bringt er das Neugeborene um, indem er ihm den Schädel zerquetscht. Erst dann meldet sich sein Gewissen zu Wort, und Nikita legt ein umfassendes Geständnis ab.

"Die Macht der Finsternis" (1886), das erste Drama des als Romancier berühmten Leo Tolstoi, gilt als Vorläufer des naturalistischen Theaters. Aber anders als später bei Gerhart Hauptmann geht es hier weniger um Sozialkritik als um die Moral. Die Welt, die Tolstoi in seinem kruden Bauerndrama entwirft, ist ein von Gott verlassener Ort, an dem Geilheit und Geldgier regieren. Sogar Mutterliebe hat hier etwas Bestialisches: Nikitas Mutter ist es, die der Bäuerin das Gift zusteckt. Und sie redet ihrem Sohn später auch fürsorglich zu, den lästigen Säugling zu töten. Dass das Stück zu Ostern im Wiener Akademietheater Premiere hatte, erscheint stimmig: Auch "Die Macht der Finsternis" ist eine Art Passionsgeschichte. Nikita nimmt zwar nicht die Sünden der Welt, am Ende aber wenigstens seine eigenen auf sich.

Man sieht der Inszenierung vor allem an, was sie nicht sein will

Regisseur Antú Romero Nunes hat den Fünfakter auf kompakte zwei Stunden eingekürzt und ihm den Naturalismus ausgetrieben. Das Bühnenbild (Florian Lösche) ist keine Bauernstube, sondern ein abstrakter Berg aus Säcken unbestimmten Inhalts. Und die Schauspieler, die darauf herumklettern, sind durch groteske Kostüme (Victoria Behr) zu Comicfiguren verfremdet. Der alte Bauer (Johannes Krisch) hat seine zotteligen langen Haare offenbar seit Jahren nicht mehr gewaschen, seine Frau Anisja (Aenne Schwarz) hat einen ausladenden Hintern umgeschnallt, Nikita (Fabian Krüger) einen mächtigen Bauch.

Man sieht der Inszenierung hauptsächlich an, was sie vermeiden möchte. Romero Nunes will keine Russenfolklore und kein religiöses Pathos; auch für den sozialhistorischen Aspekt des Stücks, das am Rande auch von frühkapitalistischen Umwälzungen erzählt, interessiert er sich kaum. Was bleibt, sind schön arrangierte Tableaus und der Versuch, diese schwarze Messe von einem Drama als schwarze Komödie zu behaupten.

Am besten greift das Konzept bei Nikitas Eltern. Kirsten Dene gibt der Mutter die zuckersüße Stimme einer monströsen Matrone, deren Fürsorge buchstäblich über Leichen geht. Und Ignaz Kirchner verleiht dem durch Buckel und Sprachfehler gehandicapten Vater, der hier als Einziger über ein intaktes Wertesystem verfügt, die tragikomische Würde eines Mannes auf verlorenem Posten. Insgesamt aber ist die Aufführung für eine Komödie zu unwitzig, und als Tragödie funktioniert sie so nicht mehr. Das zeigt sich spätestens in der Kindsmord-Szene, die an Grausamkeit ihresgleichen sucht, hier aber wenig erschüttert.

Am Ende, wenn Nikita vor der Dorfgemeinde seine Beichte ablegt, will Antú Romero Nunes den Schwächling doch noch zum Messias stilisieren - und legt ihm ein Jesus-Christus-Zitat in den Mund: "Warum hast du mich verlassen?" Die tollkühne Inszenierung, in der eine solche Schlusspointe schlüssig erscheint, hätte man gern gesehen.

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